Lünen. Ein 15-Jähriger soll in Nordrhein-Westfalen einen Mitschüler (14) getötet haben.

Früh am Dienstagmorgen muss es noch einmal gebrummt haben, das Handy des 14-jährigen Schülers der 8a. „Denk dran, heute Abend ist Training“, hat sein Fußballtrainer ihm geschrieben. Eine Antwort kommt nicht mehr. Denn der 14-Jährige ist zu diesem Zeitpunkt schon tot. Erstochen in der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule in Lünen bei Dortmund. Mutmaßlich von einem 15-jährigen Mitschüler, den die Polizei kurz darauf nach einer Fahndung per Helikopter ganz in der Nähe am Ufer eines Kanals festnimmt. Der Tat war ein Streit vorausgegangen, wie die Ermittler später mitteilen.

Den ganzen Vormittag sind Seelsorger im Einsatz

Gut zwei Stunden nach der Tat ist das schlichte Gebäude mit Flachdach, in dem knapp 970 Schüler unterrichtet werden, weiträumig abgesperrt. Ein Hubschrauber kreist über dem Gelände. Immer mehr Eltern fahren vor, eilen mit besorgter Miene in die Mensa, wo den ganzen Vormittag Seelsorger im Einsatz sind, und kommen wenige Minuten später mit ihrem Kind erleichtert wieder heraus.

Die Eltern müssen sich ausweisen, kein Kind darf alleine die Schule verlassen. Manche Schüler weinen. Einer meint: „Ein Junge ist tot, und der andere hat sein eigenes Leben für immer zerstört. Das ist alles Mist.“ Ein weiterer Schüler gibt sich gefasst: „Ist schrecklich, ja“, sagt einer. „Aber ich habe keinen von beiden gekannt.“ Das haben die meisten Eltern auch nicht, dennoch wirken vor allem viele Mütter sehr mitgenommen. „Ich habe jetzt noch Gänsehaut“, sagt etwa Bianca Lohr. „Wie konnte das nur passieren?“

Die Polizei ist mit 100 Beamten im Einsatz. Eins wird schnell ausgeschlossen: ein Amoklauf wie in Erfurt oder Winnenden. Am Abend geben Polizei und Staatsanwaltschaft nach der Vernehmung des Tatverdächtigen erste Auskünfte. Er sei der Meinung gewesen, dass der 14-Jährige, das spätere Opfer, die Mutter des
15-Jährigen provozierend angeschaut habe. Deshalb habe er zugestochen.

Die Ermittler gaben auch neue Erkenntnisse über den Tatverdächtigen bekannt, nachdem
zuvor vor allem Gerüchte die Runde gemacht hatten. Der 15-Jährige sei polizeibekannt gewesen und habe als aggressiv und „unbeschulbar“ gegolten, so die Behörden. Deshalb habe er vorübergehend eine andere Schule besucht. Am Dienstag habe er in der Käthe-Kollwitz-Schule mit seiner Mutter auf einen Gesprächstermin bei einer Sozialarbeiterin gewartet, in dem es um eine Rückkehr an die Schule gehen sollte. Beim Warten auf dem Flur sei er auf den 14-Jährigen getroffen, und die Situation sei eskaliert.

Wie die Ermittler weiter berichteten, zückte der 15-Jährige ein Messer und stach dem Mitschüler mehrmals in den Hals. Die Tatwaffe wurde am Tatort sichergestellt. Laut Obduktion starb der 14-Jährige durch den Messerangriff. Ob der Streit um die Blicke zur Mutter tatsächlich das ausschlaggebende Tatmotiv war, will die Staatsanwaltschaft weiter ermitteln. Der 15-Jährige soll am Mittwoch dem Haftrichter vorgeführt werden. Die Familie des Opfers wird von Fachleuten betreut.

Nach Polizeiangaben hat der 15-Jährige die deutsche Staatsbürgerschaft. Er sei in Deutschland geboren und habe außerdem einen kasachischen Pass. Bei dem getöteten 14-Jährigen handelt es sich demnach ebenfalls um einen Deutschen.

Für die anderen Schüler der Schule war der Alltag schlagartig vorbei. „Wir mussten in den Klassen bleiben“, erzählte ein 14-Jähriger Reportern. Dann habe ein Lehrer gesagt, dass jemand erstochen worden sei.

„Dieser Vorfall an unserer Schule hat große Betroffenheit im Kollegium und in der ganzen Schule ausgelöst“, sagte Schulleiter Reinhold Bauhus. Unter der Überschrift „Wir trauern“ formulierte die Schulleitung auf einer in schwarzer Grundfarbe gehaltenen Homepage ihre Erschütterung. „Es handelte sich um eine schreckliche Einzeltat, die nicht absehbar war“, heißt es dort. Heute werde der Unterricht wieder um 8.15 Uhr beginnen, teilte die Schulleitung mit. „Gerade jetzt ist es für Ihre Kinder sehr wichtig, dass ihnen die vertrauten Schulstrukturen Halt geben.“

Die Stadt Lünen kündigte für heute Mittag um 12 Uhr eine Schweigeminute in allen Schulen und im Rathaus an. „Diese schreckliche Tat macht mich tief betroffen. Unser tiefes Mitgefühl und unsere Anteilnahme gelten der Familie des Opfers“, erklärte Lünens Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns. Das nordrhein-westfälische Kabinett gedachte des 14-Jährigen, dessen Familie und der Schulgemeinschaft schon am Dienstag mit einer Schweigeminute. „Es ist die schrecklichste Vorstellung, die man als Eltern haben kann: Das eigene Kind verlässt das Haus und kommt nicht wieder“, sagte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet.