Berlin. Die Delta-Variante ist in Deutschland auf dem Vormarsch. Ihr Anteil hat sich fast verdoppelt. Experten hatten dieses Tempo befürchtet.

Die zuerst in Indien aufgetauchte Coronavirus-Variante Delta versetzt Expertinnen und Experten in Sorge. Sie gilt als deutlich ansteckender. In Großbritannien sind die Zuwachsraten bei dieser Variante von Woche zu Woche erheblich. Auch die Sieben-Tage-Inzidenz in Großbritannien steigt nach einer kurzen Phase der Entspannung wieder konstant an. Droht auch in Deutschland eine solche Entwicklung? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Delta-Variante – wie ist die Lage in Deutschland?

Aktuell ist die Delta-Variante in Deutschland noch nicht so weit verbreitet, wie in Großbritannien. Allerdings nimmt der Anteil der Corona-Fälle, die auf diese "Variant of Concern", wie sie von der Weltgesundheitsorganisation klassifiziert wird, zurückgehen, deutlich zu.

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    Waren am 9. Juni nur 2,5 Prozent der Neuinfektionen auf Delta zurückzuführen, geht das Robert Koch-Institut mittlerweile von einem Anteil von 15,1 Prozent aus. Das geht aus dem aktuellen Bericht des Robert Koch-Instituts (RKI) zur Verbreitung der Virusvarianten hervor, dem eine Zufallstichprobe vom 7. bis 13. Juni zugrunde liegt (Stand des Berichts: 23. Juni).

    In den Daten ist damit nun in der dritten Woche in Folge eine ungefähre Verdopplung des Delta-Anteils abzulesen: von 4 auf 8 auf 15 Prozent. Das RKI rechnet in seinem Virusvariantenbericht damit, dass sich Delta gegenüber den anderen Varianten durchsetzen wird.

    Eine Krankenschwester des Queen Alexandra's Royal Army Nursing Corps verabreicht einen Impfstoff gegen das Corona-Virus in Bolton im Nordwesten Englands. In der Region hat sich die gefährliche Delta-Variante stark ausgebreitet.
    Eine Krankenschwester des Queen Alexandra's Royal Army Nursing Corps verabreicht einen Impfstoff gegen das Corona-Virus in Bolton im Nordwesten Englands. In der Region hat sich die gefährliche Delta-Variante stark ausgebreitet. © Getty Images | Christopher Furlong

    Derzeit nimmt in Deutschland auch die Zahl der durch die Delta-Variante verursachten Corona-Ausbrüche zu: So tritt die Mutation immer häufiger in Bildungseinrichtungen auf.

    Welche Variante dominiert aktuell in Deutschland?

    Die zunächst in Großbritannien aufgetretene Variante Alpha (B.1.1.7) löst derzeit mit einem Anteil von 74,1 Prozent an den untersuchten Proben bundesweit weiter den größten Teil der Infektionen aus (Stand: 23. Juni). Die weiteren besorgniserregenden Varianten, die erstmals in Südafrika entdeckte Mutante Beta (B.1.351) und die zunächst in Brasilien aufgetretene Variante Gamma (P.1) spielen nach wie vor eine untergeordnete Rolle.

    Am Dienstag meldeten mehrere Bundesländer, dass der Anteil der Variante auch bei ihnen gestiegen sei. In Hessen macht sie nach Angaben von Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne) bereits mehr als ein Fünftel der Neuansteckungen aus. "Wir haben doch deutliche Anzeichen, dass Delta auch in Hessen mittlerweile schon über 20 Prozent der Fälle dominiert", sagte er.

    In Bayern hat sich die Zahl der bestätigten Infektionen mit der Delta-Variante im Verlauf einer Woche fast verdoppelt - von 132 auf 229 Fälle, wie Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) mitteilte. In einzelnen Laboren betrage der Anteil inzwischen fast ein Viertel. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte zuletzt erklärt, es sei nicht die Frage, ob, sondern wann Delta das Infektionsgeschehen in Deutschland bestimmen werde.

    Welche Entwicklung ist in Deutschland zu erwarten?

    Experten gehen davon aus, dass Delta in Deutschland bald die vorherrschende Variante sein wird. Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) erklärte am Donnerstag, dass eine möglichst hohe Impfquote zumindest erneute drastische Maßnahmen verhindern könne. Wenn sich zwei Drittel, also rund 55 Millionen Menschen impfen ließen, "muss man dann auch nicht über einen Lockdown oder so nachdenken", so Braun. 55 Millionen – dazu müsste sich die aktuelle Zahl (28 Millionen) innerhalb von Wochen verdoppeln.

