Braunschweig. Chefredakteur Armin Maus spricht im Podcast über die Vorschläge der Politik, die Wirtschaft trotz Corona-Pandemie am Laufen zu halten.

Eines der wichtigsten Dinge, die du auf dieser Erde tun kannst, ist Menschen wissen zu lassen, dass sie nicht allein sind. Shannon Alder

Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann ist nicht dafür bekannt, als Oldenburger Ausgabe der Cassandra durchs Land zu wandeln. Und doch sagt er, wir müssten mit deutlich mehr Firmenpleiten rechnen, als bisher diskutiert wurde. Es empfiehlt sich, ihm zuzuhören. Nicht wenige unserer Unternehmen kämpfen um ihre Existenz.

Jeder wird sofort an die Corona-Krise denken, die tatsächlich ganze Branchen in schwere Wasser führte. Aber auch schon vorher schufen Handelskriege, eine lahmende Weltkonjunktur und nicht zuletzt der tiefe Strukturwandel durch digitale Technik massive Probleme.

Der Steuergeld-Einsatz von Bund und Ländern hat in der aktuellen Not Eskalationskurven abgeflacht. Mehr kann der Staat nicht leisten; er ist am Ende seiner Kraft. Und auch die kundenfreundlichste Bank muss ihre Unterstützung versagen, wenn sie für eine Firma keine Perspektive mehr sieht. Wenn bald die Pflicht zum Gang vor den Konkursrichter wieder greift, werden wir mit großer Sicherheit sehen, dass Althusmann leider allen Grund zum Pessimismus hat.

Zugleich zeichnet sich ab, dass viele im Kern gesunde Unternehmen ihren Sparkurs verschärfen. Menschliche Arbeitskraft, die der intelligenter werdende Kollege Computer überflüssig macht, wird unter dem Druck der allgemeinen Wirtschaftslage sehr viel schneller abgebaut werden. Manche angeschlagene Großbank ist nur deshalb an radikalen Maßnahmen gehindert, weil auch Personalabbau sehr viel Geld kostet.

Wer verhindern will, dass aus dieser Gemengelage eine Abwärtsspirale entsteht wie bei vielen unserer Partnerländer, der muss handeln. Wenn man herzlos denken will und ausblendet, wie furchtbar die Erfahrung ist, von einem Tag auf den anderen nicht mehr gebraucht zu werden, vor eine ungewisse Zukunft und eine von schweren finanziellen Nöten begleitete Gegenwart gestellt zu werden: Jeder, der arbeitet, trägt mit Kauf- und Steuerkraft zur Stabilisierung bei und schont die Sozialsysteme.

Vor diesem Hintergrund ist der Vorstoß der IG Metall dieser Woche gut und wichtig: Metaller-Chef Jörg Hofmann setzt die Vier-Tage-Woche auf die Tagesordnung. Die Logik ist einfach. Wenn weniger Arbeit zu tun ist, kann man Jobs abbauen – oder die Arbeit anders verteilen. Ob man jeden fünften Arbeitsplatz aufgibt oder ob jeder Beschäftigte ein Fünftel weniger arbeitet, wäre wirtschaftlich egal, es würde aber 20 Prozent einer Belegschaft die Existenz retten.

Das wird nicht allen Unternehmen und ihren Beschäftigten helfen. Aber es könnte in der Krise für viele eine Perspektive bieten. VW hat bewiesen, dass flexible Arbeitszeitmodelle wie das Konzept der „atmenden Fabrik“ nicht nur Arbeitsplätze sichern. Dass VW nach der Krise so schnell wachsen konnte, hat viel damit zu tun, dass das Unternehmen seine Belegschaften erhalten hatte. So konnte es seine Wachstumschancen nutzen, ungebremst durch die Not, auf die Schnelle Fachkräfte zu finden. Aktuell ist dort die Vier-Tage-Woche übrigens kein Thema, heißt es aus dem Betriebsrat – vor dem Hintergrund der sich erholenden Auftragslage und einem langfristig angelegten Transformationsprozess.

Das Echo auf Hofmanns Forderung ist insgesamt sehr sachlich und vielfach positiv ausgefallen. So ließ Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in den Zeitungen der Funke Mediengruppe Sympathie für eine intelligente Neuverteilung der Arbeit erkennen.

Die Geister scheiden sich an der Frage eines Lohnausgleichs. Wenn Menschen einen Tag weniger arbeiten, ihr Einkommensverlust aber teilweise ausgeglichen werden soll, steigen die Kosten, sagt etwa der Wirtschaftsrat der Union. Für angeschlagene Unternehmen wäre das ein großes Problem, für leistungsfähigere allemal eine Belastung. Arbeitnehmervertreter dagegen weisen mit ebenso gutem Recht auf die Lage der Beschäftigten: Die müssen sich die Arbeitszeitreduzierung leisten können.

Die Lösung liegt nicht in der staatlichen Verordnung. Heil verweist richtigerweise auf die Tarifparteien: Die Sache liegt eindeutig in ihrer Zuständigkeit. Das ist auch gut so. Gewerkschaften und Unternehmer haben bewiesen, dass sie, in der Fläche oder auf Betriebsebene, intelligente Lösungen schaffen. Der Ausgleich der Interessen ist bei den Tarifparteien gut aufgehoben. Denn hier ist das Bewusstsein deutlich stärker ausgeprägt, dass jeder Euro verdient werden muss, bevor man ihn verteilt. Als Zeuge der politischen Diskussion am linken Rand könnte man glauben, Ökonomie sei nur die Kunst, genügend Goldesel auf die Weidegründe unserer Republik zu stellen.

Wir müssen uns auf eine Zeit einrichten, in der Unsicherheit in Fabrikhallen und Büros einzieht. Auch in solche, die bisher von der Konjunktur verwöhnt waren. Man wünscht sich Offenheit bei den Tarifparteien, damit Antworten gefunden werden können, die klüger sind als die Ausfertigung von Kündigungsschreiben. Und zwar jetzt.

Die Vier-Tage-Woche allein wird nicht reichen. Wir brauchen deutlich arbeitsmarktnähere Instrumente der Fortbildung und Umschulung, um Menschen eine berufliche Zukunft zu geben, deren alter Beruf verschwunden ist. Ihre Arbeitskraft wird nach der Krise dringend gebraucht. Denn der Fachkräftemangel ist durch Corona nur verdeckt, nicht aufgehoben.

Und wir brauchen endlich eine konzertierte Aktion, um unsere Schulen und Berufsschulen, Berufsakademien und Hochschulen auf den Stand des 21. Jahrhunderts zu bringen. Vor allem der Staat geht an viel zu vielen Stellen fahrlässig mit den Zukunftschancen um. Sie liegen bei einem Land ohne Rohstoffe in der Bildung und nirgendwo sonst. Nur mit bestmöglicher Qualifikation werden wir gegen die gut organisierten Aufsteiger aus Asien bestehen.