Berlin/Kopenhagen. Dänemark hat alle Corona-Maßnahmen aufgehoben. Doch die Fallzahlen sind im Land auf Rekord-Niveau. Waren die Lockerungen ein Fehler?

  • Dänemark hat alle Corona-Maßnahmen aufgehoben und feierte einen "Freedom Day"
  • Doch die Fallzahlen sind in Dänemark derzeit so hoch wie nie
  • Hat Dänemark zu früh gelockert?

Dänemark hatte sich als eines der ersten Länder in Europa aus der Deckung gewagt: Anfang Februar hob die Regierung alle maßgeblichen Corona-Maßnahmen auf. Das Land feierte den "Freedom Day". Bis auf vereinzelte Einreiseregeln muss die Bevölkerung keine Beschränkungen mehr beachten.

FFP2-Maske und Impf- oder Genesenennachweis gehören im nördlichsten Nachbarland Deutschlands der Vergangenheit an. Großveranstaltungen wie Konzerte und Fußballspiele dürfen ohne Teilnehmerbegrenzungen über die Bühne gehen. Discos und andere Einrichtungen des Nachtlebens sind ebenfalls wieder offen. Zeitliche Beschränkungen für den Verkauf von Alkohol etwa in Kneipen gibt es nun nicht mehr. Doch das Lockern inmitten der Omikron-Welle hat Folgen.

Dänemark nach dem "Freedom Day": Fallzahlen in Rekordhöhe

Schon seit Dezember explodieren die Fallzahlen, sie erreichen ein Niveau wie noch nie seit Beginn der Pandemie. Über 600.000 Dänen sind infiziert. Das ist einer von neun, vor allem junge Menschen sind betroffen. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt derzeit bei rund 5500, sie ist aktuell damit fast viermal so hoch wie in Deutschland.

Auch die Todeszahlen steigen, der Sieben-Tage-Mittelwert hat sich innerhalb von wenigen Wochen verdoppelt. Corona hat allein am Sonntag 29 Menschen in Dänemark das Leben gekostet. Die Zahl der täglichen Toten ist damit so hoch wie seit dem Höhepunkt der zweiten Welle im Januar 2021 nicht mehr. Als Corona-Toter gilt in Dänemark, wer innerhalb von 30 Tagen nach einer Infektion verstirbt – auch wenn die Todesursache ein Unfall war.

Die Situation auf den Intensivstationen sieht dagegen aktuell besser aus als beispielsweise im Pandemie-Winter 2020.

In Dänemark gelten bereits seit dem 1. Februar bis auf vereinzelte Einreiseregeln praktisch keine Einschränkungen mehr.
In Dänemark gelten bereits seit dem 1. Februar bis auf vereinzelte Einreiseregeln praktisch keine Einschränkungen mehr. © dpa

Omikron-Variante verursacht weniger Hospitalisierungen – aber trotzdem Todesfälle

Fast jeder neue Corona-Fall in dem Land lässt sich auf die Omikron-Variante zurückführen. Deshalb plädierte die Regierung wohl auch zuerst für den "Freedom Day": Denn trotz der hohen Fallzahlen ist das Gesundheitswesen derzeit nicht überlastet. Das liegt laut Experten zum einen natürlich an den milderen Krankheitsverläufen bei Omikron-Infektionen, aber auch an der sehr hohen Impfquote. Mehr als 80 Prozent der dänischen Gesamtbevölkerung wurden mindestens zweimal gegen das Coronavirus geimpft. Über 60 Prozent haben auch schon ihre Booster-Impfung erhalten.

"Wir sind durch die kritische Phase durch", erklärte Ministerpräsidentin Mette Frederiksen deshalb Anfang des Monats. Doch trotz der Entkopplung von Neuinfektionen und Intensivpatienten sorgt die Omikron-Welle nach Aufhebung aller Corona-Regeln für Probleme im Land – insbesondere wegen zahlreicher Arbeitnehmer, die in Quarantäne sind. Besonders Pflegeheime, Kindergärten und Schulen sind betroffen. Zahlreiche Kitas mussten in den letzten Wochen schließen. Lesen Sie hier mehr zu den Lockerungsplänen in Deutschland.

Corona-Maßnahmen: Hat Dänemark zu früh gelockert?

Hat Dänemark zu früh den Fuß von der Bremse genommen? Laut Experten wie dem Immunologen Carsten Watzl dürften die großzügigen Lockerungen die aktuelle Pandemie-Welle in Dänemark deutlich verlängern – auch weil sich dort der ansteckendere Subtyp der Omikron-Variante, BA.2 durchsetzt.

Watzl, der auch Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie ist, bezog sich auf eine noch nicht von externen Fachleuten begutachtete Untersuchung aus Dänemark zu dem Omikron-Subtyp BA.2.

Das eigene Infektionsrisiko bei BA.2 ist der Studie zufolge mehr als doppelt so hoch wie bei Subtyp BA.1. Das gilt sowohl innerhalb der Gruppe der Ungeimpften, als auch bei Menschen mit Grundschutz und bei Geboosterten. Das Risiko der Weitergabe des Virus ist bei infizierten Ungeimpften ebenfalls stark erhöht, nicht jedoch bei Geimpften und Geboosterten, heißt es in der Studie.

Modellierer: "Dänemark hat in der Pandemie kapituliert"

Die aktuellen Fallzahlen unterstützen die These, dass die frühen Lockerungen der Mutation wahrscheinlich freien Lauf gegeben haben. Der Mathematiker Kristan Schneider, der zur Modellierung epidemiologischer Prozesse forscht, erklärte kürzlich gegenüber dem Nachrichtenportal "T-Online", dass Dänemark in der Pandemie-Bekämpfung keinen mutigen Schritt gegangen sei, sondern schlichtweg kapituliert hätte.

"Müssten in Dänemark jetzt alle diese Fälle getestet und in Isolation geschickt werden, würde das System dort zusammenbrechen. Dänemark hat den Punkt erreicht, an dem die Pandemie aus dem Ruder gelaufen ist", so der Mathematik-Professor.

Auch interessant: Das sagen Pandemie-Experten zu möglichen Lockerungen in Deutschland

Grundlage für den Freedom Day in Dänemark war die Entscheidung, Corona in Dänemark nicht mehr als "gesellschaftskritische Krankheit" einzustufen. Gesundheitsminister Magnus Heunicke mahnte damals: "Corona verschwindet nicht mit den Beschränkungen aus der Gesellschaft." Man müsse aber weiterhin aufeinander Acht geben, vor allem auf Anfällige und Ältere.

(bml mit dpa)