Braunschweig. Nicole Kumpis spricht im Interview über die Leichtigkeit des Fan-Daseins und Nachwuchsprobleme und Herausforderungen im ehrenamtlichen Engagement.

Sie ist die Frau an der Spitze von Eintracht Braunschweig, Vorständin beim DRK Kreisverband Braunschweig-Salzgitter, selbst in unterschiedlichster Weise ehrenamtlich aktiv und scheint alles mühelos unter einen Hut zu bekommen: Nicole Kumpis. Eine Frau, die 2022 Geschichte geschrieben hat, als sie zur ersten Präsidentin des BTSV gewählt wurde und seitdem jeden Tag und jede Sekunde mit der gleichen Emotionalität, Euphorie und Ruhe an die Arbeit geht. Am Donnerstag, 25. Mai, hält sie die Festrede beim 20. Gemeinsam-Preis unserer Zeitung gemeinsam mit dem Braunschweiger Dom.

Nicole Kumpis, wie sind Sie das erste Mal mit Ehrenamt in Berührung gekommen?

Schon sehr früh. Ich persönlich hab mich schon als Jugendliche ehrenamtlich engagiert. Damals habe ich in einem Braunschweiger Jugendzentrum unterstützt. Da war ich gerade 18 Jahre alt. Richtig eingestiegen ins Ehrenamt bin ich dann aber tatsächlich erst, als mein Sohn aus dem Gröbsten raus war. Eine ganz klassische Entwicklung, die wir auch jetzt noch im ehrenamtlichen Bereich sehen: Ehrenamt und ein junges Familienleben sind meist nur schwer kombinierbar.

Welche Bedeutung hat ehrenamtliches Engagement für Sie?

Für mich ist Ehrenamt ein fester Bestandteil meines Lebens – nicht nur in der Öffentlichkeit, aber auch. Mich für und mit anderen Menschen zu engagieren, gehört für mich einfach zum gesellschaftlichen Leben dazu. Das ist ja der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Dort wo staatliche Verantwortung aufhört, nicht greift, oder gar nicht erst installiert wird oder werden kann, da greift das Ehrenamt. Das macht das Ganze auch so besonders. Und gleichzeitig gibt es ehrenamtlich Tätigen und mir auch unvergleichlich viel zurück.

Sie führen beim DRK viele Haupt- aber eben auch viele Ehrenamtliche. Wo sehen Sie dort aktuell die Herausforderungen?

Ich glaube gerade nach der Corona-Pandemie ist Ehrenamt noch wichtiger geworden. Durch Corona, den Ukraine-Krieg, die Problematik der Energieversorgung und die Inflationsrate ist unser aller Resilienz geschwächt worden. Da bleiben kaum Ressourcen, um auch noch im Ehrenamt aktiv zu sein. Hinzu kommt, dass ehrenamtliche Strukturen seit Jahren darunter leiden, dass kaum Nachwuchs generiert wird. Das Ehrenamt veraltet langsam. Das ist eine Situation, die nicht nur das DRK betrifft, sondern auch im sportlichen Bereich spürbar ist, um hier den Bogen zum BTSV zu schlagen. Junge Menschen möchten sich aus unserer Erfahrung heraus nicht mehr dauerhaft an ein Ehrenamt und eine Aufgabe binden, sondern lieber projektbezogen agieren. Hier müssen wir künftig noch intensiver an Lösungen arbeiten.

Ehrenamtliche Mitarbeiter sind in vielen Bereichen in unserer Gesellschaft sehr wichtig. Das gilt insbesondere für Sportvereine. Gerade im Bereich des Breitensports würde es ohne den Einsatz vieler Ehrenamtler nicht gehen. Wie motivieren Sie Ehrenamtliche und gewinnen neuen „Nachwuchs“?

Obwohl der große Name „Eintracht“ an der Tür steht, haben auch wir Probleme, Ehrenamtliche zu finden und sind in manchen Bereichen händeringend auf der Suche nach Nachwuchs. Hier müssen wir uns neue Konzepte und Strategien überlegen und ganz bewusst nach vorne gehen. Als Präsidium sind wir hier schon sehr aktiv. Gerade Kleinigkeiten können dort die Motivation der engagierten Menschen steigern. Wir sehen dich und nehmen dich wahr – das ist uns wichtig. Auch wir im Präsidium sind ja alle ehrenamtlich tätig – das darf man nicht vergessen. Und auch bei uns müssen die Rahmenbedingungen einfach passen.

Was würden Sie denn dem ganz kleinen Verein von nebenan raten, der auch auf der Suche nach Nachwuchs ist?

Ich glaube, dass Ehrenamt immer Bezug braucht. Das ist das verbindende Element, dass jemand sagt: „Ich möchte genau bei diesem Verein unterwegs sein und nicht irgendwo anders“. Man muss in der näheren Umgebung suchen, Beziehungen stärken, Eltern ansprechen – es geht immer um die Verbindung, die jemand zu einem Verein hat, damit er sich auch engagiert.

Nicole Kumpis, Präsidentin beim BTSV (rechts), Sportredakteur Lars Rücker und Projektredakteurin Ida Wittenberg beim Interview im Medienhaus in Braunschweig.
Nicole Kumpis, Präsidentin beim BTSV (rechts), Sportredakteur Lars Rücker und Projektredakteurin Ida Wittenberg beim Interview im Medienhaus in Braunschweig. © Darius Simka/regios24

Ist unsere Gemeinschaft, unser Gemeinwesen an der Corona-Pandemie gewachsen oder hat sie die Schwächen gnadenlos offengelegt?

