Brüssel. Die EU droht Herkunftsländern von Flüchtlingen mit Nachteilen bei der Visavergabe, wenn sie abgelehnte Asylbewerber nicht zurücknehmen.

Die Zahl der Asylbewerber in Europa geht deutlich zurück, die illegalen Einreisen vor allem über das Mittelmeer sind auf einen Stand wie vor fünf Jahren gesunken. Nachdem die Steuerung der Flüchtlingszuwanderung europaweit sichtbare Fortschritte macht, nimmt die EU jetzt verstärkt abgelehnte Asylbewerber in den Blick: Sie sollen schneller und konsequenter als bisher in ihre Heimat zurückgeschickt werden – mit einem umstrittenen „Visumhebel“, der Druck auf die Herkunftsländer macht.

Staaten, aus denen Migranten ohne Bleiberecht kommen, drohen demnach Nachteile bei der Visavergabe, wenn sie die Rücknahme ihrer Bürger aus Europa trotz völkerrechtlicher Verpflichtung verweigern. Das ist Teil eines neuen Vorstoßes der EU-Kommission, der am Mittwoch in Brüssel vorgestellt wurde.

Schlechte Rückführungsquote seit Längerem ein Problem

„Ich kann nicht verstehen, wie ein Land sich weigern kann, seine eigenen Staatsangehörigen zurückzunehmen“, sagte EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos. An dem Problem arbeitet die Kommission genauso wie die Bundesregierung seit Längerem – nach Brüsseler Zahlen werden europaweit nur 40 Prozent der Migranten ohne Bleiberecht zurückgeschickt, oftmals, weil sich ihre Heimatländer querstellen.

Wie unkooperative Staaten empfindlich zu treffen sind, hat die EU voriges Jahr am Fall Bangladesh getestet: Nachdem von dort auffallend viele Flüchtlinge über Libyen nach Italien gekommen waren, drohten die EU-Mitgliedstaaten in konzertierter Aktion der Regierung in Dhaka mit Konsequenzen bei der Visavergabe, wenn sie ihre Bürger nicht zurücknehme.

Flüchtlingskrise: So entwickelte sich die Zahl der Asylanträge

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    Probelauf soll allgemeine Praxis werden

    Der Hebel wurde unverhohlen bei der Elite des Landes angesetzt, auch bei Inhabern von Dienst- und Diplomatenpässen. Damit sollten die Verantwortlichen für die schleppende Rücknahme von Migranten getroffen werden. Offenbar mit Erfolg: „Allein die Androhung hat geholfen“, erklärt ein EU-Diplomat. „Hohe Hürden für Reisen von Angehörigen der Führungsschicht nach Paris, London oder Berlin – so etwas wirkt.“

    Jetzt soll aus dem Probelauf allgemeine Praxis werden, auch wenn die Kommission ihren Vorstoß etwas sanfter beschreibt: Die Brüsseler Behörde soll demnach – mithilfe der Mitgliedstaaten – regelmäßig bewerten, wie Drittländer bei der Rückkehr und Rückführung von Migranten mit der EU zusammenarbeiten.

    Druckmittel zielt auf Staaten vor allem in Afrika und Asien

    Gibt es Kritik, soll die EU eine „restriktivere Umsetzung“ von Bestimmungen des Visakodex beschließen – was etwa eine längere Bearbeitungsdauer, höhere Gebühren oder eine kürzere Gültigkeit der Visa bedeuten kann. Zunächst träfe der „Visumhebel“ wohl gezielt Angehörige der Führungsschicht, später unter Umständen auch andere Bürger.

    Das neue Druckmittel zielt auf Staaten vor allem in Afrika und Asien. Avramopoulos berichtete über laufende Gespräche mit dem westafrikanischen Niger und von Fortschritten bei der Zusammenarbeit mit Pakistan, Tunesien und Marokko. Kritiker – in Deutschland etwa aus der Linkspartei – lehnen den „Visumhebel“ als „Erpressung“ ab. Die EU-Mitgliedstaaten, die jetzt wie das EU-Parlament der Reform zustimmen müssen, haben sich aber schon voriges Jahr für diese Methode ausgesprochen.

    Denn der Handlungsdruck in der Flüchtlingspolitik bleibt groß, allen Erfolgen zum Trotz. „Die Lage ist nach wie vor instabil“, sagte Flüchtlingskommissar Avramopoulos. Zu den Erfolgen zählte er, dass im vorigen Jahr nur noch 205.000 irreguläre Grenzübertritte registriert wurden, das sind deutlich weniger als im „Vorkrisenjahr“ 2014 – 60 Prozent dieser Migranten kamen über die zentrale Mittelmeerroute, die wieder an Bedeutung gewonnen hat, nach Italien.

    Druck auf die nationalen Einwanderungssysteme weiter hoch

    Die Zahl der Asylanträge ist voriges Jahr um fast 50 Prozent auf rund 650.000 gesunken. Und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini berichtete, mehr als 15.000 Menschen sei die Rückkehr aus den Migrantenlagern in Libyen in ihre Heimatländer ermöglicht worden.

    Aber der Druck auf die nationalen Einwanderungssysteme bleibe hoch, warnte der Flüchtlingskommissar: „Wir dürfen uns jetzt nicht zurücklehnen.“ Die Mahnung gilt den Mitgliedstaaten, denen die Kommission kurz vor dem nächsten EU-Gipfel ein umfassendes Pflichtenheft vorlegt: So müssten die Mitgliedstaaten mehr Geld für den sogenannten Treuhandfonds für Afrika einzahlen, der Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpfen soll.

    Auch bei der Ausstattung der EU-Grenzschutzagentur Frontex hätten die nationalen Regierungen ihre Zusagen zum Teil noch nicht erfüllt, es fehle an technischer Ausrüstung und an Experten. Zudem hat die Neuansiedlung von mindestens 50.000 Flüchtlingen, die die EU den Vereinten Nationen zugesagt hatte, um legale und ungefährliche Wege nach Europa zu öffnen, noch nicht begonnen.

    Türkei drängt massiv auf Visaerleichterungen

    Für die Türkei will die EU weitere drei Milliarden Euro bereitstellen, um dort die Betreuung von syrischen Flüchtlingen zu finanzieren. Die vor zwei Jahren geschlossene Vereinbarung zwischen der Türkei und der EU funktioniere, eine erste Finanzspritze von drei Milliarden ist aber bereits aufgebraucht.

    Strittig ist allerdings, wie die Gelder aufgebracht werden – die EU-Kommission möchte sich zwei der drei Milliarden von den Mitgliedstaaten holen, die winken dankend ab. Die Türkei erhofft sich ohnehin mehr: Sie drängt jetzt massiv auf jene Visaerleichterungen, die die EU 2016 unter Bedingungen zugesagt hatte. Doch daraus wird so schnell nichts, heißt es in Brüssel: Auch im Fall Türkei bleibt die Visavergabe ein Druckmittel.