Berlin. Ein OECD-Bericht bescheinigt Deutschland gute Noten bei der technischen Ausbildung. An anderen Stellen hakt es allerdings deutlich.

Deutschland und die Bildungsstudien, das ist ein schwieriges Kapitel. Etwa der „Pisa-Schock“ zu Beginn des Jahrtausends. Das unerwartet schlechte Abschneiden der deutschen Schulen im internationalen Leistungsvergleich Pisa löste in Öffentlichkeit und Politik geradezu Panik aus. Insbesondere der enge Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen hierzulande wurde kritisiert.

Seitdem gab es viele große und kleine Reformen in der deutschen Bildungspolitik. Haben sie etwas gebracht? Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stellte am Dienstag in Berlin ihren jährlichen Report „Bildung auf einen Blick 2017“ vor – ein Vergleich der 35 OECD-Staaten und den zwei Partnerländern Brasilien und Russland.

Und sie attestiert Deutschland, einem der wohlhabendsten OECD-Länder, immerhin Fortschritte. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) stellt fest, dass der „Bericht zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind“ und nannte das deutsche Bildungssystem „zukunftsweisend“. Tragen die Ergebnisse diese Einschätzung?

• Was ist in Deutschland herausragend?

Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, die sogenannten MINT-Fächer, finden bei Studenten in Deutschland mehr Zuspruch als in anderen Ländern. Der Anteil der Hochschulabsolventen in diesen Studienfächern liegt bei 37 Prozent, 40 Prozent der Studienanfänger wählen ein Fach aus diesem Bereich. Das sind Spitzenwerte unter den OECD-Mitgliedsstaaten.

Die Bildungsexperten attestieren dem deutschen Bildungssystem außerdem, besser als in anderen Ländern auf die Bedürfnisse der Wirtschaft abgestimmt zu sein. Das bedeutet, dass die Chancen hoch sind, nach der Ausbildung auch einen Arbeitsplatz zu finden. Das liegt vor allem an der dualen Ausbildung, also der Kombination aus Lehre im Betrieb und Schulunterricht. Hier besitzt Deutschland eine Expertise, die weltweit nachgefragt ist.

So interessierte sich etwa die Tochter von US-Präsident Donald Trump, Ivanka Trump, bei ihrem Berlinbesuch vor allem für die Organisation dieses Bildungsgangs. Zu Recht: Eine abgeschlossene Berufsausbildung nach dem dualen System hat mittlerweile jeder zweite unter den 25- bis 34-Jährigen. Dass damit die Chancen auf dem Arbeitsmarkt gut sind, zeigt die Beschäftigungsquote von 86 Prozent. Sie liegt damit fast gleichauf mit der Beschäftigungsquote der Akademiker von 87 Prozent. Die amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Baden-Württembergs CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann, fordert ein „gesellschaftliches und individuelles Bewusstsein“ dafür zu verankern, dass die berufliche Bildung eine „absolut gleichwertige Alternative“ zu einem Studium darstelle.

• Was zeichnet Deutschland noch aus?

Weltspitze ist Deutschland auch bei der frühkindlichen Bildung der Drei- bis Fünfjährigen. Die Quote von 90 Prozent sei „universell“, heißt es gar. Der Kita-Ausbau der letzten Jahre, die Anstrengungen, qualitative Erziehung in den Kitas anzubieten, zahlt sich hier aus. Im Jahr 2015 nahmen 93 Prozent der Dreijährigen, 97 Prozent der Vierjährigen und 98 Prozent der Fünfjährigen an Vorschulbildung teil. „Die Teilnahme an qualitativ hochwertiger frühkindlicher Bildung und Erziehung ist für die späteren Bildungsergebnisse besonders wichtig“, erklärte die OECD. Spätere Maßnahmen seien „weniger effizient“, weil sich dann ein „Entwicklungsfenster“ der Kinder bereits geschlossen habe.

• Was funktioniert nicht gut?

