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EU-Gipfel im Kriegsgebiet: Worauf Selenskyj besonders hofft

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Von der Leyen kündigt neue Sanktionen gegen Russland an

Von der Leyen kündigt neue Sanktionen gegen Russland an

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bei einem Besuch in Kiew neue Sanktionen gegen Russland angekündigt. Diese sollen zum Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar in Kraft treten.

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Berlin/Kiew.  Ursula von der Leyen ist mit ihrer Kommission in Kiew – zum EU-Ukraine-Gipfel im Kriegsgebiet. Die Erwartungen sind hoch. Zu hoch?

Ursula von der Leyen trägt ihren beigefarbenen Mantel, als sie am Vormittag in der ukrainischen Hauptstadt Kiew aus dem Nachtzug steigt. Sie kennt das schon. Zum vierten Mal ist sie dort, seit Russland vor knapp einem Jahr das Nachbarland überfallen und mit Tod und Zerstörung überzogen hat. „Wir sind hier, um gemeinsam zu zeigen, dass die EU so fest wie eh und je zur Ukraine steht. Und um unsere Unterstützung und Zusammenarbeit weiter zu vertiefen“, schreibt die Chefin der EU-Kommission bei ihrer Ankunft auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.

Dieses Mal ist sie nicht allein gekommen. Sie wird von 15 Kommissarinnen und Kommissaren begleitet, am Freitag soll hier der EU-Ukraine-Gipfel stattfinden. Das hat es noch nie gegeben: Ein Treffen der Europäischen Union mit einem Beitrittskandidaten im Kriegsgebiet. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel wird erwartet. Die Ukrainerinnen und Ukrainer sehen daran ein starkes Symbol der Unterstützung.

Ukraine-Krieg: Selenskyj hofft auf noch mehr Unterstützung

Doch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hofft auf mehr: „Wir erwarten Entscheidungen unserer Partner in der Europäischen Union, die (...) unserem Fortschritt entsprechen. Fortschritt, der offensichtlich da ist – und das sogar trotz des großflächigen Kriegs.“ Es sei Zeit für Neuigkeiten. Die Ukraine sei dabei, ihren Beitrag zu leisten. Es werde kräftig an Reformen gearbeitet, versicherte der Präsident.

Erst am Mittwoch hatten Ermittler bei Razzien im Kampf gegen die Korruption unter anderem das Wohnhaus des einflussreichen Oligarchen Ihor Kolomojskyj durchsucht. „Jeder Kriminelle, der die Dreistigkeit besitzt, der Ukraine gerade in Kriegszeiten zu schaden, muss verstehen, dass wir ihm Handschellen anlegen werden“, hieß es auf dem Telegram-Kanal des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU. Es ist der jüngste Schlag gegen die Korruption. Es soll um Veruntreuung von 40 Milliarden ukrainischen Hrywnja (umgerechnet rund eine Milliarde Euro) in der Ölbranche gehen, der Beschuldigte weist die Verdächtigungen zurück. Ganz sicher aber geht es um ein Zeichen Richtung EU – schaut her, wir tun was.

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Selenskyj begrüßt von der Leyen wie eine alte Freundin

Der russische Angriffskrieg, der seit dem 24. Februar tobt, hat den Wunsch der Ukraine, so schnell wie möglich EU-Mitglied zu werden, noch einmal verstärkt. Seit Juni ist das Land Beitrittskandidat. Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder hatten die Ukraine und auch Moldau auf dem EU-Gipfel dazu gemacht – quasi als Antwort Europas auf die „Zeitenwende“. Doch die Auflagen, um beitreten zu dürfen, sind enorm. Und vor allem bei der Korruptionsbekämpfung erwartet Europa Fortschritte.

Wolodymyr Selenskyj begrüßte Ursula von der Leyen wie eine gute, alte Freundin. Und die Kommissionschefin sparte nicht mit Komplimenten. „Ihre Entschlossenheit, Ihren europäischen Weg voranzutreiben, ist erstaunlich“, schrieb sie auf Twitter.

„Ihr macht bemerkenswerte Fortschritte, um unsere Empfehlungen zu erfüllen, während Ihr gleichzeitig eine Invasion bekämpft. Wir werden Ihre Bemühungen um weitere Fortschritte weiterhin unterstützen“, versicherte sie und versprach weitere Hilfen beim Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Energieinfrastruktur. Man werde mehr als 150 Millionen Euro für den Einkauf von wichtiger Energietechnik und 2400 weitere Stromgeneratoren zur Verfügung stellen. „Wir werden diesen Winter überstehen, lieber Wolodymyr, und viele weitere“, sagte sie.

Das zehnte Sanktionspaket kommt

Außerdem, so erklärte von der Leyen, müsse „Russland für seine abscheulichen Verbrechen vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden“. Sie kündigte an, dass am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ein Zentrum für Beweismittel eingerichtet werde, um Russland für den Krieg gegen die Ukraine zur Verantwortung zu ziehen. Staatsanwälte aus der Ukraine und der Europäischen Union sammelten schon jetzt Beweise.

Auch neue Strafmaßnahmen gegen Russland seien in Arbeit. Noch vor dem Jahrestag der russischen Invasion werde das zehnte Sanktionspaket fertig sein, so von der Leyen auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Selenskyj. Sie zeigte sich überzeugt, dass auch die bisher verhängten Strafen ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Allein der Preisdeckel für russisches Öl koste Moskau täglich etwa 160 Millionen Euro.

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EU-Mission zur Ausbildung von Kampfpanzerbesatzungen

Während von der Leyen und Selenskyi sprachen, traf sich an anderer Stelle in Kiew der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mit dem ukrainischen Regierungschef Denys Schmyhal und versprach die Ausweitung der europäischen Ausbildungsmission (Euman) für ukrainische Streitkräfte auf 30.000. Die EU-Mission werde sich auch um die Ausbildung von Kampfpanzerbesatzungen kümmern, so Borell. Dies soll dafür sorgen, dass die Ukrainer die Leopard-2-Panzer effektiv nutzen können, die unter anderem Deutschland und Polen bereitstellen wollen.

Doch die Ukraine will mehr – mehr Waffen und rein in die EU. Es sei doch nun offensichtlich, „dass man den Traum von einem friedlichen Europa nur zusammen mit der Ukraine verwirklichen kann und nur, indem man Russland besiegt“, so Selenskyj: „Die Ukraine verteidigt auf dem Schlachtfeld gerade die Werte, wegen denen sich Europa vereinigt hat und vereinigt.“ Der Gipfel im Kriegsgebiet wird zeigen, ob sich der ukrainische Präsident zu viel erhofft. (mit dpa)

Land Ukraine
Kontinent Europa
Hauptstadt Kiew
Fläche 603.700 Quadratkilometer (inklusive Ostukraine und Krim)
Einwohner ca. 41 Millionen
Staatsoberhaupt Präsident Wolodymyr Selenskyj
Regierungschef Ministerpräsident Denys Schmyhal
Unabhängigkeit 24. August 1991 (von der Sowjetunion)
Sprache Ukrainisch
Währung Hrywnja