Stuttgart. Bekommt die Ampel bei der nächsten Wahl eine zweite Chance? Beim Dreikönigstreffen sagt Christian Lindner, was dafür passieren muss.

Christian Lindner hat gerade mit seiner Dreikönigsrede begonnen, da wird es laut auf dem Balkon in der Stuttgarter Oper: Klimaaktivisten entrollen Transparente, auf einem steht „Klimakollaps = Wirtschaftskollaps“, sie stimmen den Protestklassiker „We shall overcome“ an. Lindner versucht, den Gesang zu übertönen: „Ich würde es vorziehen, wenn ihr euch festklebt“, ruft er den Aktivisten zu. „Mein Angebot: Klebt euch fest. Wenn ihr hier klebt, könnt ihr sonst keinen behindern.“

Bevor die Truppe ihre Transparente wieder einpackt, gibt er ihnen noch einen Tipp mit: „Gründet eine Partei, und sucht euch Mehrheiten für eure Position.“ Wie schwierig das ist, weiß keiner besser als Christian Lindner.

Lindner: Warum der FDP-Chef noch mal in eine Ampel-Regierung gehen würde

Pünktlich zu Dreikönig hat sich der FDP-Chef eine neue Hoffnungsbeschaffungsmaßnahme für seine Partei ausgedacht: Jenseits von Krieg, Krise, Ampelstreit und verlorenen Landtagswahlen, spätestens zur Mitte des Jahrzehnts, wenn im Jahr 2025 die nächste Bundestagswahl ansteht, könnte es wieder besser laufen für die krisengeschüttelten Liberalen. Mehr noch: Lindner denkt neuerdings immer öfter laut über eine Fortsetzung der Ampel-Koalition nach. Und was dafür zu tun ist. Es ist sein Projekt 25.

Hintergrund:Lindner & Co.: Warum 2022 ein Horrorjahr für die FDP war

In den Tagen vor dem traditionellen Dreikönigstreffen der Liberalen intonierte Lindner immer lauter das Lied von der gemeinsamen Ampel-Zukunft. Erst ging es bloß vorsichtig um die „Wiederwahlchancen der Koalition“, dann klar um seine Bereitschaft für eine zweite Runde: Sollte es wieder eine Mehrheit für eine Ampel-Koalition geben, spreche nichts dagegen, eine Koalition, die bestätigt worden sei, fortzusetzen.

„Opposition ist für die Freien Demokraten nie das Ziel“, sagt Lindner schließlich in Stuttgart. Es sei unbefriedigend, zu beobachten wie andere gestalten. „Wenn man gut regieren kann, darf man die Verantwortung nicht anderen überlassen.“ Also besser mit SPD und Grünen weiterregieren, als ohne die beiden gar nicht mehr regieren? Für jemanden, dem bis vor kurzem noch die Fantasie für ein solches Dreierbündnis fehlte, ist das eine erstaunliche Wendung.

FDP-Chef will eine Zeitenwende bei der Finanz- und Steuerpolitik

Doch nur auf den ersten Blick. Denn: Es ist kein Liebeslied, das Lindner da singt, dafür sind ihm seine beiden Ampel-Partner weiterhin zu links und zu verschwenderisch bei den Staatsgeldern. Lindner schränkt deswegen gleich ein: „Wenn die Koalition aus SPD, FDP und Grünen eine Wiederwahlchance haben will, dann nur, wenn wir das Land auf die wirtschaftliche Erfolgsspur zurückbringen können.“ Mit anderen Worten: Wenn es den Leuten nicht gut geht, wird die Ampel nicht gewählt. Für den FDP-Chef gehört dazu auch die Forderung nach einer spürbaren Steuersenkung. „Wir müssen über die effektive Gesamtbelastung sprechen.“ Bei SPD und Grünen beißt er da jedoch bislang auf Granit.

Nach dem Krisenjahr 2022 will Lindner 2023 für eine Zeitenwende in der Wirtschafts- und Finanzpolitik nutzen. „Wir brauchen ein Wachstumspaket.“ 2023 sei nicht mit dem Inflationsjahr 1923 zu vergleichen. Aber: „Wir kennen die Lehre der Geschichte. Der Erhalt der wirtschaftlichen Substanz dieses Landes muss oberste Priorität haben.“ Der Finanzminister will eine Milliarde zusätzlich pro Jahr für die Bildung ausgeben, mehr Technologieoffenheit einfordern, Erleichterungen für Unternehmen und beschleunigte Verfahren durchsetzen. Vieles davon ließe sich mit den Ampel-Partnern erreichen.

Liberale: Warum sich die FDP eine zweite Auflage der Ampel vorstellen kann

Bei genauerem Hinhören klingt Lindners neues Lied von der Wiederwahl der Ampel allerdings immer auch ein bisschen wie das Pfeifen im Walde: Der FDP-Chef muss einkalkulieren, dass es 2025 Mehrheiten ohne die FDP gibt. Schwarz-Gün, zum Beispiel. Die Union jedenfalls setzt schon lange nicht mehr auf die FDP. Andererseits kann Lindner zum jetzigen Stand relativ sicher sein, dass Olaf Scholz die FDP bräuchte, wollte er ein zweites Mal Kanzler werden.

„Die Zukunft glaubt an uns“, hoffen die Liberalen mit ihrem Dreikönigsmotto. Die Gegenwart dagegen scheint eher an der FDP zu zweifeln. Die Lage der Partei zu Beginn des neuen Jahres ist heikel: Vier Landtagswahlen mit vier Wahlschlappen liegen hinter ihnen, bei den kommenden Wahlen des Jahres 2023 sieht es bislang ebenfalls noch nicht nach Jubelfeiern aus. In Berlin, wo Mitte Februar neu gewählt werden muss, liegt die FDP nach der jüngsten Umfrage knapp über der Fünf-Prozent-Hürde. In Bayern, wo im Oktober gewählt wird, lag sie zuletzt klar drunter.

Auch interessant: Junge Liberale beklagen sinkenden Frauenanteil

Und im Bund? Da zeigt die Linie seit Beginn der Regierungsbeteiligung abwärts, zuletzt immerhin schien der Trend Richtung Todeszone gestoppt. Ob es an der Debatte um längere Atomlaufzeiten liegt – die die FDP trotz des Machtworts aus dem Kanzleramt auch über Dreikönig beharrlich weiterführt? Oder eher an einer leicht freundlicheren Grundstimmung der Ampel gegenüber? Die Regierung insgesamt hat etwas gewonnen, wie der jüngste Deutschlandtrend zeigt. Demnach gewinnt die FDP einen Punkt dazu und kommt aktuell auf sechs Prozent, das Ansehen der Bundesregierung ist um vier Punkte gestiegen, aktuell sind 34 Prozent mit der Arbeit von SPD, Grünen und FDP zufrieden.

Bei der Bewertung des Spitzenpersonals liegt Lindner hinter den Grünen Ministern Annalena Baerbock und Robert Habeck, aber auch hinter Bundeskanzler Olaf Scholz und, besonders schmerzhaft für die Liberalen, hinter Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Ausgerechnet der Mann, der immer noch an den Corona-Maßnahmen festhält. Die liberale Corona-Politik, so scheint es, hat der FDP bis heute nicht viel geholfen.