Berlin. Thilo Sarrazin macht Muslimen eine Kampfansage. Der Autor behauptet, der Islam sei „langfristig auf dem Weg zur Mehrheitsreligion“.

Thilo Sarrazin hat einen Einwanderungsstopp für Muslime gefordert. In seinem neuen Buch schreibt der frühere Berliner Finanzsenator, „man muss verhindern, dass sich das demografische Gewicht der Muslime in Deutschland und Europa weiterhin durch Einwanderung und Geburtenreichtum kontinuierlich verstärkt“.

Deshalb müsse man ihre Einwanderung „grundsätzlich unterbinden und falsche Anreize im Sozialsystem beseitigen“. Gut möglich, dass es als Sachbuch katalogisiert wird. Doch schon der Titel – „Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“ – verrät: Es ist eine Kampfschrift. Sie gehört eigentlich ins Horrorfach, eine Literaturgattung, die auch ihre Berechtigung und Fans hat.

Sarrazins Buch platzt in aufgeheizte Stimmungslage

Sarrazins Horror ist, dass der Islam „langfristig auf dem Weg zur Mehrheitsreligion“ ist und dass die Muslime „in zwei bis drei Generationen die Bevölkerungsmehrheit stellen“. Deshalb der Ruf nach der anderen Einwanderungspolitik.

Das Buch hat das Zeug zum Bestseller. Dafür sprechen der Rummel im Vorfeld – die Verlagsgruppe Random House hatte den Druck abgelehnt – und das Timing. Drei Jahre nach der Öffnung der Grenzen – streng genommen waren sie offen und wurden nicht geschlossen – häufen sich die Klagen über die Flüchtlinge.

Auf die Willkommenskultur folgte Ernüchterung. Und immer öfter ist zu hören, dass Deutschland eine islamkritische Debatte brauche. Aktuell kommt hinzu, dass Sarrazins Buch mitten hinein in eine aufgeheizte Stimmungslage platzt.

SPD legt Sarrazin nahe, sie zu verlassen

In Chemnitz wurde ein Mann erstochen, zwei Migranten sind unter Tatverdacht – daraufhin brachen Unruhen aus, Rechtsradikale traten auf den Plan. Der Resonanzboden für ihn ist riesig.

Einerseits ist das Echo auf das Buch verheerend. Die SPD legte Sarrazin nahe, sie zu verlassen. Mehrere Experten wiesen ihm Fehler nach. Andererseits: Ist es für Sarrazin-Fans nicht egal, ob der Koran 114 oder 113 Suren hat, wie er fälschlicherweise schreibt, ob Bagdad 1258 oder 1253 erobert wurde – geschenkt –, dass er Alewiten und Alawiten durcheinanderbringt und den Sudan in die Maghreb-Region verlegt.

Ein typisches Beispiel für Sarrazin fanden wir auf den Seiten 257/258. Dort schreibt er, „im Jahr 2050 entfallen in Europa beim Szenario hohe Einwanderung rund 30 Prozent und in Deutschland sogar rund 40 Prozent aller Geburten auf Muslime.31“ Wer dem Literaturhinweis 31 nachgeht, liest: „das ergibt sich als Überschlagsrechnung aus dem jüngeren Altersaufbau und der höheren Kinderzahl der Muslime“.

Man kann nicht überprüfen, was Sarrazin schreibt

Überschlagsrechnung? Von wem, unter welchen soziologischen und ökonomischen Annahmen? Man kann nicht überprüfen, was Sarrazin schreibt. In seiner Denkwelt ändern muslimische Zuwanderer weder ihr Einstellungen noch lassen sie sich auf die deutsche Gesellschaft ein.

Auch andere Autoren wie Bassam Tibi, Hamed Abdel-Samad oder Joachim Wagner befürchten, dass die Integration von Migranten in Deutschland misslungen ist, zumindest falsch läuft und dass dies auch mit den Denkmustern des Islam zu tun hat. Die Islamkonferenz gilt für viele als gescheitert und für den neuen Innenminister Horst Seehofer (CSU) zählt die Religion nicht zu Deutschland.

Sarrazin hat die Skrupellosigkeit eines Vereinfachers

Sarrazin ist nicht allein, trifft mithin eine Stimmung und nicht alles ist falsch, nur weil es von Sarrazin kommt. In „Inside Islam“ beschreibt der TV-Journalist Constantin Schreiber erschrocken, „was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird“.

In „Die Macht der Moschee“ beklagt Schreibers Kollege Joachim Wagner, die Politik habe die tiefe Verwurzelung vieler Muslime in Islam und der von ihm geprägten Kultur unterschätzt. Wagner ist für sein Buch in Problemschulen gegangen, brachte empirische Studien und Alltagserfahrungen zusammen. All diesen Autoren hat Sarrazin zwei Dinge voraus: Prominenz und die Skrupellosigkeit eines Vereinfachers.

Sarrazin will den Kulturkampf

Korrekthalber schreibt er in seiner „Schlussbemerkung“ nach 420 Seiten, „man muss mit allen Richtungen des islamischen Glaubens im Dialog bleiben“. Dann schränkt er ein, „die Wahrscheinlichkeit, dass es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu einer breit angelegten Reform des Islam in Richtung Demokratie und Pluralität kommt, ist eher niedrig. Gegenwärtig dringt überall in der islamischen Welt die islamistische Radikalisierung vor.“

Wenn es um den Dialog mit den Muslimen geht, sind wohl alle Messen gelesen. 2010 schrieb Sarrazin das Buch „Deutschland schafft sich ab“. Nun treibt er seine Obsession weiter. Er will den Kulturkampf.

Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht, FBV, München 2018, 496 Seiten, 24,99 Euro