Konstanz. Vergiftete Babynahrung: Die Polizei geht 200 Hinweisen auf den Verdächtigen nach.

Deutschland sucht den Mann mit der weißen Mütze: Rund 200 Hinweise auf den mutmaßlichen Erpresser großer Handelskonzerne sind bei der Polizei Konstanz eingegangen, nachdem diese am Donnerstag mit Bildern aus Supermarktüberwachungskameras an die Öffentlichkeit gegangen war. Bis Freitagnachmittag erreichten mehr als 1000 Anrufe und 200 Mails die Polizei, in der Mehrzahl Kommentare oder Nachfragen besorgter Bürger. Immerhin etwa 200 Hinweise bezogen sich laut Sprecher Markus Sauter direkt auf den gesuchten Mann.

Der Verdächtige soll in Supermärkten in Friedrichshafen vergiftete Babynahrung ausgelegt haben. „Es dauert seine Zeit, bis die Hinweise abgearbeitet sind“, sagte Sauter. Von vagen Aussagen wie „Den habe ich schon mal gesehen“ zu konkreten Namen und Adressen war ihm zufolge alles dabei. Insgesamt arbeiten in der Sonderkommission „Apfel“ – der Name hat angeblich keinen Bezug zum Fall – bis zu 220 Beamte an der Aufklärung. Sind das nicht außergewöhnlich viele? Doch, bestätigte der Sprecher. „Das ist ein sehr außergewöhnlicher Fall. Es geht ja tatsächlich darum zu verhindern, dass möglicherweise weitere kontaminierte Produkte in den Handel gelangen.“ Normalerweise liefen Erpressungsfälle nicht unbedingt in der Öffentlichkeit ab, aber „wir wollten nun den Fahndungsdruck erhöhen und natürlich auch die Bevölkerung sensibilisieren“. Diesen Samstag habe der Erpresser als Datum für weitere Taten genannt.

Die Polizei steht permanent in Kontakt mit den erpressten Unternehmen. Deren Namen hat sie nicht bekannt gegeben. „Wir können nicht ausschließen, dass nicht auch in anderen als den erpressten Unternehmen verdächtige Ware ausgebracht wird“, so Sauter. Daher spielten die Namen keine Rolle. Laut „Bild“-Zeitung werden fast alle großen Lebensmittel- und Drogerieketten Deutschlands erpresst. Wer nachfragt, etwa bei Rewe, wird höflich, aber bestimmt an die Polizei Konstanz verwiesen.

Kriminologe Pfeiffer hält Täter

für größenwahnsinnig

Die Bedrohung gilt, so viel ist bekannt, bundesweit und darüber hinaus. Ist dieser Erpressungsfall größer als frühere? Der renommierte Kriminologe Christian Pfeiffer meint: „Nein, der Täter ist nur größenwahnsinniger.“ Andere Erpresser hätten 500 000 Euro gefordert, dieser nun zehn Millionen. Dabei funktioniere diese Art von Erpressung in Mitteleuropa schon lange nicht mehr. Dazu sei die Polizei zu gut und ihre Mittel zu ausgefeilt.

Trotzdem versucht es immer mal wieder jemand. Warum? „Es gibt zwei Typen“, sagt Pfeiffer. „Die einen sind wirklich auf das Geld aus, wie seinerzeit ,Dagobert‘, die anderen suchen den Machtrausch.“ Einmal abends die Nachrichten dominieren, einmal „die Puppen tanzen lassen“: Das solle für all die Niederlagen im Leben entschädigen, die so einen Menschen geprägt hätten. Seit Dagoberts erstem Coup 1988 sei in Deutschland kein bekannt gewordener Erpresser ungestraft und mit Beute davongekommen.

Der jetzige Täter hat offenbar nicht einkalkuliert, gefilmt zu werden. Dass er nun überall sein Konterfei sehen kann, dürfte laut Pfeiffer den Machtrausch beendet und den Mann in die Flucht getrieben haben. Aber dass er sich dumm verhalten habe, ändere nichts an der Gefahr, die von ihm ausgehe: „Natürlich, der ist hochgefährlich.“ Dass der Täter bald gefasst wird, daran hat Pfeiffer keinen Zweifel.