Istanbul. Angela Merkel besucht den türkischen Präsidenten in der Türkei. Die beiden haben viel zu besprechen. Das sind die Konflikt-Themen.

Es gibt viel zu besprechen, wenn Kanzlerin Angela Merkel heute den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Istanbul besucht: Menschenrechte, Flüchtlinge, Wirtschaftsbeziehungen – dieses Gespräch birgt Konfliktpotenzial. Das sind die Themen zwischen Merkel und Erdogan:

Merkel trifft Erdogan: Beim Flüchtlingspakt ist Syrien Konfliktthema

In der Türkei leben bereits 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge. Das Land steht damit vor großen Herausforderungen und fordert Unterstützung von der EU und Deutschland. Erdogan wünscht sich ein Bekenntnis der Kanzlerin zum Flüchtlingspakt, der Ankara EU-Hilfen zusichern und die Migration Richtung Europa eindämmen soll.

Das Abkommen wackelte allerdings immer wieder, weil in der Türkei die Flüchtlinge angesichts einer schlechten Wirtschaftslage zum Politikum werden und Erdogan die Hilfen aus Europa als unzureichend betrachtet. Er hat mehrfach gedroht, den Flüchtlingen die Grenzen Richtung Europa zu öffnen, sollte er nicht mehr Hilfe bekommen.

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    Darüber hinaus will Erdogan Gelder der EU für seine im Herbst durch einen Einmarsch eroberte sogenannte Sicherheitszone in Nordsyrien. Dorthin möchte er mindestens eine Million der in der Türkei ansässigen Flüchtlinge umsiedeln. In Deutschland hatte es wegen dieser Sicherheitszone große Diskussionen gegeben. Es gibt völkerrechtliche Bedenken, da das Gebiet bisher vom türkischen Militär und teilweise islamistischen syrischen Rebellen kontrolliert wird. Diesen werden Kriegsverbrechen vorgeworfen. Unter solchen Bedingungen deutsche Steuergelder für den Aufbau einer Infrastruktur auszugeben, wäre für Merkel in Deutschland schwer zu rechtfertigen.

    Türkische Gefängnisse: Weiterhin viele inhaftierte Deutsche

    Offiziell sitzen zurzeit 59 Deutsche in türkischen Gefängnissen, gegen 74 weitere wurde eine Ausreisesperre erlassen. Gut möglich, dass sich Merkel für diese Menschen einsetzen wird. Wenige Stunden vor dem Gespräch mit Erdogan, trifft sich Merkel mit Veysel Ok, dem Anwalt des im Jahr 2017 für zwölf Monate in türkischer Haft sitzenden Journalisten Deniz Yücel.

    Er wird Merkel möglicherweise versuchen deutlich zu machen, wie es um den türkischen Rechtsstaat bestellt ist. Die Inhaftierung von deutschen Staatsbürgern ist ein krisenhaftes Dauer-Thema zwischen der Türkei und Deutschland.

    Menschenrechte: Amnesty fordert Merkels Einsatz

    Dass Ankara und Berlin das Thema „Menschenrechte“ sehr unterschiedlich interpretieren, liegt auf der Hand. Auch deshalb will sich Merkel in der Türkei mit Menschenrechtsaktivisten treffen. Dabei dürfte es unter anderem um den Fall des Intellektuellen Osman Kavala gehen, dessen Organisation Anadolu Kültür auch mit vielen deutschen Organisationen zusammenarbeitet. Kavala sitzt seit mehr als zwei Jahren in Untersuchungshaft.

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    Im Dezember hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Entlassung angeordnet. Die türkische Justiz ignorierte das Urteil jedoch und Kavala blieb in Haft. Dem Intellektuellen und 15 weiteren Angeklagten wird ein Umsturzversuch im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten von 2013 vorgeworfen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat Merkel vor ihrem Besuch offiziell aufgefordert, sich für Osman Kavala einzusetzen.

