Berlin. Erzbischof Gänswein war ein enger Vertrauter des verstorbenen Papstes Benedikt XVI. Nun teilt er in Richtung Papst Franziskus aus.

Zehn Jahre lebten im Vatikan zwei Päpste. Nach dem Tod von Benedikt XVI. kehrt der Kirchenstaat zur Normalität zurück, Franziskus ist wieder der einzige Pontifex. Insider befürchten jedoch, dass nach der Beerdigung Benedikts – eine Ikone der Traditionalisten – neue Spannungen in der Kurie entstehen könnten.

Neuer Fahnenträger der Konservativen ist Benedikts Privatsekretär Georg Gänswein, der zwei Jahrzehnte lang dem deutschen Papst gedient hat. Heute ist in Italien sein mit Spannung erwartetes Memoirenbuch erschienen. Unter dem Titel „Nichts als die Wahrheit“ berichtet der aus dem Schwarzwald stammende Erzbischof über vereinzelte Meinungsverschiedenheiten zwischen dem ehemaligen und dem amtierenden Papst.

Papst Benedikt: Gänswein berichtet von Meinungsverschiedenheiten mit Franziskus

Benedikts Vision von einer Kirche als lebendigem Organismus, durchdrungen von der Leidenschaft für Christus, der den Menschen Sinn, Richtung und Glück bringen will, stößt gegen die Neuerungen des Pontifikats von Jorge Bergoglio, wie etwa die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten, die Abwendung von der Latein-Messe und die Offenheit gegenüber Homosexuellen und Transsexuellen, die Franziskus öfters bei Audienzen empfangen hat, geht aus Gänsweins Werk klar hervor.

Das Buch sorgt in Italien seit Tagen für Schlagzeilen, weil noch vor der Beisetzung Benedikts vergangene Woche erste Auszüge bekannt wurden. In Kommentaren wurden diese als Angriffe gegen den argentinischen Papst gedeutet.

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Gänswein war „schockiert und sprachlos“ über Suspendierung

Dass der konservative Gänswein kein Freund des Papstes aus Lateinamerika ist, ist in Rom altbekannt. Öffentlich wahrte der Kurienerzbischof, der sieben Jahre lang sowohl dem zurückgetretenen Benedikt als auch Franziskus als Präfekt des Päpstlichen Hauses diente, jedoch die Form.

Nun, nach dem Tod Benedikts, scheint Gänswein offen sprechen zu wollen. Er sei „schockiert und sprachlos“ gewesen, als der amtierende Papst ihn 2020 als Präfekten des Päpstlichen Hauses vorübergehend suspendierte, heißt es in seinem Buch, das er mit dem Vatikan-Experten Saverio Gaeta geschrieben hat. Seine Beurlaubung bezeichnet Gänswein gar als „Vorwand“.

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Gänswein hatte sich für ein Festhalten am Zölibat ausgesprochen

Der gebürtige Bayer war in Ungnade gefallen, als Mitte Januar 2020 ein Buch des traditionalistischen Kardinals Robert Sarah aus Guinea veröffentlicht wurde, das als gemeinsames Werk mit Benedikt gedruckt wurde. Darin verwarfen beide die Forderungen der Amazonassynode und forderten ein standhaftes Festhalten am Zölibat. Deutlich wurde, dass Franziskus sich ziemlich geärgert haben musste – er beurlaubte Gänswein kurz danach als Präfekten des Päpstlichen Hauses und gab ihm die Anweisung, sich künftig ausschließlich um Benedikt zu kümmern.

