Braunschweig. Chefredakteur Armin Maus spricht über die Sicherheit der Impfstoffe, deren Verteilung und über die gescheiterte Fusion von Wolfsburg und Helmstedt.

"Wenn die Volkswirtschaft kränkelt, kann man alles abschneiden - nur nicht die Blutzufuhr zum Kopf, zu Wissenschaft und Forschung." - Matthias Wissmann

Die meisten Läden zu, die Kinder vor der Zeit in Ferien: Corona legt zum zweiten Mal unser Land auf Eis. Es gab keine Alternative. Aber angesichts der Einschränkungen, die das für uns alle bedeutet, drängt sich nun wirklich kein Hochgefühl auf. Für Selbstständige, Fitness- und Yogastudios, Kinos und anderen Kultureinrichtungen und nicht zuletzt den Handel ist der Lockdown nach einem Jahr der Auszehrung existenzbedrohend – eine Realität, die von schrumpfenden Staatshilfen in immer engeren Grenzen beeinflusst wird. Die Schuldenberge des Staates wachsen zu schnell, wir sehen, dass seine Kraft erlahmt. Normalität in den Staatsfinanzen wird erst in Jahren wieder einkehren – und auch nur dann, wenn unsere Wirtschaft die Corona-Folgen leidlich übersteht. Angesichts der dramatischen Einbrüche der Weltwirtschaft ist das keine Kleinigkeit.

Da kommt die Nachricht von der Zulassung der sehnlich erwarteten Impfstoffe wie bestellt. In sehr absehbarer Zeit werden auch in Niedersachsen Hunderttausende die Impfzentren besuchen, um sich gegen den Erreger immunisieren zu lassen. Es ist der erste Schritt zur aktiven Bekämpfung einer Pandemie, der wir bis dahin nur durch Verzicht auf Kontakt beikommen konnten. Ein Befreiungsschlag gegen die Einkesselung durch Covid-19.

HZI-Chef schließt Erbgut-Gefährdung aus

Sind die Impfstoffe sicher? Erstaunlich ist, wie schnell die Entwicklung und Zulassung gelang. Fachleute wie der Wissenschaftliche Geschäftsführer des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung, Prof. Dirk Heinz, erklären die Beschleunigung mit praktischer Intelligenz der handelnden Personen und Institutionen. Statt die Prüfschritte nacheinander zu gehen, wurde parallel getestet. Es ist keine Prüfung ausgelassen worden, bestätigt Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann. Auch der praktische Umgang mit den „Sensibelchen“, wie sie die Impfstoffe nennt, die bis kurz vor der Impfung tiefgekühlt werden müssen, sei beherrschbar. Es sieht so aus, als könnten wir, in der Reihenfolge, die der Grad unserer Gefährdung diktiert, bald zum schützenden Stich kommen.

Impfskeptiker, die selbst jahrzehntelang bewährte Impfungen gegen ehemals tödliche Krankheiten für Teufelszeug halten, sehen uns schon vor dem Untergang. Es ist von einem globalen Gen-Experiment die Rede. Hintergrund: Die neuen Impfstoffe bringen Erbgut in unseren Organismus, mit dessen Hilfe er lernt, das Virus zu bekämpfen. HZI-Chef Heinz erklärt, dass die Impfstoffe neu, die Wirkmechanismen aber seit Langem erprobt sind. Eine Gefährdung unseres Erbguts schließt er aus.

Weiter Weg bis zur "Herdenimmunität"

Normalbürger können diese Aussage kaum verifizieren. Aber die Fachleute verdienen Vertrauen, weil sie sich niemals zu bestellten Botschaften hergeben dürften – im Bewusstsein ihrer Verantwortung, aber auch im Interesse ihrer eigenen Existenz. Märchenerzähler straft die weltweite Wissenschaftsgemeinde mit Ächtung. Wer manipuliert, ist beruflich am Ende.

Entscheidend wird jetzt sein, dass die Impfungen in guter Ordnung vonstatten gehen. Dazu gehört die Verteilungsgerechtigkeit: Es muss fortlaufend transparent gemacht werden, welche Teile der Bevölkerung an die Nadel dürfen und warum. Alles andere würde zur Legendenbildung führen. Und wir brauchen auch nach der Impfung noch jede Menge Disziplin. Nach Stand der Erkenntnis kann ein Geimpfter das Virus verbreiten, auch wenn er selbst nicht mehr krank wird. Bis hinreichend viele Menschen geimpft sind, um die „Herdenimmunität“ zu erreichen, ist es noch ein weiter Weg.

Wir alle sollten uns sehr genau überlegen, ob wir Onkel und Oma, Mutter, Neffe und Bruder ans Herz drücken, wenn wir ihnen zu Weihnachten begegnen. Die Selbstbeschränkung wird schwerfallen, aber sie ist das Gebot der Vernunft.

Erfolgsfaktor Südostniedersachsen-Büro

Trotz mancher Fragezeichen schimmert am Horizont ein helles Licht. Freuen wir uns auf Zeiten, in denen die alten Themen wieder in voller Pracht und Wirkung vor uns stehen. Trotz Corona ist ja nicht zu übersehen, dass die bekannten Herausforderungen sich keineswegs erledigt haben.

In unserer Region sahen wir in diesem Jahr einige sehr positive Entwicklungen, die mit höherer Kooperationsfähigkeit zu tun haben. So arbeiten Allianz für die Region, Regionalverband und Amt für regionale Landesentwicklung enger zusammen. Ein Ausdruck dieser Entwicklung ist das Südostniedersachsen-Büro, das ein Erfolgsfaktor werden dürfte – die neue Landesbeauftragte Ulrike Witt hat erstaunliche Erfolge beim Modellprojekt in Südniedersachsen vorzuweisen.

Es kommen Umwälzungen auf uns zu

Von selbst wird es auch nach Corona nicht vorangehen. Diese Woche wurde zum zweiten Mal die Fusion zwischen der Stadt Wolfsburg und dem Landkreis Helmstedt ad acta gelegt – immerhin das Projekt, dessentwegen OB Klaus Mohrs seine Amtszeit verlängern ließ. Man kann daraus mehrere Lehren ziehen. Erstens: Gemeinsamkeit zu gestalten, ist schwer. Zweitens: Verzicht auf Eigenständigkeit ist noch schwerer. Drittens: Die Probleme, die solche Gespräche ausgelöst haben, legt man nicht durch die Beendigung der Gespräche zu den Akten.

Es sollte allen Verantwortlichen klar sein, dass unsere Region nach Corona und mit den Veränderungen in der Automobilindustrie deutlich sparsamer wirtschaften und deutlich enger zusammenarbeiten muss als bisher. Es kommen Umwälzungen auf uns zu, deren Folgen weit nachhaltiger sein werden als die Corona-Krise. Sie sind kein Grund, in Angststarre zu verfallen. Ganz im Gegenteil: Sie rufen nach Handlungsfähigkeit. Auf diesen Ruf geben Heimatstolz und kommunales Selbstbewusstsein keine ausreichende Antwort.