Berlin. Im Kampf um die Merkel-Nachfolge setzt Wolfgang Schäuble auf Friedrich Merz. Der Coup könnte sich für ihn selbst auszahlen.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat ein Lieblingsbild. Es hängt in seinem Büro, dem Schreibtisch gegenüber. „Verwegenheit stiften“ heißt das Werk von Maler Jörg Immendorff. Kann man Schäubles Entscheidung, sich kurz vor dem Wahl-Parteitag öffentlich für den ehemaligen Fraktionschef Friedrich Merz als CDU-Chef auszusprechen, so nennen?

In Hinterzimmern hatte der erfahrene CDU-Politiker dies längst getan, nun wählte er ein Interview in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Er formulierte Sätze wie: „Es wäre das Beste für das Land, wenn Friedrich Merz eine Mehrheit auf dem Parteitag erhielte.“

Klarer geht es nicht, zumal Schäuble es in seiner Antwort nicht nur bei der CDU belässt, sondern gleich auch Deutschland im Blick hat. Für die beiden anderen Kandidaten für den CDU-Vorsitz, Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (ebenfalls ein Zögling Schäubles) ist die Ansage auf jeden Fall bitter. Für Schäuble selbst ist sie nicht verwegen, aber doch gewagt.

Schäuble ist eine moralische Instanz in der CDU

Der 76-Jährige hat sich entschlossen, die Maske fallen zu lassen. Seine Einlassung ist ein Paukenschlag, sein Wort hat in der Partei enormes Gewicht. Er ist aufgrund seiner Erfahrung, seiner Ämter, seiner Disziplin und seiner Unbeirrtheit eine moralische Instanz in der CDU.

Zur Erinnerung: Es war Schäuble, der im Sommer die heillos zerstrittene CDU-Vorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel mit CSU-Chef Horst Seehofer wieder an einen Tisch brachte, den Zusammenhalt der Fraktion von CDU und CSU unter allen Umständen erhalten wollte – und erfolgreich war.

Doch nun stellt sich Schäuble mit seinem Favoriten Merz auch gegen die Kanzlerin. Zwar spricht er von der „außerordentlich erfolgreichen“ Kanzlerschaft Merkels. Um ein paar Sätze später hinterherzuschieben: „Selbst sehr erfolgreiche Kanzlerschaften werden nach langer Zeit irgendwann zäh.“ Worte wie Donnerhall, Ausdruck einer maximalen Distanzierung.

Schäuble und Merz eint ein schwieriges Verhältnis zu Angela Merkel. Sie hatte Schäuble im Frühjahr 2000 an der CDU-Spitze abgelöst, nach dessen Fehlverhalten in der Parteispendenaffäre. Schäuble wurde unter ihr Minister, dann Bundestagspräsident.

Bundespräsident wurde er nicht, eigene Ambitionen aufs Kanzleramt blieben Schäuble verwehrt. Merz wiederum war 2002 von Merkel von der Spitze der Unionsfraktion verdrängt worden. Es geht in diesen Tagen daher auch um persönliche Verletzungen und alte Rechnungen.

Friedrich Merz, Kandidat für den CDU-Bundesvorsitz.
Friedrich Merz, Kandidat für den CDU-Bundesvorsitz. © dpa | Christoph Schmidt

Schäuble und Merz andererseits, das ist die lange Geschichte einer Freundschaft.

„Wolfgang Schäuble hat für mich immer eine große Rolle gespielt. Ich habe mit ihm gerne zusammengearbeitet. Auch nach meinem Wechsel in die Wirtschaft sind wir beide über die Jahre immer im freundschaftlichen Kontakt geblieben. Und er gehört natürlich auch zu jenen, mit denen ich vor meiner Entscheidung für die Kandidatur gesprochen habe“, sagte Merz unserer Redaktion.

Den Markenkern der Union wiederbeleben

Schäuble wiederum betont, Merz sei „ein Mann, der mit klaren Konzepten klare Signale sendet, der den Mut hat, nicht nur das Ende einer Diskussion abzuwarten, sondern sie stattdessen zu gestalten.“ Schäuble will einen klareren, konservativeren Kurs, will den Markenkern der Union wieder hervorheben. Eine Diskussionskultur fördern, die die Merkel-Jahre seiner Ansicht nach haben vermissen lassen.

Plant Schäuble mehr als nur eine Installation seines Kandidaten? Hat er selber noch weitergehend Ambitionen? Es gibt eine Lesart, die ihn 2019 nochmal als Übergangskanzler ins Spiel bringen könnte: Geht die SPD aus der Regierung raus, gäbe es die Optionen Neuwahlen, Jamaika, oder die CDU geht in eine Minderheitsregierung.

FDP-Chef Christian Lindner würde, das hat er klargemacht, sich nicht noch einmal mit Merkel an einen Tisch setzen. Was aber würde in diesem Fall passieren? Dann könnte Schäuble als Übergangskanzler ins Spiel kommen, der eine Kandidatur von Merz vorbereitet. Dafür stünde er bereit, so glaubt mancher in der Partei. Andere winken ab. „Mit Merz als Vorsitzendem hat er sein Ziel erreicht“, so formuliert es ein Präsidiumsmitglied.

