Braunschweig. TU-Studenten messen per Ultraschall den Abstand. Eine Karte zeigt, wo viele Autofahrer die Sicherheit von Radfahrern missachten

Messen ist besser als meinen. Viele Radfahrer meinen, Autofahrer halten beim Überholen den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand nicht ein. Autofahrer meinen anderes. Nun wird in Braunschweig gemessen. Eine Studenten-Initiative der Technischen Universität hat die ersten 30 Fahrräder mit Sensoren ausgestattet, die per Ultraschall den Überhol-Abstand messen.

Die Flotte soll wachsen. Es werden weitere Mess-Radfahrer, Sponsoren und Helfer gesucht. Weiterhin soll gelten: Die kleinen Messgeräte werden kostenlos montiert. Die einzige Gegenleistung der Mess-Radfahrer: Sie laden per Wlan ihre Messdaten auf einer Internetseite hoch. Die Daten werden dann automatisch eingepflegt in eine Karte vom Stadtgebiet, die anzeigt: Wo müssen Radfahrer damit rechnen, dass besonders viele Autofahrer den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand nicht einhalten?

Mittelweg in Braunschweig – dort geht es eng zu. Der Ärger über den oft fehlenden Sicherheitsabstand beim Überholen von Radfahrern war für Dennis Ruth vor rund einem Jahr der Anlass, die Initiative zu gründen. Ruth studiert Verkehrsingenieurswesen und war der Ansicht: „Weil es das Problem in ganz vielen Städten geben muss, hat bestimmt schon jemand eine Lösung gefunden. Das Übernehmen ist einfacher, als selbst etwas ganz neu zu entwickeln.“

Das Messgerät im Detail: Links das Bedienteil mit Mini-Monitor. Im Hintergrund das elektronische Innenleben. Im Vordergrund der Ultraschall-Sensor (links) und der Akku, der per USB-Stecker geladen wird.
Das Messgerät im Detail: Links das Bedienteil mit Mini-Monitor. Im Hintergrund das elektronische Innenleben. Im Vordergrund der Ultraschall-Sensor (links) und der Akku, der per USB-Stecker geladen wird. © Braunschweiger Zeitung | Bernward Comes

Und tatsächlich: In Stuttgart hatten Ehrenamtliche bereits Hard- und Software entwickelt. Gestützt von einer bundesweiten Internet-Community. Das Projekt OpenBikeSensor ist mittlerweile in mehr als 40 Städten zu finden. Mitunter gibt es nur zwei oder drei Messgeräte. Mitunter aber auch, in Berlin zum Beispiel, Hunderte. Das große Problem überall: Fertiggeräte gibt es keine. Es muss selbst geschraubt, gesteckt, gelötet werden. „Wir haben zwar Anfragen aus Wolfenbüttel, Gifhorn und Wolfsburg, mussten aber ablehnen. Mehr als zehn Messgeräte im Monat bekommen wir nicht fertig.“ Immer Montagabend treffen sich die sieben Ehrenamtlichen zur „Produktion“. Ruth sagt: „Wir sind keine Fabrik und werden auch nicht bezahlt. Manchmal geht es schneller, manchmal langsamer.“

Bauteile werden in Asien bestellt

Wobei die Fertigung auch nur einen Teil der Arbeit darstellt. Die Gehäuse und Befestigungen stammen zwar aus Braunschweiger 3D-Druckern. Die Elektronik wird jedoch in Asien bestellt. Ein Teil davon ist Sonderanfertigung in Kleinstserie. An anderer Teil, zum Beispiel GPS-Modul, Mini-Monitor oder Ultraschall-Sensoren, sind Standardware. Ruth sagt: „Die Preise schwanken. Mal kosten die Bauteile eines Geräts 70, mal 90 Euro.“

Die TU unterstützte über das Sandkasten-Förderprogramm die Fertigung der ersten Geräte. Preisgeld als Sieger des Wettbewerbs des Braunschweiger Hochschulbundes kam hinzu. Stiftungen und Sponsoren sorgten ebenfalls dafür, dass in den vergangenen sechs Monaten die ersten 30 Messgeräte gefertigt wurden. Enthusiasmus reiche nicht, erklärt Ruth: „Man benötigt gute Löt-Kenntnisse.“

