Istanbul/Riad. Außenminister Maas erhöht den Druck auf Saudi-Arabien. Das Königshaus will den Tod des Reporters wohl als missratenes Verhör darstellen.

Das saudische Königshaus sucht händeringend nach einem Ausweg aus der diplomatischen Megakrise, die es sich mit dem mutmaßlichen Staatsmord an dem Journalisten Jamal Khashoggi eingehandelt hat. Nun erhöht die Bundesregierung gemeinsam mit Paris, London und Washington den Druck auf Riad. Außenminister Heiko Maas zeigt sich alarmiert. Der Vorgang sei „außerordentlich beunruhigend“, die Vorwürfe „gravierend“, sagte der SPD-Politiker unserer Redaktion. Der Fall müsse „unverzüglich und lückenlos aufgeklärt“ werden.

Die Staatengemeinschaft müsse „eine möglichst geschlossene Haltung einnehmen und – wenn wir wissen, was geschehen ist – gemeinsame Schlussfolgerungen ziehen“, fordert Maas, der in dem heiklen Fall eng mit Frankreich, Großbritannien und den USA zusammenarbeitet und mit US-Außenminister Mike Pompeo telefonierte. Die Angelegenheit ist für Berlin äußerst sensibel. Maas’ Amtsvorgänger Sigmar Gabriel hatte die sunnitischen Herrscher massiv verärgert, als er ihnen „Abenteurertum“ im Nahen Osten vorwarf.

Ausfuhr bereits genehmigter Rüstungsgüter soll erfolgen

© dpa | Bernd von Jutrczenka

Riad zog daraufhin im November 2017 den Botschafter aus Berlin ab. Maas war es erst vor drei Wochen am Rande der UN-Vollversammlung gelungen, die Wogen wieder zu glätten. Der Außenminister erklärte, Deutschland bedauere die Missverständnisse „aufrichtig“. Das alles ist durch den Fall Khashoggi wieder in Gefahr. Zumal in der SPD gerade die Linie vorbereitet wird, dass deren Minister neue Lieferungen deutscher Waffen an das im Jemen-Krieg beteiligte Saudi-Arabien künftig blockieren. Die Ausfuhr bereits genehmigter Rüstungsgüter wie Dutzende Patrouillenboote soll aber erfolgen.

Riad ist nach Berichten amerikanischer Medien inzwischen umgeschwenkt, will den Tod des Regierungskritikers vor zwei Wochen im Konsulat von Istanbul nicht mehr leugnen, sondern doch als „schiefgelaufenes Verhör“ und „versuchte Entführung“ einzugestehen, und die ganze Operation als eine eigenmächtige, aus dem Ruder gelaufene Tat übereifriger Geheimdienstler zu plakatieren.

Trump telefonierte 20 Minuten mit König Salman

Eine solche Version brachte am Montag als erster US-Präsident Donald Trump ins Spiel, offenbar um die laufenden 110 Milliarden Dollar Rüstungsgeschäfte mit dem Königreich vor den wachsenden Turbulenzen abzuschirmen. „Es klang mir eher so, als sei er möglicherweise von Schurken getötet worden“, erklärte Trump nach einem zwanzigminütigen Telefonat mit König Salman, in dem der greise, saudische Potentat erneut jede Verwicklung seines Landes in den Fall Khashoggi bestritt.

Derweil sprach US-Chefdiplomat Pompeo am Dienstag für rund 15 Minuten mit König Salman, der offenbar die ganze Tragweite des Geschehens nicht mehr erfasst. Anschließend konferierte Pompeo mit Mohammed bin Salman. „Wir sind starke und alte Verbündete, wir meistern unsere Herausforderungen gemeinsam“, beschwor der Kronprinz das saudisch-amerikanische Verhältnis. Nach US-Angaben erklärte er sich einverstanden mit einer Untersuchung der Staatsaffäre.

Im Konsulat soll es nach Putzchemikalien riechen

Ein türkischer Forensiker untersucht einen Raum im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul. Hier soll der im US-Exil lebende, saudische Journalist Jamal Khashoggi verhört worden sein.
Ein türkischer Forensiker untersucht einen Raum im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul. Hier soll der im US-Exil lebende, saudische Journalist Jamal Khashoggi verhört worden sein. © REUTERS | MURAD SEZER

Das hinter den Kulissen offenbar diskutierte neue Narrativ aber könnte den Schaden statt zu begrenzen, weiter vergrößern. König Salman selbst und sein allmächtiger Sohn Mohammed stünden als Lügner da. Auch die Mitanreise eines führenden Rechtsmediziners des Landes mit Knochensäge im Gepäck, der wissenschaftliche Aufsätze publizierte, wie man menschliche Körper zerlegt, wäre völlig unerklärlich. Zudem müsste das Königreich offenlegen, was mit der Leiche geschehen ist und wo sie sich befindet. Auch eine mögliche Präsentation der Täter und ihrer angeblichen Geständnisse könnten zu einem PR-Desaster werden.

In Istanbul durchsuchten türkische Ermittler bis spät in die Nacht das saudische Konsulat. Zuvor hatten Journalisten beobachtet, wie Putzkräfte durch den Haupteingang in dem Gebäude verschwanden. Die türkischen Beamten, die auch Proben im Garten nahmen, berichteten später, in den Fluren und Zimmern hätte es nach Reinigungschemikalien gerochen. Nach Angaben von Präsident Recep Tayyip Erdogan wurden auch Teile der Innenräume frisch gestrichen. „Die versuchen, uns auf den Arm zu nehmen“, zitierte die „Washington Post“ einen der Beteiligten. Riad stimmte allerdings zu, dass Polizeiteams diese Woche auch die Residenz des saudischen Generalkonsuls, in die Khashoggi offenbar zwei Stunden nach seinem Verschwinden in einem schwarzen Mercedes-Bus gebracht wurde, durchsuchen dürfen.