Braunschweig. Chefredakteur Armin Maus spricht im Podcast über Spalter und Verbindende - und zitiert eine Heavy Metal-Legende.

Vorurteile? Die haben wir alle doch bestimmt nicht! Oder doch? Wer zum Beispiel glaubt, Heavy Metal sei einfach nur laut und überhaupt etwas für Dumpfbacken, der sollte Bruce Dickinson lesen. Der Sänger der Band „Iron Maiden“ hat viele kluge Songtexte und eine hinreißende Autobiografie geschrieben. Und zu dieser Woche passt ein Satz, den er sagte, nachdem ein Konzertbesucher aus dem Saal geflogen war – er meinte, den Hitlergruß zeigen zu müssen. Dickinson: „Ich glaube, die Leute brauchen ein paar mehr Geschichtslektionen, jedenfalls eher als Lektionen in Ignoranz, die augenscheinlich viel zu oft serviert werden.“

USA erleben ihre nächste Katastrophe

Diese Woche erlebte Amerika seine nächste Katastrophe. Ein weißer Polizist schießt einen schwarzen Verdächtigen nieder. Und wieder sind die Vereinigten Staaten in Aufruhr. Tausende versammeln sich zu Demonstrationen gegen Rassismus. Einige schlagen in Gewalt um. Der Wahlkämpfer Donald Trump und seine Unterstützer versuchen den Eindruck zu erwecken, es handele sich bei den Demonstranten durchweg um einen plündernden Mob, den unfähige Politiker aus dem gegnerischen Lager der Demokraten gewähren ließen. Damit verschärft er den Konflikt und fügt seiner langen Reihe von grotesken Realitätsverbiegungen eine besonders gefährliche, spaltende, Wut schürende hinzu.

Der Protest hat tiefe Wurzeln und er wird von Stützen der amerikanischen Gesellschaft geteilt. Dass Sportstars demonstrativ ihre Spiele verweigern, beweist, dass auch solche Amerikaner die Nase voll haben, die systematische Benachteiligung und die Schikanen durch schlecht ausgebildete und frustrierte US-Polizisten im Alltag kaum noch erleben dürften.

Schwarz zu sein, bedeutet noch immer, es schwerer zu haben

Das Elend der Diskriminierung scheint weite Teile dieses „Landes der Freien“ noch immer fest im Griff zu haben, fast auf den Tag genau 57 Jahre nach Martin Luther Kings „Marsch auf Washington“, 56 Jahre nach der Unterzeichnung des Civil Rights Act, der die Rassentrennung aufhob. Das Gesetz war das Vermächtnis des Präsidenten John F. Kennedy, er war acht Monate zuvor ermordet worden.

Schwarz zu sein, bedeutet noch immer, es schwerer zu haben. Die Arbeitslosenquote ist bei Schwarzen höher als bei Weißen, und sie ist in der Corona-Krise stärker gestiegen. Schwarze verdienen weniger, sie haben, wie der „Tagesspiegel“ dieser Tage vorrechnete, gerade ein Zehntel des Vermögens weißer Haushalte. Der soziale Aufstieg fällt ihnen schwerer. Wer schwarz ist, hat ein höheres Risiko, verhaftet zu werden, die Bestrafung schwarzer Straftäter fällt häufig härter aus als die von Weißen, die vergleichbare Taten auf ihr Gewissen geladen haben. Die Reihe der statistisch belegten Tatsachen lässt sich fortsetzen.

Auch Demokraten haben die Weichen nicht umgestellt

Die Chancen eines neuen Erdenbürgers entscheiden sich nicht nur an seiner Hautfarbe. Aber die Pigmente bestimmen offensichtlich über die Wahrscheinlichkeit, dass er in sozial schwacher Umgebung, mit schlechteren Schulen und höherer Kriminalitätsrate aufwachsen wird. Und das hat Folgen. Man sollte sich übrigens nicht zu sehr an Trump und den Republikanern abarbeiten: Auch demokratische Präsidenten, Gouverneure und Bürgermeister haben die Weichen nicht umgestellt.

Amerika ist in Aufruhr. Aber wer jetzt von „Rassenunruhen“ spricht, greift viel zu kurz. Hinter dem Konflikt steht eine soziale Schieflage der amerikanischen Gesellschaft, die sich, wenn man so will, an der Hautfarbe festmacht.

Das kollektive Desinteresse eines so bedeutenden Landes am sozialen Ausgleich ist für unsere europäischen Augen erstaunlich. Es ist ethisch fragwürdig und führt zur wirtschaftlicher Unvernunft: Die Corona-Krise zeigt, dass unsere gut ausgebauten sozialen Sicherungssysteme schwere Erschütterungen des gesellschaftlichen Gefüges wirksam dämpfen.

Das Kurzarbeitergeld sichert Arbeitsplätze in Deutschland

Das Kurzarbeitergeld zum Beispiel sichert in Deutschland gerade die Existenz von Hunderttausenden von Unternehmen und Millionen von Arbeitsplätzen, es schützt leistungsfähige Unternehmensstrukturen und Belegschaften. Das Durchstarten nach dem Ende der Krise wird so sehr viel leichter fallen.

Deshalb war die Verlängerung bis Ende nächsten Jahres in dieser Woche eine richtige, wichtige Entscheidung der deutschen Bundesregierung. In den USA ist das nicht möglich – mit dem Ergebnis, dass die Zahl der Arbeitslosen von 7 Millionen auf 23 Millionen hochschoss; der Arbeitsmarkt erholt sich nur langsam, noch immer suchen rund 16 Millionen Menschen Arbeit.

Unsere Gesellschaft würde solche Brüche nicht aushalten. Die Reaktionen auf die Flüchtlingskrise haben uns gezeigt, wie schnell bei uns selbst im konjunkturellen Höhenflug ein Gefühl der Gefährdung entstehen kann, das zu massiven politischen Verwerfungen führt. Insofern ist der soziale Ausgleich, den Gewerkschaftsbewegung und Sozialdemokratie erkämpft haben, auch ein Garant unserer politischen Stabilität.

Sally Perel wird Ehrenbürger Braunschweigs

Ein zweiter ist die Wachsamkeit gegenüber all jenen, die mit Respekt und Toleranz, mit Menschenwürde, Freiheit und Bewahrung des Friedens nichts im Sinn haben. Die Stadt Braunschweig hat diese Woche einem unermüdlichen Mahner die höchste Ehre erwiesen: Sally Perel, der „Hitlerjunge Salomon“, ist nun ihr Ehrenbürger. Man kann dieses Zeichen nicht hoch genug bewerten. Es ist das Bekenntnis einer bedeutenden Stadt zu den Werten, auf denen die freiheitliche Demokratie ruht, aber auch zu der Verantwortung die sich aus den Verbrechen der Nationalsozialisten ergibt.

Die kluge Laudatio des Oberbürgermeisters Markurth, die bewegende, unsere historische Verpflichtung benennende Festrede des Braunschweiger VW-Betriebsratschefs Uwe Fritsch und Sally Perels Erwiderung sollten zum Lehrprogramm unserer Schulen gehören. Sie finden diese Texte frei zugänglich auf unseren Internetportalen.

Besser als mit diesem Dreiklang kann man nicht erklären, wie der Frieden bewahrt werden kann, was das demokratische Deutschland ausmacht – und warum wir uns gemeinsam den Scharfmachern und Spaltern in den Weg stellen sollten.