Liebenburg. Das LKA spricht von „Profi“-Anlagen in der ehemaligen Fabrik in Liebenburg und dem Discounter in Semmenstedt. Es gab sogar Schlafplätze für „Gärtner“.

Ein kräftiger Rausch statt Wurstwaren und Discounterware. Es war ein Einsatz, der die Polizisten der Ermittlungsgruppe „Curry“ ins Schwitzen brachte – und für den sie Unterstützung brauchten. 350 Beamte hoben in der vergangenen Woche im Liebenburg (Kreis Goslar) eine riesige Marihuana-Plantage aus. „Es ist die größte, die in den vergangenen Jahren in Niedersachsen entdeckt wurde“, erklärt Simon Ebbertz, Sprecher des Landeskriminalamtes (LKA). Eine zweite, knapp halb so große Plantage im 30 Kilometer entfernten Semmenstedt (Kreis Wolfenbüttel) befand sich im Aufbau. Zeit für ein Fazit.

Vier Tage brauchte es allein, den hochprofessionellen Hanf-Anbau in der ehemaligen Wurstfabrik im Liebenburger Ortsteil Posthof abzubauen – das technische Equipment und die 4684 Cannabispflanzen, die bereits in voller Blüte und kurz vor der Ernte standen.

Illegale „Gärtner“ haben sogar Schlafplätze in der Wurstfabrik

Im ehemaligen Aldi-Markt in Semmenstedt (Kreis Wolfenbüttel) war eine zweite Plantage mit rund 2000 Pflanzen geplant.
Im ehemaligen Aldi-Markt in Semmenstedt (Kreis Wolfenbüttel) war eine zweite Plantage mit rund 2000 Pflanzen geplant. © Katharina Keller

Drei bis vier Ernten mit einem Marktwert je einer Million Euro hätten die Betreiber laut Fachleuten des LKAs einfahren können, sagt Christian Wolters von der Braunschweiger Staatsanwaltschaft. Er spricht von mehr als 430.000 Konsumeinheiten – je nachdem, „welche Dröhnung“ man wolle.

Im Einsatz sei eine hochprofessionelle Anlage mit Bewässerung, Belüftung und Filteranlagen gewesen. Inklusive Schlafplätzen für die betreuenden illegalen Gärtner.

Zweite Plantage in einem ehemaligen Discounter im Kreis Wolfenbüttel

Eine zweite Indoor-Plantage mit bis zu 2000 Pflanzen sollte Platz in einem leerstehenden ehemaligen Aldi-Markt im 30 Kilometer entfernten Semmenstedt (Kreis Wolfenbüttel) finden. Eine passende Anzahl von Setzlingen wurde sichergestellt.

Dass beide Plantagen zusammenhängen und womöglich von der gleichen Bande betrieben wurden, fiel bei länger währenden Observationen auf, weil Beteiligte zwischen beiden Standorten hin und her fuhren. Addiert man die potenziellen Erntemengen aus beiden Standorten, kommt man auf einen Erlös von 4,5 bis 6 Millionen Euro pro Jahr.

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Aufmerksam geworden waren die Ermittler zunächst auf das Objekt in Liebenburg - und zwar hauptsächlich durch Hinweise aus anderen Verfahren, sagt Christian Wolters, Sprecher der Braunschweiger Staatsanwaltschaft. Nach Informationen unserer Zeitung sollen Spuren aus Sachsen-Anhalt kommen. Die Staatsanwaltschaft kommentiert das nicht.

Vermietete Immobilienfirma aus Salzgitter die Wurstfabrik?

Wie lange der Anbau schon vonstatten ging, ist noch unklar. Die Wurstwarenfabrik ging 2019 in die Insolvenz. Medienberichten zufolge soll eine Immobilienfirma aus Salzgitter die Halle mit einer Gewerbefläche von über 7000 Quadratmetern im Jahr 2021 gekauft und weiter vermietet haben.

Offen bleibt, wer hinter dem großangelegten Drogen-Projekt steckt. Zehn Personen – sechs in Liebenburg, vier in Semmenstedt – waren festgenommen worden, sie befinden sich in Untersuchungshaft, verteilt auf ganz Norddeutschland. Alle haben albanische Wurzeln. Mutmaßlich handelt es sich bei den meisten Männern um Arbeiter, die sich etwas um die Aufzucht kümmern sollten. In ähnlichen Verfahren in Süddeutschland waren Arbeitskräfte in Albanien mit für dortige Verhältnisse guten Löhnen angelockt worden.

