Brüssel. Der INF-Abrüstungsvertrag ist Geschichte. Die USA und Russland können damit wieder uneingeschränkt atomare Mittelstreckenwaffen bauen.

Der INF-Vertrag zwischen den USA und Russland ist nun offiziell beendet. Die Nato und die EU befürchten ein neues Wettrüsten, denn ab sofort dürfen beide Länder wieder ohne Beschränkungen landgestützte atomare Mittelstreckenraketen entwickeln.

Russland schlug kurz vor dem Auslaufen allerdings erneut ein Moratorium auf die Stationierung von Raketensystemen mittlerer und kurzer Reichweite in Europa vor.

In einem in der Nacht zum Freitag verbreiteten Interview der Agentur Tass betonte der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow aber auch, dass sich Moskau in der Diskussion nicht einschüchtern lassen wolle. „Druck, Pressing und Gewalt – das ist nicht die Sprache, mit der wir mit uns reden lassen, wer auch immer das sein mag.“

INF-Vertrag beendet: Russland will laut Trump an Nuklearvertrag arbeiten

Wladimir Putin (l.), Präsident von Russland, und Donald Trump, Präsident der USA, hatten kurz vor dem Vertragsende noch miteinander telefoniert. Um das INF-Abkommen sei es aber nicht gegangen.
Wladimir Putin (l.), Präsident von Russland, und Donald Trump, Präsident der USA, hatten kurz vor dem Vertragsende noch miteinander telefoniert. Um das INF-Abkommen sei es aber nicht gegangen. © dpa | Lukas Coch

US-Präsident Donald Trump hatte am Mittwoch mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin telefoniert. Nach Darstellung von Trump ging es in dem Gespräch aber nicht um den INF-Vertrag.

Trump sagte am Donnerstag vor Journalisten, Russland sei daran interessiert, an einem Nuklearvertrag zu arbeiten. Details ließ er offen. Zuletzt hatte es zwischen beiden Seiten keine Bewegung gegeben. Mit Blick auf den INF-Vertrag erklärte Trump: „Wir werden sehen, was passiert“.

Eine Zäsur für die Sicherheitspolitik in Europa

Der Termin am 2. August war nur noch für das Protokoll. Die allerletzte Chance, das INF-Abkommen zu retten, wurde bereits Anfang Juli beim Nato-Russland-Rat in Brüssel vertan.

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Die in der Nato-Zentrale versammelten Militärdiplomaten beider Seiten waren sich der historischen Bedeutung ihres Treffens bewusst – höflich im Ton, aber in der Sache kompromisslos tauschten sie hinter verschlossenen Türen dennoch nur die bekannten Positionen aus. Als die Gesandten auseinandergingen, war das Ende des Abrüstungsvertrags besiegelt, nur sagen wollte das noch niemand.

1987: Michail Gorbatschow (l.) und US-Präsident Ronald Reagan unterzeichnen im Weißen Haus den INF-Vertrag.
1987: Michail Gorbatschow (l.) und US-Präsident Ronald Reagan unterzeichnen im Weißen Haus den INF-Vertrag. © The LIFE Images Collection via Getty Images | Dirck Halstead

Eine Zäsur für die Sicherheitspolitik in Europa. Mit dem INF-Vertrag hatten die USA und die damalige Sowjetunion vor gut 30 Jahren den Rüstungswettlauf in Europa beendet: Beide Seiten verpflichteten sich, alle landgestützten Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometer zu zerstören. Das erste und einzige Mal wurde eine ganze Kategorie von Atomwaffen abgeschafft.

Neue Spirale der Aufrüstung in Europa

Droht jetzt ein neuer Kalter Krieg? Nato-Strategen winken ab, die Situation sei nicht vergleichbar, auch wenn der russische Vize-Außenminister Rjabkow schon vor einer Raketenkrise wie in Kuba 1962 mit umgekehrten Vorzeichen warnt. Aber: Eine neue Spirale der Aufrüstung in Europa steht bevor – die Vorbereitungen haben bereits begonnen.

Die USA hatten die Kündigung im Februar damit begründet, dass Russland das Abkommen seit Jahren mit einem neuen Mittelstreckensystem (Nato-Code SSC-8) verletze. Moskau habe die landgestützten, mit Atomsprengköpfen bestückbaren Marschflugkörper mit einer Reichweite von bis zu 2400 Kilometer getestet und bereits stationiert.

