Steuerentlastungen für hohe Einkommen sind Unsinn. Doch die Pläne des Bundesfinanzministers dienen dem gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Die von FDP-Finanzminister Christian Lindner vorgeschlagene Steuerentlastung ist teilweise Unsinn. Leute mit 200.000 Euro Jahreseinkommen brauchen keinen Ausgleich für die Inflation. So ist die soziale Schlagseite der Initiative nicht zu übersehen. Dies entwertet größere Teile von Lindners Plan jedoch nicht.

Den Eckpunkten, die der FDP-Vorsitzende am Mittwoch präsentierte, wohnt das Dogma liberaler Steuerpolitik inne. Bürgerinnen und Bürger mit sehr guten bis hohen Einkommen sollen zusätzlich begünstigt werden. Die aktuelle Begründung dafür geht in die Irre. Privathaushalte mit 100.000 oder 200.000 Euro Monatseinnahmen spüren die aktuellen Preissteigerungen kaum. Die Inflation bedroht ihre Lebensqualität keineswegs. In einem „Inflationsausgleichsgesetz“ haben sie deshalb eigentlich nichts zu suchen.

Inflation: Entlastungen sind willkommene Verbesserung für Millionen Haushalte

Ihnen 1000 Euro pro Jahr zu schenken, ist rausgeworfenes Geld, das an anderer Stelle für notwendige Staatsausgaben fehlen wird. Zusätzliche Entlastungen für wirklich Bedürftige, bessere Ausstattung von Schulen und Kitas, mehr Lehrkräfte, zusätzliche Pflegerinnen und Pfleger in den Krankenhäusern – der Bedarf ist vorhanden. Auch in anderer Hinsicht ist die soziale Schlagseite von Lindners Vorschlag augenfällig. Denn wer keine Steuern zahlt – wirklich arme Leute – und zusätzlich keine Kinder hat, geht leer aus.

Hannes Koch, Politik-Korrespondent
Hannes Koch, Politik-Korrespondent © FMG | privat

So sichtbar solche Defizite sind – für breite Schichten der Bevölkerung bedeuten die Eckpunkte von Lindners Entlastungsplänen einen Fortschritt. Für Leute mit niedrigen und mittleren Einkommen können 150 oder 200 Euro weniger Steuern im Jahr eine willkommene Verbesserung darstellen. Und daran, dass Millionen Privathaushalte auch der Mittelschicht angesichts der stark steigenden Energiepreise knapp bei Kasse sind, herrscht kein Zweifel.

Grundsätzlich handelt es sich um ein Geschäft innerhalb der Ampelkoalition. Diese besteht aus drei Parteien. Jede muss sich im Regierungshandeln wiederfinden. Im Hinblick auf nächstes Jahr kann die SPD davon ausgehen, dass sie ihre Wohngeldreform bekommt, die vielen Bürgern bei den Heizkosten hilft. Auch das Bürgergeld als Ersatz für Hartz IV ist in der Pipeline. Die monatlichen Zahlungen dürften deutlich steigen, dafür wird der sozialdemokratische Arbeitsminister Hubertus Heil schon sorgen.

Davon profitieren auch die Haushalte mit den niedrigsten Einkommen – wobei man augenblicklich noch nicht weiß, wie bescheiden oder großzügig diese Sozialreformen ausfallen werden.

Ampel-Koalition: Warum sich jetzt auch mal die FDP durchsetzen kann

Währenddessen treiben die Grünen den Ausbau der erneuerbaren Energien voran. Ohnehin stehen Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck oft im Mittelpunkt – kein Wunder angesichts der internationalen Verwerfungen und der Gaskrise, die die grünen Ministerien managen müssen. So ist jetzt auch mal die FDP dran.

Ihr Vorschlag zur Steuerentlastung ist Politik für die Mittelschicht und Gutverdiener, von denen die Liberalen gewählt wurden. Unter dem Strich dient auch das dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Wohlhabenden und Reichen sehen, dass die Regierung an sie denkt.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Grünen-Spitze werden jetzt auch nicht aus allen Wolken fallen. Man kann davon ausgehen, dass die drei Koalitionäre Pläne wie Lindners Steuerentlastung vorher miteinander abstimmen, wenigstens grundsätzlich. Solange das so ist, erscheint diese Regierung stabil und funktionsfähig.