Benedikt XVI. – Sein Leben in Bildern

Joseph Ratzinger schrieb Kirchengeschichte, als er am 19. April 2005 vom Konklave zum ersten deutschen Papst seit 500 Jahren gewählt wurde. Wir zeigen sein Leben in einer Fotostrecke.
Joseph Ratzinger schrieb Kirchengeschichte, als er am 19. April 2005 vom Konklave zum ersten deutschen Papst seit 500 Jahren gewählt wurde. Wir zeigen sein Leben in einer Fotostrecke. © imago | ZUMA Press
Der emeritierte Papst Benedikt wurde am 16. April 1927 als Joseph Alois Ratzinger im bayerischen Marktl am Inn als Sohn eines Gendarmeriemeisters geboren. Während seiner Gymnasialzeit wird Ratzinger gegen Ende des Zweiten Weltkriegs als Luftwaffenhelfer eingesetzt.
Der emeritierte Papst Benedikt wurde am 16. April 1927 als Joseph Alois Ratzinger im bayerischen Marktl am Inn als Sohn eines Gendarmeriemeisters geboren. Während seiner Gymnasialzeit wird Ratzinger gegen Ende des Zweiten Weltkriegs als Luftwaffenhelfer eingesetzt. © imago | ZUMA Press
Diese Aufnahme zeigt Ratzinger mit seiner Schwester Maria (l.), seinem Bruder Georg, seiner Mutter Maria und seinem Vater Joseph.
Diese Aufnahme zeigt Ratzinger mit seiner Schwester Maria (l.), seinem Bruder Georg, seiner Mutter Maria und seinem Vater Joseph. © imago | ZUMA Press
Von 1946 bis 1951 studierte Joseph Ratzinger an der Philosophisch-Theologischen Hochschule von Freising und an der Universität München Philosophie und Theologie.
Von 1946 bis 1951 studierte Joseph Ratzinger an der Philosophisch-Theologischen Hochschule von Freising und an der Universität München Philosophie und Theologie. © Getty Images | German Catholic News Agency KNA
Joseph Ratzinger (r.) und sein Bruder Georg wurden am 29. Juni 1951 zusammen mit 42 anderen jungen Männern im Dom von Freising zu Priestern geweiht.
Joseph Ratzinger (r.) und sein Bruder Georg wurden am 29. Juni 1951 zusammen mit 42 anderen jungen Männern im Dom von Freising zu Priestern geweiht. © dpa | Erzbistum
Auf die im Alter von 31 Jahren im Jahr 1958 angetretene erste Professur für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising folgten Rufe nach Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg. Dieses Foto zeigt den Geistlichen 1959 in seinem Privatbüro in Freising.
Auf die im Alter von 31 Jahren im Jahr 1958 angetretene erste Professur für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising folgten Rufe nach Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg. Dieses Foto zeigt den Geistlichen 1959 in seinem Privatbüro in Freising. © Getty Images | German Catholic News Agency KNA
Von 1962 bis 1965 nahm Ratzinger als theologischer Berater des Erzbischofs von Köln, Kardinal Joseph Frings, am Zweiten Vatikanischen Konzil teil.
Von 1962 bis 1965 nahm Ratzinger als theologischer Berater des Erzbischofs von Köln, Kardinal Joseph Frings, am Zweiten Vatikanischen Konzil teil. © REUTERS | REUTERS / KNA-BILD
Als neuer Erzbischof von München und Freising trug Ratzinger während der Fronleichnamsprozession am 9. Juni 1977 in der Münchner Innenstadt die Monstranz.
Als neuer Erzbischof von München und Freising trug Ratzinger während der Fronleichnamsprozession am 9. Juni 1977 in der Münchner Innenstadt die Monstranz. © dpa | Hartmut Reeh
Am 27. Juni 1977 wurde Ratzinger zum Kardinal ernannt. Papst Paul VI. (l.) steckte ihm während einer Zeremonie im Petersdom im Vatikan als Zeichen seiner neuen Würde den Kardinalsring an.
