Berlin. Polens Ministerpräsident Morawiecki: Nato sollte die Verlegung von Mittelstreckenwaffen diskutieren. Putin droht nach US-Raketentest.

Nach der Kündigung des INF-Abrüstungsvertrags hat sich Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki offen für die Stationierung von Atomraketen in Europa gezeigt. „Die Frage einer Stationierung nuklearer Mittelstreckenraketen in Europa sollte innerhalb der Nato diskutiert und entschieden werden“, sagte Morawiecki unserer Redaktion und der französischen Zeitung „Ouest-France“.

Russland habe sich nicht an den INF-Vertrag gehalten, fügte der Politiker der nationalkonservativen PiS-Partei hinzu. „Deswegen verstehe ich die Sorgen der Nato.“

Moskau bestreitet, gegen den INF-Vertrag verstoßen zu haben

US-Präsident Donald Trump hatte den 1988 von den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion unterzeichneten INF-Vertrag im Februar gekündigt. Er sah das Verbot landgestützter atomarer Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern vor. Die Amerikaner hatten den Russen vorgeworfen, mit ihren Raketen (Nato-Code: SSC-8) gegen den Vertrag verstoßen zu haben. Moskau bestritt dies.

Der Kreml warf dagegen den Amerikanern vor, Raketenabwehrsysteme in Rumänien und Polen zu errichten, von denen aus auch nukleare Mittelstreckenraketen abgefeuert werden können. Das INF-Abkommen lief Anfang August aus.

Ein US-Raketentest vor wenigen Tagen sorgte für neuen Streit. Das amerikanische Verteidigungsministerium hatte am Montag mitgeteilt, dass erstmals nach dem Ende des INF-Vertrags wieder ein konventioneller landgestützter Marschflugkörper getestet worden sei.

Test vor allem an China gerichtet

US-Verteidigungsminister Mark Esper deutete an, dass der Test vor allem an China gerichtet sei: „Wir wollen sicherstellen, dass wir, wenn wir müssen, die Fähigkeit haben, schlechtes Verhalten der Chinesen abzuwehren.“ Er sei dafür, relativ bald landgestützte Marschflugkörper in Asien zu stationieren, so Esper.

Russland und China übten scharfe Kritik an dem Erprobungsflug. Kremlchef Wladimir Putin kündigte eine „deckungsgleiche Antwort“ an. Moskau müsse zuerst die Bedrohung durch die USA analysieren und dann „umfassende Maßnahmen“ ergreifen, sagte Putin bei einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates am Freitag.

Details nannte er dabei nicht. Er sehe den amerikanischen Raketentest auch als Beweis, dass die USA die Schuld für das Aus des wichtigen Abrüstungsabkommens trügen.

Polen will nun ein umfassenderes Abkommen

Polens Premier Morawiecki fordert nun ein neues, umfassenderes Abkommen. „Wir sollten uns um einen neuen Abrüstungsvertrag bemühen, der auch China einschließt“, so Morawiecki. „Nicht nur von Moskau, sondern auch von Peking geht eine Bedrohung für die freie Welt aus.“

China verfügt nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri über mehr als 2000 Mittelstreckenraketen. Aber auch die Nuklearmächte wie Indien, Pakistan oder Nordkorea sind potenzielle Bedrohungen.

Wie die Nato auf das Ende des INF-Vertrags reagieren wird, hat sie offengelassen. Aber Generalsekretär Jens Stoltenberg hat festgelegt: Die Stationierung von neuen landgestützten atomaren Mittelstreckenwaffen in Europa werde derzeit nicht erwogen.

Wird die Nato mehr Präsenz im Osten zeigen?

Man müsse das russische Verhalten nicht spiegeln, um weiter eine glaubwürdige Abschreckung und Verteidigung zu gewährleisten. Das Bündnis will erst in den kommenden Monaten über Maßnahmen entscheiden.

Eine grundsätzliche Option besteht darin, dass die Nato ihre Präsenz im östlichen Bündnisgebiet verstärkt. Zudem könnten neue konventionelle Waffensysteme und Raketenabwehrsysteme stationiert werden.

Auch hat die Nato die Option, den Schutz kritischer Infrastruktur auszubauen. Unter kritischer Infrastruktur versteht man für die Aufrechterhaltung von Staat und Gesellschaft wichtige Systeme wie die Strom- und Wasserversorgung.