Braunschweig. Vor den Beratungen am Mittwoch ist die Stimmung gereizt – nicht nur beim Flüchtlingsrat und bei der AfD, sondern auch bei den Ministerpräsidenten.

Ungewöhnlich heftig und ungewöhnlich offen läuft das Fingerhakeln vor der „Flüchtlingsgipfel“ genannten Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch. Die Frage ist: Wer zahlt wieviel für die Versorgung von Flüchtlingen?

Als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz betonte Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) am Montag, Länder und Kommunen stünden in dieser Frage Seite an Seite. „Die finanziellen Mittel des Bundes müssen sich an der tatsächlichen Zahl der zu uns geflüchteten Menschen ausrichten, mit einmaligen Pauschalzahlungen ist es nicht getan“, sagte Weil. Die Kommunen forderten zudem, dass der Bund die Kosten der Unterbringung wieder zu 100 Prozent trage. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst warf der Bundesregierung vor, die Lage vor Ort zu ignorieren. „Die Hilferufe aus Städten und Gemeinden werden aus Berlin abgetan“, sagte der CDU-Politiker. Städte und Gemeinden aus Niedersachsen haben mehrfach darauf hingewiesen, dass aus ihrer Sicht die vom Bund zugesagte Pauschale von 2,75 Milliarden Euro für 2023 nicht ausreicht. Ferner seien die Integrationskosten seien nicht berücksichtigt.

Auch wenn sich der Streit ums Geld jetzt zuspitzt: Die Debatte findet nicht vor dem Hintergrund stark anwachsender Zahlen statt. Auf Anfrage unserer Zeitung teilt die Braunschweiger Stadtverwaltung mit, die Unterbringung der Flüchtlinge sei derzeit gut zu bewältigen. Ein Grund dafür sei allerdings, dass die Stadt im vorigen Verteilzeitraum besonders viele Menschen untergebracht habe, was jetzt angerechnet werde. In den ersten vier Monaten des Jahres seien 315 Geflüchtete nach Braunschweig gekommen, davon 192 aus der Ukraine. Im Haushaltsentwurf für dieses Jahr seien mit Blick auf die Unterbringung der Geflüchteten knapp 19 Millionen Euro eingeplant. In Salzgitter war man bei der Planung für das vergangene Jahr sogar von 20 Millionen Euro ausgegangen, wobei dieser Betrag durch Finanzhilfen dann verringert worden ist. In der Stahlstadt leben laut Stadtverwaltung derzeit 8497 Flüchtlinge, davon 1249 aus der Ukraine. Wöchentlich würden der Stadt Salzgitter 26 Personen vom Land zugewiesen. Die Stadtverwaltung betont, das würden viele „auf den ersten Blick für leistbar“ halten. Doch in Ermangelung einer gerechten Erstattung der kommunalen Integrationskosten sei man „schon längst am Limit“.

So sieht der Flüchtlingsrat die Lage

Der Unmut wächst. Seit 30 Jahren arbeitet Kai Weber für den Flüchtlingsrat Niedersachsen. Trotz aller Abgebrühtheit: Als „schmerzhaft“ empfindet er die aktuelle Diskussion um die Kosten für die Versorgung von Flüchtlingen. Die Kompetenz- und Organisationsfragen (etwa zum Thema „Ankerzentren“) seien allesamt ausführlich debattiert worden – ohne Ergebnis. Und außerdem glaubt Weber dass eine so aufgezäumte Debatte „in weiten Teilen die Sicht der rechten Populisten“ widerspiegele.

Das bezieht er nicht nur auf den Ansatz, Abschiebungen effektiver vorzunehmen, sondern auch auf die am Mittwoch auf der Tagesordnung stehende Idee „einer besseren Kooperation auf europäischer Ebene“. Wenn damit tatsächlich gemeint sei, „an den EU-Außengrenzen“ ein verpflichtendes Asylverfahren ablaufen zu lassen, drohe nichts anderes als „ein asylpolitischer Sündenfall“, eine Regelung nämlich, die mit Grundgesetz nicht zu vereinbaren sei. Und sowieso ändere das Fingerhakeln ums Geld nichts an dem grundsätzlichen Problem, dass das „rigide Verteilsystem“ die Situation erschwere. Am Beispiel der Ukrainerinnen mit ihrer freien Ortswahl habe man doch gesehen, wie viel die „Selbsthilfekräfte der Betroffenen wie auch die Unterstützungsbereitschaft der Zivilgesellschaft“ zusammen ausrichten können.

