Rom. In Italien ist ein Streit über Gipfelkreuze entbrannt. Für die einen sind die Symbole überholt, für die anderen ein Stück Kultur.

Sind Kreuze auf den Berggipfeln heute noch zeitgemäß? Diese Frage spaltet Italien. Ein Artikel auf dem Webportal des italienischen Alpenvereins CAI, wonach keine neuen Kreuze auf den Bergspitzen aufgestellt werden sollen, hat für helle Diskussionen gesorgt und ist zu einem Politikum geworden, das sogar die Rechtsregierung um Premierminister Giorgia Meloni beschäftigt. Gipfelkreuze, so der Redaktionsleiter des Italienischen Alpenvereins (CAI), Marco Albino Ferrari, würden nicht alle Bergsteiger ansprechen.

In den Alpen zählt man 327 Gipfelkreuze, von denen einige schon seit Jahrhunderten stehen. Einige Kreuze, insbesondere in den Dolomiten, im Ortler-Adamello-Gebiet, auf der Hochebene von Asiago, im Pasubio und am Monte Grappa sind mit dramatischen Episoden des Ersten Weltkriegs verbunden, als sich österreichisch-ungarische und italienische Soldaten in den Schützengräben bekämpften. Viele Kruzifixe sind längst renovierungsbedürftig. Niemand habe die Absicht, die bestehenden Kruzifixe abzubauen, es sei jedoch nicht sinnvoll, neue zu errichten, schrieb Pietro Lacasella auf dem Webportal des Italienischen Alpenvereins.

Alpenverein: Italiens Gipfel sollen neutrale Orte sein

„Wenn einerseits Beseitigungskampagnen unangebracht sind, ist andererseits die Errichtung neuer Kreuze anachronistisch: Es wäre vielleicht sinnvoller, die Gipfel als neutrales Territorium zu verstehen, das in der Lage ist, Kulturen zusammenzubringen, die auch weit voneinander entfernt sein können, aber dieselbe Würde haben“, so Lacasella. Italien wandele sich rasch von einem christlich geprägten Land „zu einem Staat laizistischer Tradition, und das gilt auch für die Berge“. Deshalb stehe das Kreuz heute „nicht mehr für eine gemeinsame Perspektive, sondern für eine partielle Vision“, schreibt Lacasella. Zugleich betonte er, dass der CAI bestehende Kreuze nicht nur „mit Respekt“ behandele, sondern sich darüber hinaus um deren Reinigung und Instandhaltung kümmere.

Gipfelkreuze bieten Bergsteigern und Wanderern in den italienischen Alpen Orientierung, sagt Paolo Zangrillo, Minister für die öffentliche Verwaltung.
Gipfelkreuze bieten Bergsteigern und Wanderern in den italienischen Alpen Orientierung, sagt Paolo Zangrillo, Minister für die öffentliche Verwaltung. © epd | Daniel Goell

Ähnlich sieht die Lage der Alpinist und Bergsteiger Enrico Camanni. „Bereits bestehende Kreuze mit künstlerischem und historischem Wert sollen bleiben, aber ich finde, es macht heute keinen Sinn mehr, Kruzifixe oder Statuen der Muttergottes auf Bergspitzen zu stellen. Das entspricht nicht mehr der heutigen Sensibilität. Der Glaube ist eine individuelle Angelegenheit“, sagte der Schriftsteller.

Kritiker: Gipfelkreuze gehören zur italienischen Kultur

Tourismusministerin Daniela Santanché zeigte sich „fassungslos“ über den Vorschlag, keine neuen Kreuze aufzustellen. „Dies widerspricht unseren Grundsätzen, unserer Kultur und unserer Identität“, sagte sie. „Ihr müsst über meine Leiche gehen, wenn ihr auch nur ein einziges Gipfelkreuz entfernen wollt“, wetterte der Chef der rechten Regierungspartei Lega und Verkehrsminister Matteo Salvini. Paolo Zangrillo, Minister für die öffentliche Verwaltung, meinte, Gipfelkreuze seien „ein wertvoller Bezugspunkt“ für Bergsteiger.

Angesichts der Aufregung ruderte der Alpenverein zurück. In einer Stellungnahme betonte CAI-Generaldirektor Antonio Montani, das Thema der Bergkreuze habe im Alpenverein nie zur Debatte gestanden, deshalb gebe es dazu auch keine offizielle Position. Er distanzierte sich von den „persönlichen Erklärungen“ der CAI-Mitarbeiter und entschuldigte sich für die „durch Presseveröffentlichungen verursachten Missverständnisse“.

Scharfe Kritik kommt auch von der Trentiner Parlamentarierin Alessia Ambrosi, die der Regierungspartei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) um Premierministerin Meloni angehört. „Ich frage mich, lieber Herr Ferrari: Haben Sie wirklich nichts Besseres und Ehrenvolleres zu tun, als auf die Symbole unserer Identität und Kultur zu spucken“, so Ambrosi in einer Presseaussendung. Der CAI habe sich zwar „sofort für den Unsinn entschuldigt“, aber dies reiche nicht: „Sie müssen jetzt zurücktreten, um die angesehene Organisation, die Sie vertreten, nicht zu gefährden“.