Schöningen. Forscher sind erstaunt: 300.000 Jahre alt sind die Fußabdrücke, die sie nun im Schöninger Tagebau gefunden haben. Warum das eine Sensation ist.

In der archäologischen Grabungsstelle rund um den Fundort der Schöninger Speere wurde erneut eine Aufsehen erregende Entdeckung gemacht. Wissenschaftler der Senckenberg-Gesellschaft legten dort 300.000 Jahre alte menschliche Fußabdrücke frei – es sind die ältesten menschlichen fossilen Fußabdrücke, die jemals in Deutschland entdeckt wurden.

Solch Fußabdrücke aus prähistorischen Epochen haben absoluten Seltenheitswert. „Deshalb können wir durchaus von einer kleinen Sensation sprechen. Bisher wurden in Deutschland nur versteinerte menschliche Fußabdrücke gefunden“, erklärte Grabungsleiter Dr. Jordi Serangeli am Freitag im Rahmen eines Pressetermins am Rande der Fundstelle im einstigen Braunkohle-Tagebau bei Schöningen.

Der gesamte Fundstellenkomplex ist für die Wissenschaftler eine wahre Schatztruhe. Die Ausgrabungen ermöglichen einen tiefen Einblick in die Altsteinzeit vor 300.000 Jahren – es gibt weltweit nur wenige archäologische Grabungsstellen mit vergleichbarer Qualität.

Alles begann dort im Jahr 1994 mit dem Fund der Schöninger Speere, den ältesten erhaltenen Jagdwaffen der Menschheit. Bisher wurden neben den Speeren, die in direkter Nachbarschaft zu ihrem Fundort im Forschungsmuseum Schöningen ausgestellt sind, unter anderem auch ein Wurfstock aus der Altsteinzeit sowie Hunderte Steinartefakte und tierische Knochen gefunden. Die Fundstelle war einst Uferbereich eines Sees.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Schöningen: Menschliche Abdrücke inmitten von Elefanten- und Nashornspuren

Heute stellen sich die Wissenschaftler die Szenerie, aus der die 300.000 Jahre alten Fußabdrücke stammen, so vor: Am schlammigen Ufer des Sees finden sich Herden von Elefanten, Nashörnern und Paarhufern ein, um zu trinken oder zu baden. Inmitten dieser Szenerie steht eine Kleinfamilie der „Heidelberger Menschen“, einer heute ausgestorbenen Menschenart.

„Zuerst haben wir Elefantenspuren und die eines Nashorns entdeckt. Und dann waren da noch drei Abdrücke, die wir erst auf den zweiten Blick als menschliche Fußabdrücke eingeordnet haben“, berichtete Grabungstechniker Dennis Mennella. Doch festlegen, dass es sich tatsächlich um menschliche Fußabdrücke handelt, wollten und konnten sich die Wissenschaftler und Grabungstechniker vor Ort nicht.

Grabungsleiter Dr. Jordi Serangeli zeigt auf freigelegte Tierspuren, die etwa 300.000 Jahre alt sind.
Grabungsleiter Dr. Jordi Serangeli zeigt auf freigelegte Tierspuren, die etwa 300.000 Jahre alt sind. © Dirk Fochler

Deshalb wurde Dr. Flavio Altamura vom Senckenberg-Zentrum für menschliche Evolution und Paläoumwelt an der Universität Tübingen um Beurteilung gebeten. Und Altamura bestätigte zweifelsfrei, dass die Fußabdrücke von Menschen stammen und ein Alter von etwa 300.000 Jahren haben. Diese Erkenntnis zog Altamura aus sedimentologischen, archäologischen, paläontologischen und paläobotanischen Analysen des Fundstellenbereiches.

Die nun entdeckten Tier- und Menschenspuren zeigen eine Momentaufnahme eines Familienalltags vor 300.000 Jahren an einem See bei Schöningen. „Die Spuren können über das Verhalten und die soziale Zusammensetzung der Frühmenschen-Gruppe Auskunft geben sowie über die Koexistenz mit Elefanten und anderen Säugetieren. Die Spuren helfen uns, das Bild zur damaligen Zeit zu vervollständigen“, erklärte Professor Nicholas Conard von der Universität Tübingen.

Immer wieder werden in Schöningen Sensationsfunde gemacht

Die gefundenen Elefantenspuren ordnen die Wissenschaftler der ausgestorbenen Art der Waldelefanten zu. Sie waren seinerzeit das größte Landtier mit einem Körpergewicht von bis zu 13 Tonnen. Von solch einem Waldelefanten wurde im ehemaligen Schöninger Tagebau vor drei Jahren ein fast vollständig erhaltenes Skelett geborgen. Teile des Waldelefanten-Skeletts können im Forschungsmuseum besichtigt werden.

Auch der jüngst Millimeter für Millimeter von Grabungstechniker Dennis Mennella mit feiner Miniklinge und Pinsel freigelegte Fußabdruck eine Nashorns ist ein echtes archäologisches Juwel. „Es ist der erste Fußabdruck dieser Art aus dem Pleistozän, der in Europa gefunden wurde“, berichtete Grabungsleiter Serangeli.

Der potenzielle Homininen-Fußabdruck, der in Schöningen gefunden wurde.
Der potenzielle Homininen-Fußabdruck, der in Schöningen gefunden wurde. © Senckenberg

Für den Schöninger Bürgermeister Malte Schneider (SPD) belegen die jüngsten Funde im Grabungsstellenkomplex dessen große Bedeutung für die Wissenschaft, für die Stadt Schöningen und deren Umland. „Die Grabungsstelle ist wie ein offenes Buch der Weltgeschichte. Die Fundstücke erregen internationales Interesse in der Wissenschaft. Auch Touristen werden zunehmend darauf aufmerksam und kommen deswegen nach Schöningen“, betonte Schneider, der dem touristischen Aspekt hohes Entwicklungspotenzial zuordnet.

Auch beim angelaufenen Verfahren, die Schöninger Grabungsstelle als Unesco-Weltkulturerbestätte anerkennen zu lassen, könnten nach Meinung von Bürgermeister Schneider Fundstücke mit einem Alleinstellungsmerkmal wie die 300.000 Jahre alten Fußabdrücke hilfreich sein.

Niedersachsens Wissenschaftsminister Falko Mohrs (SPD) bezeichnete die Fundstelle am Rande des Schöninger Tagebaus als „einen Schatz für die Wissenschaft“.

Mehr wichtige Nachrichten aus dem Landkreis Helmstedt lesen:

Täglich wissen, was in Helmstedt passiert: Hier kostenlos für den täglichen Helmstedt-Newsletter anmelden!