Merz will loyal zur Kanzlerin stehen

Im Kanzleramt hat man Schäubles Worte wohl gehört. Es ist eine Kampfansage für die Zeit nach dem Parteitag. Merkel hat deutlich gemacht, dass sie Kanzlerin bleiben will, egal wer ins Konrad-Adenauer-Haus einzieht. Und dass sie auch nicht vorhat, sich von dort die Leitlinien der deutschen Politik vorgeben zu lassen.

Schäuble sagte noch vor Kurzem: „Ich habe die Entscheidung getroffen, loyal zu Angela Merkel zu stehen. Und Friedrich Merz wird das auch.“ Beide wissen genau, dass ein zu frühes Sich-Lossagen von der Kanzlerin, die nicht nur in den Augen der Delegierten, sondern vor allem in denen der Funktionsträger noch Ansehen genießt, gefährlich sein könnte.

Auch Merz betonte immer und immer wieder, dass er loyal mit Merkel zusammenarbeiten könne, ergänzte aber auch stets: „aus Respekt vor dem Amt“. Und doch: Wie lange der persönliche Respekt für die Frau im Kanzleramt reichen wird, das vermag er derzeit selbst nicht zu sagen.

Wie geht es nach dem Parteitag weiter?

Eine andere Frage stellt sich noch schneller. Die Partei treibt neben aller Euphorie über den Prozess der Nominierung und die offene Debattenkultur die Frage um, wie es am Tag eins nach dem Parteitag weitergeht.

Der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand etwa, Christian von Stetten, ein Merz-Befürworter, appellierte bereits an die Delegierten des Parteitags: Sie müssten sich vor Augen halten, dass viele an der Basis, die sich jetzt für Merz begeisterten und neuen Wind brächten, sich im Falle einer Niederlage wieder brüskiert zurückziehen könnten. Stimmt.

Dasselbe gilt natürlich auch für das „AKK“-Lager. Den Kurs der Mitte, den etwa die Frauen-Union und der Sozialflügel befürworten, wäre unter einem Vorsitzenden Merz eher verwaist. „AKK“ hat keine Rückfahrkarte gelöst. Sie will nicht mehr als Generalsekretärin wirken, kündigte vielmehr an, der Partei ehrenamtlich zur Verfügung zu stehen. Was das genau das heißt, dazu hat sie bislang geschwiegen. Und Merz? Dass er sich nach dem Comeback wieder gänzlich zurückzieht, ist schwer vorstellbar.

CDU-Bewerber umgarnen NRW

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    Linnenmann könnte zum „Versöhner“ werden

    Und was ist mit Jens Spahn, dem in Hamburg die geringsten Chancen zugesprochen werden? Er hat „ehrenvoll gekämpft“, heißt es in allen Lagern. Er forderte eine stärkere Berücksichtigung der jüngeren Generation in der Partei. Vieles sei im Moment in der Verantwortung der 60- und 70-Jährigen. „Das ist auch ok, dem Land geht es gut. Viele der Jüngeren fragen sich aber, ist es eigentlich noch gut, wenn wir mal älter sind.“ So redet keiner, der zurückstecken will.

    Bleibt die Frage nach dem Generalsekretär. „AKK“ müsste einen Kandidaten ziehen, der das Merz-Lager versöhnt. Und Merz am besten eine Frau, so die Lesart. Immer wieder hört man auch, dass es jemand aus dem Osten sein müsse. Auch der Name des Fraktionsvize Carsten Linnenmann – ein Merz-Unterstützer, aber in allen Gliedern der Partei anerkannt – fällt als „Versöhner“ immer mal wieder.

    Bleibt die SPD in der Regierung, wenn Merz kommt?

    Die drei aussichtsreichsten Bewerber für den Parteivorsitz präsentierten sich auf acht Regionalkonferenzen.
    Die drei aussichtsreichsten Bewerber für den Parteivorsitz präsentierten sich auf acht Regionalkonferenzen. © dpa | Carmen Jaspersen

    Doch die Union hat es nicht alleine in der Hand. Bleibt die SPD in der Regierung, wenn Merz CDU-Chef ist? Jusos und Parteilinke, die die angeschlagene SPD-Chefin Andrea Nahles vor sich hertreiben, warten nur auf eine Gelegenheit, die GroKo zu verlassen. Sollte Merkel vorzeitig ihre Kanzlerschaft aufgeben, würde die SPD Merz nicht mal eben so zum Regierungschef mitwählen und ihm damit eine perfekte Ausgangslage für die Wahl 2021 verschaffen.

    SPD-Vize Ralf Stegner ist vorsichtig optimistisch, dass die große Koalition mit neuer Führung bei CDU und CSU eine bessere Performance hinlegen wird: „Schlechter geht ja kaum“, sagte Stegner unserer Redaktion. An der SPD liege es nicht. Der professionelle Teil der Bundesregierung „war und ist der sozialdemokratische“.

    Viele Fragen bleiben

    Vieles ist in Bewegung. Wird es eine Kabinettsumbildung geben, wenn möglicherweise ein im Januar frisch gewählter CSU-Chef Markus Söder Bundesinnenminister Horst Seehofer klarmacht, dass er nicht Minister in Berlin bleiben kann?

    Wird Spahn sich weiter mit dem Posten des Gesundheitsministers begnügen? Sollte man einen CDU-Chef, im Falle von „AKK“ oder Merz jeweils ohne Bundestagsmandat, nicht ins Kabinett einbinden? Sehr viele Fragen. Erste Antworten gibt es am Freitag. Und es wird sich zeigen, ob Schäubles Rechnung aufgeht.