Soweit zur Lobby der Geflüchteten. Doch der Unmut wächst auch anderswo. Seit 2006 ist Frank Klingebiel (CDU) Oberbürgermeister von Salzgitter. „Wir hangeln uns von Krisengipfel zu Krisengipfel. Ich bin es leid“, sagte er am Wochenende der „Hannoverschen Allgemeinen“. Ob solche Ungeduld bei den Verhandlungen mit der Bundes- und Landesebene den Kommunen wesentlich weiterhilft?

Wie viele sind es denn nun bei uns?

So oder so folgen jetzt ein paar Fakten, die das Niedersächsische Innenministerium am Montag für unsere Zeitung zusammengestellt hat: Im vorigen Jahr gab es gut 22.000 Zugänge von Asylsuchenden in Niedersachsen. In diesem Jahr bis zum 1. Mai gut 7.000. Hinzu kommen zum Stichtag 30. April (seit dem 24. Februar 2022) knapp 110.000 Kriegsvertriebene aus der Ukraine. Daran ändert sich derzeit nicht viel. Da Niedersachsen sein Aufnahmesoll übererfüllt hat, werden seit einigen Monaten fast alle neuankommenden Flüchtlinge aus der Ukraine an andere Bundesländer weitergeleitet.

Klar ist: Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass die Zahlen allgemein bald wieder steigen. Von der „Luft zum Durchatmen“ ist in Verwaltungskreisen ebenso die Rede wie davon, dass man die Zuweisungen des Landes teilweise rätselhaft finde. Das „Gesamtverteilkontingent“ für die landesinterne Verteilung ist laut Innenministerium auf 17.000 Personen für sechs Monate festgesetzt worden – eingedenk des Umstandes, dass in den vergangenen sechs Monaten weniger Schutzsuchende aufgenommen wurden als zuvor angenommen.

Niedersachsens AfD setzt an dieser Stelle zur Kritik an: Die Landesregierung habe „noch immer keinen Überblick über das Migrationsgeschehen und auch keinen Plan, wie mit diesem umzugehen ist“, betont der Landtagsabgeordnete Stephan Bothe. Er fordert eine radikale Kehrtwende und die Einrichtung einer zentralen „Ausländer- und Rückführungsbehörde.“

Wie sind die Zahlen in den typischen Flächenlandkreisen? Dem Kreis Peine sind laut Kreisverwaltung seit Jahresbeginn 270 Personen zugewiesen worden. Die meisten von ihnen sind Asylsuchende. Wöchentlich rechnet man im Peiner Kreishaus derzeit mit einer Zuweisung von 14 Personen. Dem Landkreis Helmstedt dagegen werden aktuell keine Menschen aus der Landesaufnahmebehörde zugewiesen, was daran liegt, dass der Kreis zuletzt eine deutlich höhere Aufnahmequote hatte als der Landesdurchschnitt. Es ist kompliziert…

Und die Kosten? Den Kommunen entstehen Kosten in Millionenhöhe, etwa über die Ausstattung von Wohnungen und die Sicherung des Lebensunterhalts. Die eine große Frage wird am Mittwoch sein, auf wieviel davon sie sitzen bleiben. Die andere ist womöglich, wie genau sie in Zukunft kalkulieren können. Ministerpräsident Weil will diesen Punkt in Berlin betonen, sagte er am Montag: „Insgesamt benötigen Länder und Kommunen bei der Finanzierung wieder mehr Planungssicherheit. Dass jedes Jahr neu über die finanziellen Mittel verhandelt werden muss, kann auch nicht im Interesse des Bundes sein.“