Messung erfolgt auf Knopfdruck

Das Messgerät selbst ist kinderleicht zu bedienen. Ruth erklärt es so: „Die Mess-Einheit befindet sich meist am Sattelrohr und ist verbunden mit einem Schalter am Lenker. Der Ultraschall-Sensor misst permanent. Die Elektronik zeichnet den geringsten Mess-Abstand der vergangenen vier Sekunden auf. Wurde man überholt, muss man am Lenker nur den Knopf drücken und der geringste Messwert wird abgespeichert. Per GPS wird gleichzeitig der Ort der Messung erfasst.“

Überholabstände auf Straßen der erweiterten Innenstadt. Medianwert heißt: Die Hälfte der Messungen liegen unter, die andere Hälfte der Messungen über dem angegebenen Wert. Die Straßenverkehrsordnung verlangt einen Mindestabstand von 1,5 Meter.
Überholabstände auf Straßen der erweiterten Innenstadt. Medianwert heißt: Die Hälfte der Messungen liegen unter, die andere Hälfte der Messungen über dem angegebenen Wert. Die Straßenverkehrsordnung verlangt einen Mindestabstand von 1,5 Meter.

Genauigkeit – zwei bis drei Zentimeter. Wobei Ruth sagt: „Per Software wird von uns zwar die Lenkerbreite eingestellt, um den Überholabstand genauer zu erfassen. Aber die Geräte sind natürlich nicht geeicht.“ Zumal es auch nicht darum gehe, per Messgerät Streitfälle zwischen Autofahrern und Radfahrern zu entscheiden: „Die Polizei Braunschweig hat zwar bereits Interesse an den Messwerten gezeigt. In erster Linie geht es jedoch darum, Daten zu erheben, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Die Ergebnisse sollten berücksichtigt werden von Verkehrsplanern, Politik und Mobilitätsverbänden.“

Aberhunderte von Überholvorgängen in Braunschweig wurden bereits ausgemessen. Bislang nur innerorts, wo ein Überholabstand von mindestens 1,5 Metern einzuhalten ist. Außerorts, wo 2 Meter Abstand gilt, fehlen noch Daten für das Stadtgebiet. Die Initiative ist nicht wählerisch, was die Wahl der Mess-Fahrer angeht und mitunter selbst überrascht, welche Gründe es gibt. Ruth erzählt: „Wir werden demnächst ein Kinderrad mit einem Messgerät ausstatten. Eine Mutter will wissen, wie die Überholabstände auf dem Schulweg ihrer Tochter aussehen.“

Neue Geräte-Generation wird entwickelt

Die Daten Braunschweigs finden mittlerweile auch ihren Weg in die Technische Universität. Eine Semesterarbeit ist im Entstehen, eine Doktorarbeit ebenso. Die Initiative selbst ist dabei, das Messgerät zu optimieren – was für eine Hochburg der Elektro-Technik nicht verwunderlich ist. Möglichst viele Funktionen sollen auf einem einzigen Spezial-Chip konzentriert werden. Kosten und Produktionszeit sollen so sinken. Prototypen gibt es bereits. Vom Grund-Design habe man sich bereits gelöst: „Anfangs haben wird noch ,Open Bike Sensor’ per Hand aufgemalt. Wir haben jetzt einen Unterstützer gefunden, der uns Aufkleber druckt.“

Gleichzeitig wird versucht, die Fertigung auf mehr Schultern zu verteilen. Ruth berichtet vom Interesse einer Schule, die Montage ihren Schülern anzubieten. Weiter seien jedoch Gespräche mit einem Braunschweiger Unternehmen. Der Bau der Messgeräte könnte Teil der Lehrlingsausbildung werden.

Wer die Initiative unterstützen will oder Mess-Fahrer werden möchte, erhält Kontakt unter der Email-Adresse:

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