    Botschaftsanwalt: Seit Monaten in U-Haft

    Im September wurde der türkische Kooperationsanwalt der deutschen Botschaft in Ankara festgenommen. Offiziell wirft die Türkei dem Juristen Spionage vor. In Wahrheit soll der Mann jedoch Daten von Menschen aus der Türkei bei sich gehabt haben, die in Deutschland Asyl beantragt hatten.

    Die Türkei konnte durch die Festnahme wohl nun Einsicht in diese geheimen Daten nehmen. Außenminister Heiko Maas hatte bereits im November auf eine „schnelle Lösung“ in dem Fall gedrängt. Bislang sitzt der Anwalt jedoch weiter in U-Haft.

    Wirtschaft: Türkei wünscht sich deutsche Investitionen

    In der Türkei wird sich Merkel auch mit Vertretern der deutschen und der türkischen Wirtschaft treffen. Die wünschen sich von Deutschland dringend mehr Investitionen. Denn der türkischen Wirtschaft geht es aktuell nicht sonderlich gut. Erdogan könnte ein VW-Werk in der Westtürkei zur Sprache bringen, dessen Umsetzung aktuell auf Eis liegt.

    Im vergangenen Jahr war mehrfach von „finalen“ Gesprächen die Rede – auch mit Erdogan. Dann aber verschob VW die Entscheidung wegen der massiv umstrittenen Militäraktionen der Türkei im Norden Syriens. Das passt Erdogan natürlich gar nicht. Allerdings ist fraglich, ob Merkel diesbezüglich etwas sagen kann und will. Regierungssprecher Steffen Seibert machte am Mittwoch klar, dass das Projekt eine Unternehmensangelegenheit sei.

    Libyen: Merkel will dauerhaften Waffenstillstand

    Bereits letzten Sonntag haben sich Merkel und Erdogan beim Berliner Libyen-Gipfel zum Problemthema Libyen ausgetauscht. Die Türkei hat wirtschaftliche und energiepolitische Interessen in der Region und ist einer der wichtigsten Akteure in dem Land, in dem seit Jahren Bürgerkrieg herrscht.

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      Ankaras Entscheidung, zur Unterstützung der international anerkannten Regierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch türkische Soldaten - und wohl auch alliierte syrische Milizionäre - zu entsenden, verschärfte die Furcht vor einem Stellvertreterkrieg in Libyen. Merkel wird mit Erdogan wohl auch darüber sprechen, wie ein dauerhafter Waffenstillstand zustande kommen könnte.

      EU-Beitritt:

      Schon seit 2005 ist die Türkei ein Kandidat für den Beitritt zur Europäischen Union. Gerade wegen der schwierigen Menschenrechtslage in dem Land sind die Verhandlungen aktuell jedoch weitestgehend ausgesetzt. Dennoch will Erdogan mit Merkel über den EU-Beitritt sprechen. Erst kürzlich kritisierte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu, dass dieser nicht vorangetrieben werde. Außerdem möchte die Türkei die Ausweitung der Zollunion und Visaliberalisierung besprechen.

      Das Treffen zwischen der deutschen Kanzlerin und dem türkischen Präsidenten soll auch dazu führen, das Verhältnis zwischen den beiden Ländern zu „normalisieren“. In den vergangenen Jahren war die deutsch-türkische Beziehung schließlich nicht gerade von Harmonie geprägt. Ab 2017 führte eine Serie von Festnahmen deutscher Staatsbürger in der Türkei aus „politischen Gründen“ zeitweilig fast zum Stillstand der diplomatischen Beziehungen. Weil sich die Türkei allerdings in vielen Krisen zu einem wichtigen Akteur entwickelt hat, bemüht sich Angela Merkel um eine Stabilisierung des Verhältnisses. Es bleibt abzuwarten, inwiefern das heutige Gespräch mit Erdogan dazu beitragen kann.

      (dpa, amw)