Am 27. Juni 1977 wurde Ratzinger zum Kardinal ernannt. Papst Paul VI. (l.) steckte ihm während einer Zeremonie im Petersdom im Vatikan als Zeichen seiner neuen Würde den Kardinalsring an. © picture-alliance/ dpa | dpa Picture-Alliance / UPI
Papst Johannes Paul II. ernannte im November 1981 Kardinal Ratzinger zum Präfekten der vatikanischen Glaubenskongregation.
Papst Johannes Paul II. ernannte im November 1981 Kardinal Ratzinger zum Präfekten der vatikanischen Glaubenskongregation. © REUTERS | REUTERS / KNA-BILD
Kardinal Joseph Ratzinger während einer Pressekonferenz im Mai 1986 im Vatikan, auf der er seine Schrift über Freiheit und Befreiung vorstellte.
Kardinal Joseph Ratzinger während einer Pressekonferenz im Mai 1986 im Vatikan, auf der er seine Schrift über Freiheit und Befreiung vorstellte. © dpa | epa ansa
Am 19. April 2005 war es dann soweit. Weißer Rauch entstieg dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle in Rom. Ratzinger wurde im vierten Wahlgang zum 265. Papst der römisch-katholischen Kirche gewählt und gab sich den Namen Benedikt.
Am 19. April 2005 war es dann soweit. Weißer Rauch entstieg dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle in Rom. Ratzinger wurde im vierten Wahlgang zum 265. Papst der römisch-katholischen Kirche gewählt und gab sich den Namen Benedikt. © Getty Images | Giuseppe Cacace
„Wir sind Papst“!
„Wir sind Papst“! © Getty Images | Carsten Koall
Joseph Ratzinger schrieb Kirchengeschichte.
Joseph Ratzinger schrieb Kirchengeschichte. © Getty Images | Peter Macdiarmid
Er wurde vom Konklave zum ersten deutschen Papst seit 500 Jahren gewählt.
Er wurde vom Konklave zum ersten deutschen Papst seit 500 Jahren gewählt. © dpa | Ettore Ferrari
Wenige Monate nach seiner Wahl zum Papst feierte Benedikt XVI. in Köln mit Hunderttausenden Teilnehmern den Weltjugendtag auf dem Marienfeld in Kerpen bei Köln.
Wenige Monate nach seiner Wahl zum Papst feierte Benedikt XVI. in Köln mit Hunderttausenden Teilnehmern den Weltjugendtag auf dem Marienfeld in Kerpen bei Köln. © EPA | epa ansa Pier Paolo Cito
Wichtiger Besuch im Mai 2009: Papst Benedikt XVI. an der Klagemauer in Israel in Jerusalem.
Wichtiger Besuch im Mai 2009: Papst Benedikt XVI. an der Klagemauer in Israel in Jerusalem. © dpa | DAN BALILTY
Auch er steckte einen Gebetszettel in eine Spalte der Klagemauer.
Auch er steckte einen Gebetszettel in eine Spalte der Klagemauer. © dpa | epa ansa Cito
Papst Benedikt XVI ging 2006 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau durch das Tor mit dem Schriftzug
Papst Benedikt XVI ging 2006 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau durch das Tor mit dem Schriftzug "Arbeit macht frei". © dpa | Andrzej Grygiel
Auf seiner Deutschlandreise 2011 stattete er auch dem Bundestag in Berlin einen Besuch ab.
Auf seiner Deutschlandreise 2011 stattete er auch dem Bundestag in Berlin einen Besuch ab. © dpa | Herbert Knosowski
Brüder unter sich: Papst Benedikt XVI. und sein Bruder Georg Ratzinger im Regensburger Vorort Pentling vor seinem Privathaus.
Brüder unter sich: Papst Benedikt XVI. und sein Bruder Georg Ratzinger im Regensburger Vorort Pentling vor seinem Privathaus. © dpa | Daniel Karmann
