Berlin. Bei gleichen Leistungen haben Jungen mehr Vertrauen in ihr Können. Schon früh beurteilen Schülerinnen ihre Fähigkeiten schlechter.

Jungs sind besser in Mathe, Mädchen besser in Deutsch? Der Gedanke von den geschlechtertypischen Fähigkeiten in der Schule ist weitverbreitet – offenbar auch unter Schülern und Schülerinnen. Wie eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ergab, die dieser Redaktion vorab vorlag, haben Jungen ein deutlich größeres Vertrauen in die eigenen mathematischen Fähigkeiten als Mädchen. Das gilt auch dann, wenn die Noten eine solche Einschätzung gar nicht hergeben.

Die Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS), die für den Bericht des DIW ausgewertet wurden, zeigen, wie früh die Unterschiede sich auftun: Schon unter Fünftklässlern sind sich die Jungen ihrer Fähigkeiten im mathematischen Bereich deutlich sicherer als die Mädchen.

Rund 5000 Kinder hatten angegeben, wie sehr sie den Aussagen „Ich war schon immer gut in Mathematik“ und „In Deutsch lerne ich schnell“ zustimmen. Auf einer Skala von eins bis vier bewerteten die Schüler ihre Leistungen rund 0,7 Punkte besser als ihre Klassenkameradinnen. Umgekehrt schätzen die Mädchen ihre Leistungen in Deutsch mit 2,96 Punkten rund 0,2 Punkte besser ein als die Jungen.

Noten erklären die Unterschiede nur zum Teil

Ganz unbegründet ist diese Bewertung nicht: Wie zuletzt der IQB-Bildungstrend zeigte, eine groß angelegte Studie zum Lernstand von Viertklässlern im Auftrag der Kultusminister, lässt sich generell sagen, dass Grundschülerinnen in Rechtschreibung, Lesen und Zuhören besser bewertet werden als ihre Mitschüler. Die punkten stattdessen in Mathematik.

Doch Noten allein erklären die Unterschiede in der Wahrnehmung nicht: Auch unter den Kindern, die ihrem Zeugnis nach gleich gut rechnen, schätzen sich die Jungen noch fast 0,5 Punkte besser ein als die Mädchen. Auch in anderen Fächern neigen Schüler eher dazu, ihre Leistungen überzubewerten, während Schülerinnen ihre eher unterschätzen.

Ursprung liegt vermutlich in den ersten Schuljahren

Die Unterschiede in der Leistung seien deutlich kleiner als die in der Einschätzung dieser Leistung, sagt daher Felix Weinhardt, Bildungsforscher am DIW, der die Daten ausgewertet hat. „Die Mädchen sind den Noten nach in Deutsch deutlich besser, in Mathematik etwas schlechter als die Jungen – aber nicht so sehr, dass es die Unterschiede in der Selbsteinschätzung erklären würde“, sagt Weinhardt.

Doch woher kommt das verhältnismäßig geringe Vertrauen der Mädchen in ihre Fähigkeiten? Weinhardt vermutet den Ursprung in den ersten Schuljahren. Zu Beginn ihrer Schullaufbahn seien Mädchen häufig sprachlich stärker als ihre Klassenkameraden. „Eine These ist deshalb, dass Mädchen aus dem Vergleich mit Jungen in der Grundschule den Schluss ziehen, dass sie eher der sprachbegabte Typ sind“, so der DIW-Forscher.

„Wenn man so ein positives Selbstbild hat, dann entwickelt man in diesem Bereich auch bessere Lernstrategien und steigert sich schneller.“ Der Glaube, vor allem sprachlich begabt zu sein, verstärkt also das Interesse an den entsprechenden Fächern und führt zu besseren Leistungen. Hat sich die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten einmal etabliert, ändert sie sich offenbar nur noch selten. Der Auswertung des DIW zufolge waren die Unterschiede in der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten unter Neunt- und Zwölftklässlern ebenso groß wie in der fünften Klasse.

Im MINT-Bereich fehlen Frauen als Fachkräfte

Im Ergebnis entscheiden sich nur wenige Schülerinnen für eine Laufbahn im sogenannten MINT-Bereich (zusammengesetzt aus Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik).

Dabei würden sie dort dringend gebraucht: Seit Jahren klagen Firmen über den Fachkräftemangel, 237.500 qualifizierte Kräfte fehlen laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) derzeit. Wenn sich Mädchen also gegen den MINT-Bereich entscheiden, obwohl sie die nötigen Fähigkeiten hätten, „dann ist das Potenzial, das nicht ausgeschöpft wird“, sagt Weinhardt.

Initiativen wie den „Girls’ Day“, die das ändern wollen, gibt es viele. Doch ihr Effekt ist bislang überschaubar: Noch immer ist der Frauenanteil vor allem in der Informatik und den Ingenieurwissenschaften gering.

MINT-Karriere passt nicht zum Selbstbild

Das liegt auch am Image der Fächer, sagt Ursula Kessels, die an der Freien Universität in Berlin zu Geschlecht und Bildung forscht. „Dass so wenige Mädchen einen Weg in den MINT-Fächern wählen, scheint auch damit zu tun zu haben, inwieweit sie das verbinden können mit dem eigenen weiblichen Selbstkonzept“, sagt Kessels.

Das Bild, das Mädchen von einer Laufbahn in den Naturwissenschaften hätten, passe nicht zu dem Bild, das sie von sich selbst hätten. „Mädchen entscheiden sich dann möglicherweise gegen MINT-Fächer, nicht weil sie sich die nicht zutrauen, sondern weil sie glauben, das passt nicht zu ihnen.“

Kessels plädiert daher dafür, vor allem Jugendliche für MINT-Fächer zu begeistern. „Die Wahl der Leistungskurse wird in der Mittelstufe entschieden“, sagt sie. Weinhardt kommt dagegen zum Ergebnis, dass Eltern und Lehrer schon in der Grundschule das Vertrauen der Mädchen in ihre Fähigkeiten stärken sollten. „Denn daran“, sagt er, „dass die Mädchen in Mathematik nichts können, liegt es nicht.“