In der Pandemie selbst haben wir festgestellt, dass wir durchaus eine sehr starke Gesellschaft sind. Es wurde gerade zu Beginn der Pandemie viel über das Ehrenamt aufgefangen und angeboten. Das zeigt sich auch hier in Braunschweig mit ganz außergewöhnlichen Projekten. Man merkt aber auch, dass sich die Pandemie über einen unerwartet langen Zeitraum gezogen hat. Und das macht etwas mit den Menschen und offenbart die Schwächen im System. Hier haben wir jetzt die Möglichkeit, noch einmal genau hinzuschauen: Wo wird staatliche Unterstützung benötigt? Wo müssen neue Lösungen gefunden werden? Wo muss das Ehrenamt gestärkt werden? An dieser Stelle benötigt es jetzt Durchhaltevermögen.

Welche Schwerpunkte setzen Sie in ihrer ehrenamtlichen Arbeit als Präsidentin beim BTSV?

Ganz klar: Kommunikation. Weiterhin auf Menschen zuzugehen, den Dialog suchen, sie abholen, dort wo sie sind, und ihnen zuhören. Das ist gerade im Leistungs- und Breitensport enorm wichtig. Wir müssen mit den Menschen zusammen schauen, wo sind die Probleme, und wie können wir Lösungen schaffen. Das geht nicht von heute auf morgen – diese falschen Hoffnungen dürfen wir nicht machen. Das passiert nur gemeinsam und in Prozessen, und es wird mit Sicherheit noch sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Ehrenamtlichen da mitzunehmen und sie an den Prozessen zu beteiligen, das ist enorm wichtig. Dem gesamten Präsidium ist diese Aufgabe wichtig und ich glaube, darin sind wir auch schon ganz gut. Aber auch wir haben selbstverständlich noch Optimierungsbedarf (lacht).

Ihr Vater hat Sie schon als Kleinkind mit ins Eintracht-Stadion genommen. Für Block 7 in der Südkurve haben Sie eine Dauerkarte. Vom Fanblock ins Präsidentinnen-Amt – ist das auch mehr als ein Jahr nach Ihrer Wahl noch ein wahr gewordener Traum?

Ja, jede einzelne Minute. Was nicht bedeutet, dass es nicht auch anstrengend ist. Ich bin in den vergangenen 12 Monaten immer tiefer in die Vereinsstrukturen und in Themen in der Kapitalgesellschaft eingestiegen – durch dieses Wissen verändert sich auch der Blick auf manche Dinge. Dennoch ist es jede einzelne Sekunde weiterhin mein Traum-Ehrenamt. Und ich mache es weiterhin mit der gleichen Emotionalität, Euphorie und Ruhe wie am ersten Tag.

Früher waren Sie bei Spielen nur als Fan dabei, heute als Präsidentin. Geht dabei auch ein Stück Leichtigkeit verloren?

Es ist tatsächlich so, ein Stück Leichtigkeit geht verloren. Ein Fan soll das Erlebnis genießen, mit seiner Mannschaft mitfiebern – egal bei welchem Sport. Aus der Perspektive der Verantwortung, die ich nun habe, gibt es aber auch noch andere Blickwinkel auf die Spiele und auf die Akteure. Das macht natürlich auch etwas mit mir – es ist nicht mehr das Gleiche wie als Fan in der Südkurve. Nichtsdestotrotz bin ich aber auch – das ist gerade an Spieltagen bei allen Mannschaften, die zu uns gehören – sehr angespannt, mit voller Leidenschaft und vielen Emotionen dabei. Hier kann ich ein Stück meines Fan-Seins noch ausleben. Aber eben auch hier mit etwas mehr Tiefe und Nachdenklichkeit.

In der überregionalen Wahrnehmung werden Sie eher mit den Profifußballern in Verbindung gebracht, dabei sind Sie Präsidentin eines Vereins mit 14 Sparten. Müssen Sie das den Menschen immer wieder vergegenwärtigen?

Es sind zwei Ehrenämter, die ich dort ausübe: Ich habe einmal das großartige Ehrenamt der Präsidentin, für den Breiten- und Leistungssportverein mit über 6000 Mitgliedern, und ich bin als stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende unserer ausgegliederten Tochtergesellschaft auch Teil des neunköpfigen ehrenamtlichen Gremiums. Das sind zwei Ehrenämter. Zwei herausragende Ehrenämter. Tatsächlich erkläre ich das auch nach außen, weil auch dort immer mal wieder die Frage aufkommt. Es sind im Prinzip zwei Sachen, die ganz unterschiedlich sind. Zum einen muss ich gemeinnützig, wie ein Verein denken, zum anderen aber auch wirtschaftlich. Es ist wichtig, dass wir da immer wieder aufklären. Beide Ämter bringen großartige Aufgaben, aber eben auch sehr herausfordernde Situationen mit sich, wie beispielsweise im Profifußball der aktuelle Kampf um den Klassenerhalt in der 2. Bundesliga.

Gibt es einen Moment, der Sie daran erinnert, dass es den großen Aufwand wert ist?

Es gibt immer wieder viele kleine und besondere Momente, die mich daran erinnern. Ich war beispielsweise neulich bei einem Spiel. Dort hat mir von hinten jemand auf die Schulter geklopft und meinte: Hier sind zwei Jugendliche, die trauen sich gar nicht, Dich anzusprechen. Wir haben dann gemeinsam ein Foto gemacht, und ich habe gemerkt, dass ich durch dieses Foto und den kurzen aufmerksamen Wortwechsel ganz viel zurückgeben kann. Die beiden Mädchen waren so begeistert, da sehe ich, was meine Person und das drumherum eben auch ausmacht und wie ich Menschen mit so kurzen Begegnungen glücklich machen kann.

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