Glaubensbrüder unter sich: Papst Franziskus (r.) und der emeritierte Papst bei einem Treffen in Castel Gondolfo bei Rom.
Glaubensbrüder unter sich: Papst Franziskus (r.) und der emeritierte Papst bei einem Treffen in Castel Gondolfo bei Rom. © dpa | Osservatore Romano / Handout
Royale Privataudienz im Vatikan: Benedikt empfing den britischen Thronfolger Prinz Charles und seine Frau Camilla.
Royale Privataudienz im Vatikan: Benedikt empfing den britischen Thronfolger Prinz Charles und seine Frau Camilla. © dpa | Chris Helgren
Mit der Gondel ging es im Mai 2011 durch den Canale Grande in Venedig.
Mit der Gondel ging es im Mai 2011 durch den Canale Grande in Venedig. © picture alliance / Stefano Spazi | dpa Picture-Alliance / Stefano Spaziani
Am 11. Februar 2013 kündigte Benedikt XVI. seinen Amtsverzicht an.
Am 11. Februar 2013 kündigte Benedikt XVI. seinen Amtsverzicht an. © dpa | Marcus Brandt
Er trat am 28. Februar 2013 von seinem Amt zurück – er lebte daraufhin weiterhin im Vatikan.
Er trat am 28. Februar 2013 von seinem Amt zurück – er lebte daraufhin weiterhin im Vatikan. © imago stock&people | UPI Photo
In der Folge seines Rücktritts wurde weiter spekuliert, was der Grund für seinen Rücktritt im Februar 2013 war. Benedikt selbst hatte es als „Unsinn“ zurückgewiesen, dass Intrigen und Machtkämpfe im Vatikan der Auslöser dafür waren. Er sei körperlich einfach nicht mehr in der Lage gewesen, die Lasten des Amtes zu tragen.
In der Folge seines Rücktritts wurde weiter spekuliert, was der Grund für seinen Rücktritt im Februar 2013 war. Benedikt selbst hatte es als „Unsinn“ zurückgewiesen, dass Intrigen und Machtkämpfe im Vatikan der Auslöser dafür waren. Er sei körperlich einfach nicht mehr in der Lage gewesen, die Lasten des Amtes zu tragen. © picture alliance / Stefano Spazi | dpa Picture-Alliance / Stefano Spaziani
Der frühere Papst starb am 31. Dezember 2022. Der Leichnam von Papst Benedikt XVI. wurde im Petersdom aufgebahrt.
Der frühere Papst starb am 31. Dezember 2022. Der Leichnam von Papst Benedikt XVI. wurde im Petersdom aufgebahrt. © Imago/Independent Photo Agency Int.
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Am Montag wurde der 66-jährige Gänswein von Papst Franziskus zu einer Privataudienz empfangen. Der Inhalt des Gesprächs wurde nicht kommuniziert, gut informierte römische Medien berichteten jedoch, dass Franziskus den deutschen Erzbischof zu „Diskretion“ aufgerufen habe. „Jetzt muss ich schweigen“, heißt es in einem Zitat Gänsweins, der sich auf Quellen aus dem engen Umfeld der Privatsekretärs beruft.

Georg Gänswein war ein enger Vertrauter von Papst Benedikt XVI.
Georg Gänswein war ein enger Vertrauter von Papst Benedikt XVI. © dpa | Michael Kappeler

Spekulationen über Gänsweins Zukunft

Über die Zukunft Gänsweins wird in Rom wild spekuliert. Laut Insidern könnte er die Ewige Stadt verlassen und ein Leben außerhalb der Vatikan-Mauern verbringen. So könnte er sich in die mittelitalienische Stadt Urbisaglia zurückziehen, wo er sein Titularbistum hat. Auch über eine Rückkehr nach Deutschland, wo noch einige Mitglieder seiner Familie leben, wird spekuliert.

In Bamberg und Paderborn werden derzeit noch Bischöfe gesucht. Auch eine Zukunft als Apostolischer Nuntius könnte eine passende Lösung für Gänswein sein. Er würde somit weiterhin im Dienst des Vatikans stehen, ohne jedoch in Rom zu verweilen.