Braunschweig. Chefredakteur Armin Maus spricht im Podcast über die bayerische Testpanne und darüber, dass Deutschland in vielerlei Hinsicht zu langsam ist.

Alles ist so einfach, wie Du es machst. Anthony Liccione

In Bayern hat der Staat gerade 44.000 Menschen tagelang auf ihr Corona-Testergebnis warten lassen. Darunter sind 900 Infizierte. Hoffentlich waren sie alle schlau genug, sicherheitshalber ganz für sich zu bleiben. Sonst gehen ausgerechnet der Corona-Bekämpfer Markus Söder und seine sympathische Gesundheitsministerin Melanie Huml als politische Superspreader in die jüngere deutsche Infektionsgeschichte ein.

Der Grund für den bayerischen Testwahnsinn ist schnell erklärt: Es gab keine Online-Übermittlung der Daten. Alles musste auf Formblättern notiert und dann von Auge und Hand entziffert und eingetippt werden. Und offenbar kam niemand auf die Idee, dass das zügig zu geschehen habe.

Der Vorgang passt zum Klischee der IT-Wüste Deutschland, das sich unser Land leider redlich verdient hat. Seine Symbolkraft reicht aber weiter. Um es auf den Punkt zu bringen: Deutschland ist zu langsam.

Der SPD-Abgeordnete Marcus Bosse erinnerte sich diese Woche in Salzgitter-Westerlinde beim Ortstermin an der Stromtrasse, die Windenergie unter Hochspannung von der Küste ins Binnenland bringen soll: „Während meines ersten Landtagswahlkampfs 2007 habe ich vor 13 Jahren an genau dieser Stelle schon über dieses Projekt diskutiert. Da muss sich die Politik auch selbst an die Brust fassen. Die Planungszeiträume sind einfach extrem und viel zu lang.“

Da hat er Recht. Vieles, was wirtschaftlichen Gewinn und ökologische Schonung, Lebensqualität und Zukunftschancen verspricht, droht bisher im Nebel einer fernen Zukunft zu verschwinden. Oft genug ist genügend Geld vorhanden, aber es darf nicht verbaut werden.

Die individuellen Klagerechte mögen die Position des Einzelnen in begrüßenswerter Weise gestärkt haben. Aber das Gemeinwesen droht darüber zum Stillstand zu kommen: Wir haben es mit dem Schutz vor Veränderung so weit getrieben, dass sich vieles tatsächlich nicht mehr ändert.

Die Bundesregierung hat gerade ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die Weichen neu stellen könnte. Das „Investitionsbeschleunigungsgesetz“ soll große Infrastrukturprojekte wieder kalkulierbar machen. Ein Raumordnungsverfahren ist nicht mehr zwingend vorgeschrieben, die Verfahren sollen digitaler werden. Elektrifizierung von Bahnstrecken und kleinere Maßnahmen werden genehmigungsfrei. Die Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung wird in solchen Fällen gelockert. Die Klagewege werden kürzer, weil gleich vor dem Oberverwaltungsgericht oder dem Verwaltungsgerichtshof geklagt werden muss. Landesstraßen, Häfen, Wasserkraftwerke oder Windkraftanlagen und alles, was dem Bergrecht unterliegt, werden leichter zu realisieren sein.

Das darf und wird nicht zur Entrechtung von Anliegern oder zur Schutzlosigkeit der Umwelt führen. Aber es wird und muss dazu beitragen, die Lähmung zu überwinden, die unser Gemeinwesen befallen hat. Diese Lähmung bringt an sich vernünftige Menschen dazu, in ihrer Ohnmacht Parallelen zum Niedergang des römischen Reiches zu ziehen oder die Frage aufzuwerfen, ob das totalitäre Regime Chinas nicht doch dem besseren Konzept folge.

Richtig ist am Letzteren nur, dass wir den globalen Wettbewerb deutlich ernster nehmen müssen. Wir alle wissen: Nur Demokratie und Rechtsstaat sichern die Freiheit und die Rechte des Einzelnen. Unser System ist zugleich das deutlich intelligentere. Nur im demokratischen Pluralismus lassen sich Interessen so ausgleichen, dass unterm Strich die bestmögliche Lösung für das Gemeinwesen steht. Und: Demokratie und Marktwirtschaft haben ihre ökonomische Kraft bewiesen.

Das wird auch so bleiben, wenn wir die Balance zwischen Schutz und Chance wiederherstellen. Ob das gelingt, wird von der Klugheit aller Gesetzgeber abhängen. Es wäre zum Beispiel ein Schildbürgerstreich, wenn das Berliner Beschleunigungsgesetz durch Regeln ausgehebelt würde, die Niedersachsens Landesregierung nun erwägt, um die Umweltschützer auf dem „niedersächsischen Weg“ beim Natur-, Arten- und Gewässerschutz zu halten.

Vor allem aber können und dürfen wir nicht bei einer Beschleunigung der Verwaltungs- und Rechtsvorschriften bei Großprojekten stehen bleiben. Der Radweg, auf den Bürger über zehn Jahre warten, ist für sie nicht weniger wichtig als die Schnellbahnstrecke im nationalen Maßstab. Über Arbeitsplätze entscheidet auch der Bau der Halle des Unternehmens um die Ecke.

Nach Corona ist Hausputz angesagt. Anders werden wir der Wirtschaftskrise und dem internationalen Wettbewerb zu wenig entgegenzusetzen haben. Und wenn die Wege für Zukunftsprojekte frei sind, müssen wir bereit sein, sie auch zu gehen. Wäre es allzu unfreundlich, würden wir behaupten, dass der eine oder andere Entscheider in der Vergangenheit ganz froh war, auf die hohen rechtlichen Hürden verweisen zu können? Hinter dieser Deckung nimmt mancher Platz, der ganz andere Gründe für seine Untätigkeit hat.

Ich persönlich bin sehr gespannt, wo unsere Schulen nach dem Ende der Sommerferien stehen werden. Was wird sich an der beklagenswerten technischen Ausstattung verändert haben, die das Home Schooling für viele Lehrerinnen und Lehrer und ihre Schüler zur Qual machte? Wird es Lehrkonzepte geben, die digitale Unterrichtsformen zu einer ernstzunehmenden Alternative machen, wenn Präsenzunterricht nicht möglich ist? Oder werden wir uns in derselben Lage wiederfinden wie im März, als alle Kinder nach Hause geschickt werden mussten? Dass es sage und schreibe bis zum Donnerstag dieser Woche dauerte, bis sich die Bildungsminister von Bund und Ländern zum Gespräch über die Lage an den Schulen trafen, ist kein gutes Zeichen.

Deutschland ist zu langsam. Die gute Nachricht ist: Wir können es ändern.