Moskau. Die Regale in Moskaus Einkaufszentren sind voll mit Markenware aus dem Westen. Mit welchen Schlupflöchern Putin die Sanktionen umgeht.

„Europäiskij“ heißt die Shopping Mall am Kiewer Bahnhof im Zentrum von Moskau. Die Geschäfte laufen gut, viele Leute sind unterwegs, der russische Mittelstand kauft gerne im „Europäiskij“ ein. Auf Markenware westlicher Hersteller legt man hier besonderen Wert. Und vieles ist vorhanden – auch wenn sich die westlichen Produzenten aus dem Russland-Geschäft zurückgezogen haben.

„Stars Coffee“ ist gleich mit zwei Filialen in der Mall vertreten. Der Kaffee schmeckt wie früher, als die Kaffeebude noch „Starbucks“ hieß. Nach dem Rückzug des US-Unternehmens hat der russische Rapper Timati mit einem Geschäftspartner die 130 Filialen übernommen. Die Einrichtung und die Getränkekarte sind wie früher. Und die junge Frau auf dem „Stars“-Logo ähnelt bis ins Detail der bekannten Starbucks-Meerjungfrau. Nur trägt sie jetzt eine traditionelle russische Kopfbedeckung.

Russland-Sanktionen: Viele Produkte gibt es weiter

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© imago/ITAR-TASS | imago stock

Geschlossen sind die Läden der Bekleidungsketten Zara und Bershka, die besonders bei den Jüngeren beliebt sind. Doch die Waren sind noch da, sorgsam abgedeckt unter Plastikfolie. Im Januar sollen die Läden wieder öffnen, so die russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti. Unter neuem Namen, der Mutterkonzern Inditex ais Spanien verhandle über einen Verkauf des Russland-Geschäftes an eine libanesische Firmengruppe.

Offiziell haben sich viele westliche Firmen aus dem Russland-Geschäft zurückgezogen. Ihre Produkte gibt es aber noch. Sportartikel von Nike sind im Netz bei „Ozon“ erhältlich, der russischen Variante von „Amazon“. Staubsauger des Haushaltsgeräte-Hersteller Miele führt der Technik-Laden in der „Europäiskij“-Mall. Und auch das in Russland beliebte Backpulver von „Dr. Oetker“ gibt es noch. Das Dr. Oetker-Werk in Belgorod hat das Unternehmen an die bisherigen russischen Geschäftsführer verkauft.

Auch das in Russland beliebte Backpulver von „Dr. Oetker“ gibt es noch. Das Dr. Oetker-Werk in Belgorod hat das Unternehmen an die bisherigen russischen Geschäftsführer verkauft.
Auch das in Russland beliebte Backpulver von „Dr. Oetker“ gibt es noch. Das Dr. Oetker-Werk in Belgorod hat das Unternehmen an die bisherigen russischen Geschäftsführer verkauft. © Jo Angerer

Gleich in mehreren Läden findet man MacBooks und die neuesten Iphones von Apple. Sogar einen Re-Seller-Laden gibt es, mit den Geräten und Original-Zubehör. Dabei hatte sich Apple im März, kurz nach Beginn der russischen „Spezialoperation“ in der Ukraine, aus dem Russland-Geschäft zurückgezogen.

Russland: Die Preise sind deutlich höher

Doch zum Verkaufsstart des neuen Iphones 14 im September beruhigte Denis Manturow, der russische Industrie- und Handelsminister, die Apple-süchtige Kundschaft. Selbstverständlich wird es das neue Handy auch in Russland geben: „Warum nicht? Wenn die Konsumenten diese Telefone kaufen wollen, dann ja. Es wird die Möglichkeit geben.“ Nicht nur im Laden gibt es das Iphone 14, auch der russische Mobilfunkanbieter MTS vertreibt die Geräte. Allerdings zu teuren Preisen. Umgerechnet rund 1400 Euro kostet das Einsteiger-Modell.

Viele Produkte westlicher Hersteller, die sich aus dem Russland-Geschäft verabschiedet haben, sind trotzdem noch erhältlich. Wie ist das möglich? Das Zauberwort heißt „Parallelimporte“. Was nicht direkt aus China importiert werden kann, kommt über Drittstaaten ins Land.

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Russlands Regierung findet Schlupflöcher für Sanktionen

Die rechtlichen Voraussetzungen dafür hat die russische Regierung von Präsident Wladimir Putin Anfang Mai geschaffen. Das Industrie- und Handelsministerium veröffentlichte eine Liste mit Produkten aus rund hundert Warenkategorien, für deren Import keine Zustimmung der Hersteller mehr nötig ist. Handys von Apple und Samsung sind darunter, aber auch Automarken und Ersatzteile verschiedener Branchen. „Mit diesem Dokument wird die zivilrechtliche Haftung aufgehoben, wenn die Produkte von Importeuren unter Umgehung der offiziellen Vertriebswege eingeführt werden“, so das zuständige Ministerium.

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Nunmehr können Zwischenhändler, etwa in Armenien, Georgien, in der Türkei oder in Kasachstan, Waren irgendwo auf dem Weltmarkt kaufen und ganz legal nach Russland exportieren. Ohne dass es dazu eine Genehmigung des Herstellers bedarf. Innerhalb weniger Monate seien in der Türkei bereits 600 russische Firmen gegründet worden, berichtet die ARD. „Güterexporte und Importe von und nach Russland hätten sich seit August nahezu verdoppelt.“

Vor allem aber Kasachstan profitiert von dem neuen Vertriebsweg. Das Land hat sich den westlichen Sanktionen nicht angeschlossen, man nehme eine „etwas neutralere Position“ ein, erklärt der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew.

„Parallelimporte“ sollen Russlands Konsumenten bei Laune halten

Experten sind der Auffassung, dass sich durch die westlichen Sanktionen neue Möglichkeiten auftun. „Es ist durchaus zu erwarten, dass Kasachstan zu einer Art Transitland wird, um Sanktionen für Lieferungen in die Russische Föderation zu umgehen“, sagt der Wirtschaftsexperte Andrey Grozin.

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Es sind solche „Parallelimporte“, die Russlands Konsumenten bei Laune halten. Das Handelsvolumen Russlands mit den GUS-Mitgliedstaaten stieg um mehr als ein Drittel und übertraf 156 Milliarden US-Dollar, so der russische Ministerpräsident Michail Mischustin „Man muss diesen positiven Trend festigen, die Kooperation in allen Bereichen stärken“, betonte er. Die Inflationsrate hingegen sei gesunken. Laut offiziellen Zahlen auf 13 Prozent, gegenüber 18 Prozent im April dieses Jahres.

In der „Europäiskij“-Mall jeden Fall gibt es nicht alles, aber vieles aus dem Westen. Bei „Stars Coffee“ sitzen zwei junge Frauen am Nachbartisch und checken Nachrichten in ihren sozialen Netzwerken. Auf dem Iphone selbstverständlich. Verpackt in modischen Handy-Hüllen. Kann man alles ein paar Stockwerke höher kaufen. Wenn man das nötige Kleingeld hat.

Dieser Text erschien zuerst bei morgenpost.de.