Illegale Indoor-Plantagen florieren in Spanien – aber auch in Deutschland

An die 68 Kubikmeter Elektroschrott, 34 Kubikmeter Restmüll und 70 Tonnen Blumenerde aus der illegalen Cannabis-Plantage in Liebenburg mussten abtransportiert werden. Die Polizei musste das Technische Hilfswerk um Unterstützung bitten, um der Sache Herr zu werden.
An die 68 Kubikmeter Elektroschrott, 34 Kubikmeter Restmüll und 70 Tonnen Blumenerde aus der illegalen Cannabis-Plantage in Liebenburg mussten abtransportiert werden. Die Polizei musste das Technische Hilfswerk um Unterstützung bitten, um der Sache Herr zu werden. © Polizei Goslar | Polizei Goslar

Albanische Banden sind seit Jahren im Drogenmarkt präsent, vor allem mit Marihuana und Kokain. Albanien selbst galt lange als größtes Cannabis-Anbaugebiet Europas. Mittlerweile abgelöst wurde das Balkanland durch Spanien, meldete das Bundeskriminalamt in seinem jüngsten Lagebild zum Thema. Aber auch in Deutschland florieren illegale Indoor-Plantagen.

Laut Landeskriminalamt wurden im Vorjahr niedersachsenweit sechs Profiplantagen mit je mehr als 1000 Pflanzen ausgehoben. 2021 waren es insgesamt 12 solcher Plantagen mit insgesamt 19.060 Pflanzen. Keine war so groß wie die in Liebenburg. LKA-Sprecher Simon Ebbertz spricht von einer „herausragenden Sicherstellungsmenge“.

Riesen Investitionen in illegale Geschäfte

Mittlerweile stößt man eher auf kleinere Anbauten mit Hanfpflanzen in dreistelliger Zahl. „Die hohen Gewinnerzielungsmöglichkeiten rechtfertigen nach wie vor die Investitionen in geeignete Objekte und Ausrüstung.“

Allein im Vorjahr gab es dem LKA zufolge mehrere Ermittlungskomplexe im Zusammenhang mit Cannabis-Indoorplantagen, die der organisierten Kriminalität zugerechnet werden.

„Koks-Spediteur“ war in direkter Nachbarschaft – ist nun in Haft

Es ist das zweite Mal in kurzer Zeit, dass die kleine Gemeinde mit Drogen in die Schlagzeilen gerät. Im März war der „Koks-Spediteur von Liebenburg“ zu 12,5 Jahren Haft verurteilt wurden. Es ging dabei um mindestens 16 Tonnen Kokain. Seine Logistik-Betrieb ist einen Steinwurf von der Cannabis-Halle entfernt.

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Ob es im aktuellen Fall einen Bezug zur organisierten Kriminalität gibt, lässt die Braunschweiger Staatsanwaltschaft offen. Zu möglichen Hintermännern wolle man sich derzeit nicht äußern. Man scheint aber nach bisherigem Stand von einer bandenmäßigen Struktur auszugehen.

Klar ist: Der Organisationsgrad spricht für eine gute Planung und entsprechende Ressourcen. Allein der Wert der technischen Ausrüstung dürfte sich auf eine sechsstellige Summe belaufen, sagt Christian Wolters von der Staatsanwaltschaft.

Gab es eine illegale Stromentnahme? Staatsanwaltschaft ermittelt

Equipment, das die Polizei mittlerweile entsorgt hat. Fast 68 Kubikmeter Elektroschrott, 34 Kubikmeter Restmüll und 70 Tonnen Blumenerde wurden abtransportiert. Weil die Kapazitäten der Beamten aus Goslar, Göttingen, Braunschweig, Hannover und Oldenburg nicht reichten, bat man das Technische Hilfswerk (THW) um Unterstützung. „Insgesamt lag die Anzahl der Entsorgungsfahrten im zweistelligen Bereich“, teilte die Polizei Goslar mit. Es war „der längste Einsatz der Polizeiinspektion seit Jahrzehnten“.

Nun müssen die umfangreichen Spuren wie Fingerabdrücke und DNA ausgewertet werden, schildert Staatsanwalt Christian Wolters. Darüber hinaus stehe die Frage der Energieversorgung der Plantage in Liebenburg im Blickfeld. „In der Vergangenheit kam es bei ähnlichen Anlagen regelmäßig zur illegalen Stromentnahme.“

LKA: Das passiert jetzt mit den Cannabispflanzen

Teile der 4684 Cannabispflanzen werden nun vom LKA getrocknet und geprüft. Natürlich nur zwecks Beweissicherung. Je höher der Wirkstoff, desto höher das Strafmaß.

Bleibt noch die Frage, was es mit dem Namen der Ermittlungsgruppe „Curry“ auf sich hat? Gibt es Verbindung nach Indien? Die Antwort ist wesentlicher profaner, erklärt der Erste Staatsanwalt Wolters: Namensgebend war ein Imbiss vor den Toren der einstigen Wurstwarenfabrik. Na dann: Mahlzeit.

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