Berlin. Seehofer und seine CSU entscheiden Sonntag, ob sie in der Asylpolitik einlenken – oder den Streit mit der Kanzlerin eskalieren lassen.

Am Donnerstag war der Migrationsbeauftragte des Papstes bei ihm. Danach fuhr Innenminister Horst Seehofer früher als üblich heim nach Ingolstadt. Stehen wichtige Entscheidungen an, zieht sich der CSU-Chef zurück, schweigt, dimmt die Kommunikation selbst mit Mitstreitern auf wenige SMS runter, ärgert sich, wenn andere „quatschen“, und leidet, wenn der eigene Vize Manfred Weber im Fernsehen behauptet, die CDU-Kanzlerin habe auf dem EU-Gipfel zur Asylpolitik „geliefert“.

Daraus kann man nicht schließen, dass der CSU-Chef beidrehen und den Abnutzungskrieg gegen Merkel einstellen wird, wohl aber, dass es auch in der bayerischen Partei Merkelianer gibt.

Angela Merkel und Horst Seehofer wollten bei einem Treffen unter vier Augen am Samstagabend in Berlin versuchen, ihren erbitterten Asylstreit zu entschärfen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hatte sich der Bundesinnenminister am Abend zunächst mit seinen Experten im Ministerium besprochen. Anschließend wollte Merkel ihn im Kanzleramt empfangen. Die dpa rechnete jedoch nicht damit, dass Ergebnisse des Treffens noch am Samstag bekannt würden. Und so wird Seehofer mit seinen Eindrücken wieder nach Bayern reisen.

Seehofer hat den Vorstand und die 46 Berliner CSU-Abgeordneten für Sonntag 15 Uhr nach München in die Parteizentrale im Schwabinger Norden einbestellt, um das Vorgehen zu besprechen. Er will alle einbinden. Wenn die Unionsparteien auf einen Abgrund zurasen, soll man über die CSU-Leute sagen: Denn sie wissen, was sie tun.

Alexander Dobrindt sieht durch EU-Beschluss CSU-Kurs bestätigt

Zum Asylkompromiss, den die EU-Staats- und Regierungschefs am Freitag erzielten, hat sich nicht Seehofer, wohl aber der Berliner Landesgruppenchef Alexander Dobrindt geäußert. Er sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, der EU-Rat habe den CSU-Kurs bestätigt, europäische Lösungen und nationale Maßnahmen zu verbinden: „Wir sind bereit, das aufzugreifen, und halten nationale Maßnahmen weiter für notwendig.“ Nimmt man ihn beim Wort, müsste der Innenminister seinen Plan umsetzen und die Bundespolizei anweisen, an der Grenze Flüchtlinge abzuweisen, die in einem anderen EU-Land registriert sind oder Asyl beantragt haben.

Dobrindt gehört wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zu den Forscheren. Der flexible Söder hat freilich auch angedeutet, wie sich ein geordneter Rückzug erklären ließe: „Natürlich ist das, was in Brüssel erreicht wurde, mehr als ursprünglich gedacht.“ Bayern habe sehr viel bewegt.

Die Kanzlerin hat nach dem Gipfel bekräftigt, ihre Einstellung sei unverändert. Deutschland dürfe „nicht unilateral, nicht unabgestimmt und nicht zulasten Dritter“ handeln. Sie kam mit Spanien und Griechenland ins Gespräch und will mit beiden Staaten im Laufe der nächsten vier Wochen vereinbaren, dass sie Flüchtlinge zurücknehmen.

In Griechenland kommen weiterhin Flüchtlinge an

Ein Abkommen mit den Griechen würde helfen. EU-Kommission und UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR schätzen, dass sich 50.000 Flüchtlinge in Griechenland aufhalten. Nach Angaben des griechischen Migrationsministeriums haben vom 1. Januar bis 10. Juni 2018 insgesamt 11.800 Migranten die griechischen Inseln in der Ägäis erreicht.

Weil die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen erschöpft sind, lässt die griechische Regierung täglich Migranten von den Inseln auf das Festland verbringen, seit Jahresbeginn mehr als 9100, alte Leute, Kranke, Frauen, Kinder. Das könnte der Personenkreis sein, der versucht, weiter nach Deutschland zu ziehen. Seehofer nennt sie „Asyltouristen“.

Die Kanzlerin erwartet, dass er von einem Alleingang absieht. Sie hat mit ihm telefoniert und in einem achtseitigen Papier erläutert, dass sie von 14 Ländern Zusagen zur beschleunigten Rückführung von Migranten erhalten habe. Sie schlägt vor, (vor)registrierte Flüchtlinge in den von der CSU propagierten „Ankerzentren“ unterzubringen. Es soll entgegenkommend klingen. Was ihr Koalitionspartner will, steht schwarz auf weiß in der Juli-Ausgabe des CSU-Magazins „Bayernkurier“: „Die Asylwende“.

Horst Seehofer hat eigenen Masterplan noch nicht veröffentlicht

Seehofer hält einen Masterplan zur Zuwanderung unter Verschluss, der zunächst etwas harmlos anmutete. Der Innenminister spürte, dass viele Wähler verunsichert sind, sich nach den Skandalen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fragen, ob der Staat noch alles im Griff hat. So kam er auf die Idee, das Papier zuzuspitzen: mit der Zurückweisung von Flüchtlingen, einer Maßnahme mit hohem Signalwert und Aha-Effekt. Seehofer ging es um die Stimmung der Wähler. In kleiner Runde spricht er von den „Sachverhalten aus der Lebenswirklichkeit“. Soll heißen: Die CSU ist nah bei den Menschen, die Frau aus Berlin-Mitte ist es nicht. Tatsächlich nahm Merkel punktgenau just an der Zuspitzung Anstoß.

Die CSU will nicht wochenlang abwarten, ob die Verhandlungen mit anderen Staaten zum Erfolg führen. Die EU ist wie ein Tanker auf See, ihr Wendekreis ist groß. Die CSU aber will jetzt Land sehen. Hinzu kommt, dass Spanier und Griechen eigene Interessen vertreten. Sie pochen darauf, dass Deutschland ihnen im Zuge der Familienzusammenführung Flüchtlinge abnimmt. Es ist nicht ausgemacht, dass Deutschland nach den bilateralen Abkommen besser dastehen wird. Italien etwa will auch entlastet werden. Es verbittert Seehofer, dass Merkel eine Praxis ablehnt, die anderswo angewendet wird: Die Dänen weisen Menschen nach Deutschland zurück, die Franzosen verhalten sich so gegenüber Italien.

Nicht nur die Asyllage ist fragil, sondern auch die Verfasstheit der Koalition und die Stimmung in der CSU. Eine „Asylwende“ wünschen sich alle in der Führung. Aber nicht jeder nimmt in Kauf, Merkel zu stürzen, Fraktionsgemeinschaft und Koalition mit der CDU zu sprengen. Seit die Kanzlerin mit ihrer Richtlinienkompetenz „gewedelt“ (O-Ton Seehofer) hat, wissen sie: Merkel ist es ernst. Bekommt die CSU nun Angst vor der eigenen Courage?

Am Mittwoch wird der Minister 69 Jahre alt. Kein unbeschwerter Tag. Entweder hat er den Rückzug angetreten oder den Konflikt auf die Spitze getrieben und ist womöglich entlassen. Neulich sagte er, es gebe Situationen, „wo man eine Überzeugung hat“. Ist es so weit? Das wird sich heute zeigen.