    Der Virologe Christian Drosten plädiert angesichts der Entwicklung dafür, das Bewusstsein für die Bedeutung der Impfung zu stärken. "Das ist wirklich das, was wir jetzt machen müssen", sagte der Experte der Berliner Charité in seinem Podcast "Coronavirus-Update". Er legte sich nicht fest, ob es wegen der Ausbreitung der Delta-Variante bereits im Sommer oder erst im Herbst zu einer Trendumkehr kommen könnte. Im Herbst werde die Inzidenz auf jeden Fall wieder steigen, sagte Drosten und betonte die Wichtigkeit der Impfung bei Eltern von Schulkindern.

    Wie kann man die Ausbreitung der Delta-Variante bremsen?

    "Wir müssen einfach schnell impfen", lautet der Appell von Drosten. Reiche dies nicht, müsse man erneut mit Kontaktbeschränkungen gegensteuern Diese Meinung teilt auch seine Kollegin Sandra Ciesek.

    SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnt ebenfalls vor Problemen durch die Delta-Variante im Herbst: Der Mediziner sagte am Dienstag in der Sendung "rbb Spezial", "dass wir in Deutschland auch noch die Delta-Variante bekommen werden".

    In Anbetracht der Tatsache, dass die Mutation nicht nur ansteckender, sondern auch gefährlich und teils resistent gegen Erstimpfungen sei, käme es jetzt besonders auf die Zweitimpfungen an, erklärte er weiter. Auch zu Impfungen für Kinder äußerte er sich: "Gerade bei der Delta-Variante haben wir in England gesehen, dass von den infizierten Kindern ein Prozent so schwer erkranken, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen", warnte Lauterbach.

    Warum impfen wir nicht so schnell, wie wir könnten?

    Das Impftempo ist schneller als zu Beginn der Impfkampagne, es könnte jedoch noch deutlich an Fahrt gewinnen. Erstens durch höhere Impfstofflieferungen. Hier gab es zuletzt jedoch mehr Rückschläge als Fortschritte. Der Hersteller Moderna immerhin kündigte am Donnerstag an, den versprochenen Corona-Impfstoff für Deutschland früher als geplant zu liefern.

    Die zweite Stellschraube ist komplizierter. Ärztevertreter beobachten seit Längerem zwei Entwicklungen: Viele Bundesbürger nehmen ihre Termine für die schützende Zweitimpfung nicht wahr. Bremseffekte für den Impffortschritt gibt es noch aus einem weiteren Grund: Viele Impfwillige buchen im Bemühen um einen frühestmöglichen Impf-Tag Termine an verschiedenen Stellen, versäumen es dann aber, ungenutzte Termine abzusagen – oder sagen zu kurzfristig ab. Lesen Sie auch: Lambrecht: "Wir werden auf Delta schnell reagieren"

    Wie viele Impftermine von Impfschwänzern blockiert werden und das Impftempo ausbremsen, lässt sich nur schätzen. In Mecklenburg-Vorpommern etwa fielen in den Impfzentren nach Angaben der Landesregierung pro Tag zwischen 15 und 40 Prozent der Termine aus. Der Deutsche Hausärzteverband sieht die Entwicklung mit Sorge: "Die aktuellen Meldungen von abgesagten oder nicht in Anspruch genommenen Terminen für die Zweitimpfung in Impfzentren machen deutlich, warum die Corona-Schutzimpfung in den hausärztlichen Praxen am besten aufgehoben ist", sagte Verbandschef Ulrich Weigeldt unserer Redaktion.

    Wann gelten Varianten als besorgniserregend?

    Als besorgniserregend werden Varianten eingestuft, wenn sie sich zum Beispiel möglicherweise leichter verbreiten, schwerere Verläufe verursachen oder wenn sich das Virus so verändert hat, dass der Schutz von Geimpften und Genesenen beeinträchtigt sein könnte.

    Warum ist die Delta-Variante so gefährlich?

    Die Delta-Variante des Coronavirus ist nach Angaben britischer Experten um 40 Prozent ansteckender als die Ursprungsform des Covid-19-Erregers. Das sagte der britische Gesundheitsminister Matt Hancock am Sonntag der BBC. Zudem geht die Regierungsbehörde Public Health England (PHE) davon aus, dass mit Delta infizierte Menschen häufiger schwer erkranken und im Krankenhaus behandelt werden müssen.

    Nach Erkenntnissen des britischen Francis Crick Institute und des National Institute for Health Research UCLH Biomedical Research Centre ist die Delta wahrscheinlich resistenter gegen Impfstoffe – vor allem gegen das Biontech-Vakzin. Demnach entwickelten mit dem Biontech-Vakzin Geimpfte fünf- bis achtmal weniger neutralisierende Antikörper gegen die Delta-Variante als gegen die zuvor in Großbritannien zirkulierenden Varianten. Allerdings scheinen Impfungen symptomatische oder gar schwere Krankheitsverläufe nach einer Infektion mit der Delta-Mutante auch zu verhindern.

    (mit bml/dpa)