Die russische Regierung versichert, die Raketen könnten nur 480 Kilometer weit fliegen, würden also vom Verbot gar nicht erfasst. Zugleich wirft sie den USA vor, ihr Raketenabwehrsystem in Rumänien und Polen könne auch für den Abschuss von Marschflugkörpern verwendet werden, was Washington bestreitet.

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Auf die Zeit ohne Vertrag vorbereiten

Nach westlichen Geheimdienstinformationen stehen die Raketen-Bataillone in Jekaterinburg östlich des Ural, auf einem Testgelände am Kaspischen Meer, in der Nähe von Moskau und in Nordossetien. Die mindestens 64 Marschflugkörper könnten ganz Westeuropa mit Ausnahme Portugals erreichen. Landgestützte Raketen, auf mobilen Startrampen gut getarnt und schnell verlegbar, sind ein Problem für jede Abwehr. Einige Nato-Strategen fürchten, Moskau wolle mit den neuen Waffen womöglich die Fähigkeit ausbauen, einen konventionellen Angriff etwa auf das Baltikum absichern, indem es mit einem regional begrenzten Atomwaffeneinsatz droht.

Umstrittene Waffe: Ein russischer Offizier neben einem Marschflugkörper vom Typ 9M729 (Nato-Code: SSC-8).
Umstrittene Waffe: Ein russischer Offizier neben einem Marschflugkörper vom Typ 9M729 (Nato-Code: SSC-8). © dpa | Pavel Golovkin

Nato-Generalsekretär Stoltenberg sagt, man müsse sich auf eine Zeit, die weniger Stabilität für alle bringe. Die Russen hätten nun eigentlich einen Zeitvorteil, heißt es in der Nato. Sie können die Stationierung der längst entwickelten Raketen weiter vorantreiben – wenn das vorgeschlagene Moratorium nicht greift. Aber auch die Nato hat sich vorbereitet, über die streng vertraulichen Planungen haben die Verteidigungsminister bereits beraten.

Die westliche Allianz wolle keinen neuen Rüstungswettlauf, wird in Brüssel versichert. Die Nato schließt deshalb einstweilen aus, dass die USA als Antwort wieder atomare Mittelstreckenraketen auf europäischem Territorium stationieren könnten. Derzeit stünden sie auch gar nicht zur Verfügung. Das Pentagon will aber mit dem Bau solcher Waffensysteme zügig beginnen, gleich für August ist der Test eines neuen landgestützten Marschflugkörpers angekündigt, bald darauf soll eine ballistische Rakete mit einer Reichweite von 2500 Kilometer getestet werden.

Amerikanische Raketenabwehrsysteme in Europa könnten umgebaut werden

Zu den aktuellen Überlegungen zählt aber nach Informationen aus Nato-Kreisen, verstärkt US-Schiffe mit seegestützten Raketen in den europäischen Raum zu verlegen und die Zahl der Atombomber in der Region zu erhöhen. Klar ist damit auch, dass die im rheinland-pfälzischen Büchel und in anderen europäischen Nato-Staaten gelagerten US-Atomraketen, die im Kriegsfall von Jagdbombern abgefeuert würden, auch hier stationiert bleiben.

Im Mittelpunkt der Überlegungen steht ein Aus- und Umbau amerikanischer Raketenabwehrsysteme in Europa. Bisher sind die Anlagen in Rumänien und demnächst in Polen nach offiziellen Erklärungen auf den Schutz vor iranischen Langstreckenraketen eingestellt. Sollen die Systeme auf die Abwehr von Mittelstreckenraketen aus Russland umgerüstet oder andernorts ganz neu aufgebaut werden, wären hohe Milliardeninvestitionen erforderlich.

Mehr Truppen und neue Waffensysteme

Den finanziellen Kraftakt wird Washington diesmal nicht allein stemmen wollen, es dürfte die Nato-Partner wohl zur Kasse bitten. Überlegt wird, dass mehr Truppen als bisher an der östlichen Nato-Grenze stationiert werden, auch die Präsenz in der Ostsee soll ausgebaut werden.

Zudem ist von der Entwicklung neuer konventioneller Waffensysteme zur Abschreckung die Rede. Und verstärkt werden soll die Überwachung und Aufklärung, was Spionage einschließt. Was genau getan wird, wollen die Nato-Staaten aber erst nach dem Auslaufen des Vertrags entscheiden.

Noch wird in der Bündnis-Zentrale der Eindruck aufrechterhalten, der INF-Vertrag sei noch zu retten: Russland müsse nur schnell seine Mittelstreckenraketen verschrotten. 1987 habe Moskau dafür auch nur wenige Wochen benötigt.