São Paulo. In Brasilien waren die Menschen am Sonntag zur Wahl eines neuen Präsidenten aufgerufen. Ein klares Ergebnis gab es zunächst nicht.

Bei der Präsidentenwahl in Brasilien hat der linke Herausforderer Lula da Silva den Sieg in der ersten Runde verpasst. Nach Auszählung aller Stimmen kam der Kandidat der Arbeiterpartei PT auf 48,43 Prozent. Für einen Wahlsieg in erster Runde wären 50 Prozent der Stimmen erforderlich gewesen. Auf Amtsinhaber Jair Bolsonaro entfielen demnach 43,20 Prozent, deutlich mehr, als ihm in den Umfragen vorhergesagt worden waren.

Bolsonaro und Lula gingen am Sonntag sehr früh zur Abstimmung. Der Amtsinhaber wählte in einem knallgelben T-Shirt, das für seine Anhänger zum Erkennungssymbol geworden ist, in Rio den Janeiro und stellte erneut die Sicherheit der elektronischen Wahlurnen in Frage, die seit 25 Jahren in dem Land ohne Beanstandung genutzt werden. „Bei sauberen Wahlen soll der Bessere gewinnen, kein Problem“, sagte er.

Der amtierende brasilianische Präsident Jair Bolsonaro.
Der amtierende brasilianische Präsident Jair Bolsonaro. © AFP | Miguel Schincariol

Lula da Silva wählte in São Bernardo do Campo, am Stadtrand von São Paulo, dem Industriegebiet, in dem er einst als Metallarbeiter zu arbeiten begann. Der 76-Jährige rief die Brasilianer und die politische Gegenseite dazu auf, dem „Hass ein Ende zu setzen". „Die fanatischsten Bolsonaristas werden sich der Mehrheit der Gesellschaft anpassen müssen.“ Im ganzen Land gingen die Menschen massiv an die Urnen. Mancherorts mussten Wählerinnen und Wähler bis zu drei Stunden warten.

Die anderen neun Kandidaten landeten weit abgeschlagen. Somit kommt es am 30. Oktober zur Stichwahl um das höchste Amt im größten und wichtigsten Land Lateinamerikas. Aber es dürfte Lula nun deutlich schwerer fallen, ein drittes Mal Präsident zu werden. Denn Bolsonaro geht politisch gestärkt aus dem ersten Wahlgang hervor.

Brasilien: Wahl war überschattet von Sorge vor Gewalt

Die Meinungsforschungsinstitute hatten Lula bis zu 15 Prozentpunkte Vorsprung vorhergesagt, am Ende waren es lediglich fünf. Das Ergebnis ist jedenfalls ein Rückschlag für Brasiliens Demokratie, für Lula da Silva, die Linke und die liberale Mitte des Landes. Zudem gelang es Bolsonaros „Liberaler Partei“ (PL), bei den gleichzeitig stattfindenden Parlaments- und Gouverneurswahlen zahlreiche Kandidaten durchzusetzen. Die Wahl war überlagert von der Furcht vor Gewalt, insbesondere dann, sollte Bolsonaro das Ergebnis nicht anerkennen. Es blieb aber alles in allem weitgehend ruhig. Lesen Sie auch: Brasilien-Wahl – So brutal kämpft Bolsonaro um den Sieg

Erste Analysen legen die Vermutung nahe, dass viele Wähler in den Umfragen nicht ihre wirkliche politische Meinung kundgetan haben. Zudem schnitt der Amtsinhaber überraschend gut im Großraum São Paulo ab. Dort leben 46 Millionen Einwohnern, so viel wie in Kolumbien oder Argentinien. Bolsonaro erhielt dort 47,8 Prozent der Stimmen, sieben Punkte mehr als Lula. Lesen Sie hier: Ukraine: Russland verlegt Atombomber an Nato-Grenze

Präsidenschaftskandidat Luiz Inacio Lula da Silva bei seiner Ankunft am Wahllokal in Sao Paulo.
Präsidenschaftskandidat Luiz Inacio Lula da Silva bei seiner Ankunft am Wahllokal in Sao Paulo. © Marcelo Chello/AP/dpa

Als sich der Herausforderer als erster am Sonntagabend aus einem Hotel in São Paulo an die Öffentlichkeit wandte, standen ihm und seinem Team die Enttäuschung und der Schreck ins Gesicht geschrieben. „Das ist nur eine Verlängerung, wir werden gewinnen“, versprach er. Er habe seine bisherigen Kandidaturen immer in der ersten Runde gewinnen wollen, unterstrich Lula. „Aber das ist eben nicht immer möglich“. Lula sagte zu, weitere Allianzen zu schmieden und sein Wahlprogramm zu schärfen.

Brasilien; Bolsonaro nennt einen Grund für Niederlage im ersten Durchgang

Wenig später trat Bolsonaro in Brasilia vor die Presse: „Es gibt einen Wunsch nach Veränderung“, sagte er. „Aber diese könnte auch zum Schlechten sein". Er führte seine Niederlage einzig auf die hohe Inflation im Land zurück. Zugleich kritisierte er erneut die Meinungsforscher, die seinen Rückhalt in der Bevölkerung unterschätzt hätten. Bolsonaro nutzt das unerwartete Wahlergebnis jetzt für seine ewige Behauptung, dass die Wahlumfragen gefälscht seien. „Wir haben die Lügen besiegt." Auch interessant: Ukraine: Schneller Nato-Betritt?

Die Brasilianerinnen und Brasilianer hatten am Sonntag die Wahl.
Die Brasilianerinnen und Brasilianer hatten am Sonntag die Wahl. © AFP | EVARISTO SA

Diese Wahl ist die wichtigste seit der Wiedererlangung der Demokratie in Brasilien vor 37 Jahren. Setzt sich das autokratische rechtsradikale Projekt Bolsonaros noch einmal durch, wird er die Institutionen und damit die Demokratie des Landes weiter zerstören. Gewinnt der altbekannte links-sozialdemokratische Lula, könnte er das Land einen und wieder auf einen Wachstumskurs bringen. Zudem würde er Brasilien zurück in die Weltgemeinschaft führen. Vier Jahre Bolsonaro haben Brasilien zu einem Paria-Staat gemacht, vor allem wegen seiner Klimapolitik, aber auch wegen seines von Hass beladenen und diskriminierenden Kurses gegen Minderheiten und alles Linke.

Der Wahlkampf beginnt jetzt wieder bei null. Und man muss davon ausgehen, dass die Auseinandersetzung zwischen den beiden Politikern hart und schmutzig geführt wird. Einen Vorgeschmack gab darauf bereits das letzte Fernsehduell vor der ersten Runde am vergangenen Donnerstag. Da ging es kaum um Inhalte. Stattdessen attackierten sich Bolsonaro und Da Silva persönlich. Vor allem der rechtsradikale Amtsinhaber beleidigte seinen Kontrahenten. Brasilien steht vor einem aufregenden und gefährlichen Monat voller politischer Spannung. Lesen Sie auch: Ukraine-Krieg: Europa steht vor „historischem Fluchtwinter“

Mitentscheidend wird sein, ob es Bolsonaro gelingt, seine Beliebtheit in der Bevölkerung zu steigern. Laut Umfragen würden 52 Prozent der Brasilianer und Brasilianerinnen niemals für den Amtsinhaber stimmen. Bei Lula liegt die Ablehnungsquote bei 40 Prozent.

Dieser Text erschien zuerst auf morgenpost.de.