Keine Besserung haben die OECD-Experten allerdings bei der sozialen Durchlässigkeit des Bildungssystems festgestellt. Ein schlechtes Ergebnis für Deutschland. Es bedeutet, dass Kinder von Eltern mit geringer Bildung meistens deren Niveau übernehmen. Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern haben in Schule und Ausbildung nicht die gleichen Chancen wie Kinder aus Akademikerhaushalten. In Zahlen heißt das, der Anteil der Hochschulabsolventen, deren Eltern keinen entsprechenden Abschluss haben, stagniert seit Jahren unterhalb der 15-Prozent-Marke. Im OECD-Schnitt liegt er mittlerweile bei 20 Prozent.

Und auf noch etwas weisen die internationalen Forscher hin: Bei allem Lob der klassischen Berufsausbildung, das Studium zahlt sich deutlich mehr aus. Mit einem Master oder einer Promotion verdient man deutlich mehr. Dementsprechend kritisch sieht es die OECD auch, dass der Bildungsaufstieg in Deutschland so stagniert. Über die Generationen hinweg habe sich die „Mobilität nach oben“ nicht verbessert.

• Wie ist die Situation der Frauen?

Nachbesserungsbedarf sieht Bundesforschungsministerin Wanka vor allem bei dem Frauen-Anteil unter den MINT-Studenten. Der liegt nur bei mageren 28 Prozent. „Auf ihr Potenzial können und dürfen wir nicht verzichten“, erklärt die CDU-Politikerin. Frauen müssten besonders gefördert werden. Besonders viele Frauen gibt es allerdings unter den Lehrern in Deutschland. Hier sind 66 Prozent weiblich.

• Wie steht es um die Schulen?

Im Gegensatz zu anderen OECD-Ländern verdienen Lehrer hier fast doppelt so viel wie ihre Kollegen in anderen Ländern. Grundschullehrer erhalten in Deutschland zu Beginn ein Gehalt von umgerechnet rund 54.000 US-Dollar (45.150 Euro), der OECD-Durchschnitt liegt bei 30.838 US-Dollar (etwa 25.785 Euro). Die Lehrerschaft insgesamt ist eine der ältesten im Vergleich. Nur in Italien sind die Lehrkräfte älter. Im Durchschnitt betreuen die Lehrer 21 Schüler in Grundschulklassen und 24 Schüler in den unteren Klassen an weiterführenden Schulen. Das ist jeweils ein Schüler weniger als vor zwölf Jahren.

• Wie viel Geld fließt in die Bildung?

Während die 35 OECD-Staaten im Durchschnitt 5,2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Bildung ausgeben, kommt Deutschland auf gerade einmal 4,3 Prozent seiner Wirtschaftsleistung. Dieser Unterschied sei seit einem Jahrzehnt konstant und stehe für eine Differenz von rund 30 Milliarden Euro pro Jahr, erklärt Heino von Meyer, der Leiter des Berliner OECD-Zentrums.

Diesen Unterschied bekommen unter anderem die deutschen Grundschulen zu spüren, denn mit jährlichen Ausgaben von umgerechnet 8546 US-Dollar (etwa 7145 Euro) pro Grundschüler liegt Deutschland unter dem OECD-Schnitt von 8733 Dollar (etwa 7300 Euro).

Die Bildungsgewerkschaft GEW bezeichnet diese Diskrepanz als „Armutszeugnis für ein so reiches Land“. Das gehe vor allem zulasten der individuellen Förderung, bemängelt auch der OECD-Bildungsforscher Andreas Schleicher. Dabei sei es extrem wichtig, die Schwachpunkte einzelner Schüler möglichst früh zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern, „damit niemand durch das Raster fällt“. Dass dafür die Zeit fehle, schade vor allem den Schülern aus bildungsfernen Elternhäusern, erklärt Schleicher. „Wenn Sie aus einer sozial ungünstigen Schicht kommen, ist Schule Ihre einzige Chance.“