Berlin. Die große Koalition wackelt. Sollte die GroKo platzen, könnten Neuwahlen eine Option sein. Wir erklären, wie es dazu kommen könnte.

Bei Regierungskrisen in Deutschland wird unter Politikern und in den Medien immer wieder über Neuwahlen spekuliert. Aktuell steht das Szenario einer vorgezogenen Neuwahl im Raum, weil die große Koalition nach der Wahl der neuen SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken platzen könnte.

Im vergangenen Sommer hatte der Rücktritt der früheren SPD-Chefin Andrea Nahles den Ruf nach einer Neuwahl laut werden lassen, im Sommer 2018 war es die Diskussion um die Absetzung des damaligen Verfassungsschutzchefs Hans Georg Maaßen.

Doch wie kommt es überhaupt zu Neuwahlen und wie lange dauert es beispielsweise nach einer gescheiterten Vertrauensfrage einer Kanzlerin oder eines Kanzlers, bis die Bürger in die Wahlkabine gebeten werden? Wir klären die wichtigsten Fragen zu Neuwahlen:

Was kann Neuwahlen auslösen?

Das Grundgesetz schreibt zwei Fälle vor, in denen der Bundespräsident den Bundestag auflösen und damit Neuwahlen ermöglichen kann: eine in seinen Augen gescheiterte Kanzlerwahl und ein Misstrauensvotum gegen den Kanzler bei einer Vertrauensfrage. Die beiden Fälle unterscheiden sich deutlich in der Entstehung und der Dauer, in der es frühestens zu Neuwahlen kommen kann.

Hintergrund: Neuwahl-Debatte - CDU-Ministerpräsidenten attackieren SPD
Wie lange dauert es, bis es nach einer Vertrauensfrage zu Neuwahlen kommt?

• Nach einem Misstrauensvotum finden Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen nach Auflösung des Bundestages statt, wie Artikel 39 des Grundgesetzes festlegt. Allerdings können ab dem Misstrauensvotum weitere 21 Tage hinzukommen. Denn der Bundespräsident hat diese 21 Tage Zeit, um den Bundestag aufzulösen, nachdem ein Kanzler an einer Vertrauensfrage gescheitert ist (Art. 68, GG). Zusätzlich müssen zwischen dem Antrag des Kanzlers zu einer Vertrauensfrage und der Abstimmung 48 Stunden liegen. So können Neuwahlen bis zu 83 Tage nach dem Bekanntwerden des Antrages zur Vertrauensfrage liegen.

• Erhält ein Kandidat bei der Kanzlerwahl im Bundestag letztendlich nicht die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder im Bundestag, kann der Bundespräsident den Bundestag binnen sieben Tagen auflösen (Art 63, GG). Danach gilt wieder die allgemeine Frist von 60 Tagen. Von der gescheiterten Kanzlerwahl bis zum Termin der Neuwahl wären es in diesem Fall maximal 67 Tage.

Wie funktionieren vorgezogene Neuwahlen?

Kommt es zur Neuwahl, verläuft die Bundestagswahl technisch nicht anders als planmäßige Bundestagswahlen. Unterschiede gibt es jedoch bei der Entstehung und natürlich bei den politischen Vorzeichen. Auf eine turnusmäßige Bundestagswahl können sich die Parteien die gesamte Legislaturperiode vorbereiten. Neuwahlen könnten jedoch dazu führen, dass Parteien und Politiker davon überrascht werden – zumindest aber noch keinen klaren Fahrplan für den Wahlkampf vorbereitet haben.

Wann wurde im Bundestag schon mal die Vertrauensfrage gestellt?

• Zu den ersten vorgezogenen Neuwahlen kam es im Jahr 1972. Im April des Jahres gab es zunächst ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Kanzler Willy Brandt (SPD). Da das Parlament jedoch keinen neuen Kanzler wählte, stellte Brandt die Vertrauensfrage, die jedoch negativ für ihn ausging. Es kam zu Neuwahlen und Brandt blieb durch Stimmen von SPD und FDP Kanzler.

• Im März 1983 kam es erneut zu einer vorgezogenen Neuwahl. Vorangegangen war der Austritt der FDP aus der Regierungskoalition mit der SPD. Die FDP bildete daraufhin mit der Union die Regierung und Helmut Kohl (CDU) wurde noch 1982 zum Kanzler gewählt. Am 17. Dezember stimmte das Parlament dann allerdings über Kohls Vertrauensfrage ab und die Koalition aus Union und FDP stimmte aus Kalkül gegen Kohl, um den Weg für Neuwahlen freizumachen. Trotz Diskussionen um die Art und Weise, wie die Vertrauensfrage gestellt wurde, kam es am 6. März 1983 zu vorgezogenen Neuwahlen.

• Zu den letzten Neuwahlen kam es nach der gescheiterten Vertrauensfrage von Gerhard Schröder (SPD) im Jahr 2005. Nach dem Misstrauensvotum im Juli wurden für September Neuwahlen angesetzt. Bei dieser Bundestagswahl wurde die rot-grüne Regierung abgesetzt, der nächste Bundestag wählte Angela Merkel (CDU) zur Bundeskanzlerin.

• Nach der Bundestagswahl im September 2017 drohten schon mehrfach Neuwahlen. Nach den gescheiterten Sondierungsverhandlungen zwischen CDU/CSU, Grünen und FDP drohte ein Scheitern der Regierungsbildung, weil die SPD eine Neuauflage der großen Koalition mit der Union zunächst abgelehnt hatte. Auch während der langwierigen Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU/CSU bis Februar 2018 wurde dann erneut über Neuwahlen diskutiert.