Braunschweig. Chefredakteur Armin Maus spricht im Podcast über Verschwörungstheoretiker, falsche Teilnehmerzahlen und die Verantwortung der Bürger und der Politik.

Zwischen den samtenen Lügen liegt eine Wahrheit hart wie Stahl. - Ronnie James Dio, Holy Diver

Man gewöhnt sich allzu schnell an die Errungenschaften unserer Demokratie. Dann erscheint selbstverständlich, was für die Menschen in vielen Ländern der Welt ein Traum bleibt: Das Recht auf freie Wahlen und freie Meinungsäußerung etwa, auf Pressefreiheit und das Recht, für seinen Standpunkt auf die Straße zu gehen. Von 195 Staaten der Welt stufte die verdienstvolle Organisation Freedom House gerade einmal 83 als freie Länder ein.

Wer eine große Errungenschaft zu selbstverständlich nimmt, mag bereit sein, sie infrage zu stellen. Nur so ist erklärbar, dass ausgewachsene, demokratisch gewählte Mandatsträger laut über eine Einschränkung des Demonstrationsrechtes nachdenken.

Chefredakteur Armin Maus.
Chefredakteur Armin Maus. © BZV Medienhaus

Einschränkungen der bürgerlichen Freiheit

Anlass ist die Berliner Demonstration von Corona-Skeptikern, Impfgegnern, Corona-Leugnern, Esoterikern, Rechtsextremisten und ganz normalen, um die Zukunft unseres Landes besorgten Bürgern. Bei dieser Demonstration ist einiger Unsinn gesprochen worden. Es gebe keine Corona-Pandemie, hieß es da. Als ob die wieder steigenden Infektionszahlen in Deutschland und mehr als 700.000 Todesopfer weltweit nicht Beweis genug wären, wie gefährlich das Virus Sars-CoV-2 ist!

Viele stellten aber auch die Frage, ob die Einschränkungen der bürgerlichen Freiheit in einem gesunden Verhältnis zur Gefährdungslage stünden. Diese Frage darf und muss in einem freien Land gestellt werden. Staatlich verfügte Regeln müssen verhältnismäßig sein. Dies ist ein prägender Unterschied zwischen autoritären und demokratischen Systemen.

Nicht, dass wir Grund hätten, die politischen Entscheider zu beneiden. Sie müssen im Einklang mit Recht und Gesetz Abwägungen treffen, die weitreichende Folgen haben. Der beispiellose Rückgang der Wirtschaftsleistung, hohe Kurzarbeiterzahlen und immer mehr Arbeitslose, aber auch die Probleme unseres Bildungssystems sind Folgen dieser Entscheidungen; sie sind in Friedenszeiten historisch ohne Beispiel.

Auch extreme Meinungen dürfen vertreten werden

Die Gesamtbilanz muss zeigen, ob die Abwägung nach bestem Wissen, in kluger Vorausschau, mit Augenmaß und Sorgfalt getroffen wurde. Die Teilnehmer der Berliner Demonstration sprachen den politisch Verantwortlichen all dies ab. Sie unterstellen ihnen, sie wollten die Freiheit der Bürger dauerhaft beschneiden, zum Teil wurden Weltverschwörungstheorien artikuliert. Polizeibeamte und Journalisten hatten einen schweren Stand, weil sie als Werkzeuge dieser Verschwörung diffamiert werden.

In einem freien Land dürfen in den Grenzen des Rechts auch extreme Meinungen vertreten werden. Sie müssen sich als Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Diskussion allerdings daran messen lassen, ob sie mehr sind als die Aufwallung einer verunsicherten, gereizten Seele. Bei aller Kritik an Entscheidungen, die man auf der Basis heutigen Wissens anders getroffen hätte: Das Halbjahreszeugnis der Bundesregierung, Länderregierungen und Kommunen fällt eindeutig positiv aus. Die geringen Infektionszahlen, die Deutschland vor der Ferienzeit erreicht hatte, sind ja kein Beweis, dass es Corona nicht gäbe. Sie zeigen, dass es unserem Land und jedem seiner Bürger durch Disziplin gelungen ist, die Pandemie zu beherrschen.

Freiheit heißt auch Verantwortung übernehen

Die Erfolge im Kampf gegen die Corona-Pandemie haben viel damit zu tun, dass Politiker auf die Wissenschaft gehört, dass sie ihre Entscheidungen an harten, aktuellen Fakten ausgerichtet haben. Wenn Meinungen sich von den Tatsachen emanzipieren, wird es schwierig. Völlig inakzeptabel aber ist es, wenn aus dieser Emanzipation eine Gefährdung anderer Menschen resultiert. Genau das ist einem großen Teil der Demonstranten vorzuwerfen: Ohne Abstand und Masken kann ein Treffen von Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet zum Ansteckungsherd werden.

Freiheit heißt immer auch: Verantwortung übernehmen. An diesem Punkt haben die Demonstranten versagt. Das Virus schert sich nicht darum, ob jemand an seine Existenz glaubt. Es befällt ihn einfach. Und auch diejenigen, denen er anschließend zu nahe kommt. Auch die Corona-Skeptiker dürfen sich über die Schutzrechte ihrer Mitbürger nicht hinwegsetzen. Die Berliner Behörden haben in ihrer Angst vor Eskalation länger zugesehen als nötig. Ein Grund für die Einschränkung des Demonstrationsrechts ist das aber nicht.

1,3 Millionen Demonstrations-Teilnehmer?

Erstaunlicherweise kreiste die Diskussion anschließend vor allem um die Zahl der Teilnehmer. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Protschka, hurra, wir besetzen ein neues Reizthema, dankte „1,3 Millionen friedlichen Demonstranten die gestern in Berlin für Freiheit demonstrierten“, obwohl es nach Polizeischätzungen lediglich 20.000 waren. Jeder kann sich anhand der Luftbilder überzeugen, dass es ein paar Tausend mehr gewesen sein können – aber es waren keine Menschenmassen wie bei der Love Parade. Wer darauf hinwies, war gleich wieder Werkzeug der großen Merkel-Verschwörung.

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Die Gefahr durch Corona ist zu groß für solches kindische Geplänkel. Wer ihr nicht mit Vorsicht begegnet, riskiert Zustände wie in den Vereinigten Staaten. Deren Präsident hat mit seiner unverantwortlichen Verharmlosung maßgeblichen Anteil an der Ausbreitung von Covid-19; gegenwärtig sieht es so aus, als könnte ihn dieser Fehler seine sichergeglaubte Wiederwahl kosten. Auch das ist Demokratie: Gewählt wird nach Leistung und nach Vertrauen.

Es geht um Verantwortung, Augenmaß, Verhältnismäßigkeit. Vor Überhitzung ist zu warnen. Das gilt allerdings auch für die Politik. Einschränkungen sind offensichtlich nötig. Eine dauerhafte Beschränkung des Demonstrationsrechts darf es aber nicht geben. Und selbst hohe Geldbußen für „Maskenverweigerer“ sollten das letzte Mittel sein. Dass sie schon jetzt beschlossen werden, zeigt: Die Verantwortlichen sind in Gefahr, übers Ziel hinauszuschießen.