Braunschweig. Der Unternehmer Sven Brotrück spricht über die Liebe zum Handwerk, Familiengeschichte und teure japanische Messer.

Es klingelt, und der junge Mann im rot-schwarzen Flanellhemd öffnet lächelnd die große Metalltür. Eine Frau streckt ihm mit den Worten: „Ich hab hier mal ein Messer“ einen Gegenstand entgegen. Offenbar handelt es sich um ein Küchenmesser, das der Behandlung des Fachmannes bedarf. „Kein Problem“, antwortet Sven Brotrück. „Reicht es bis Freitag?“

Klingeln muss man hier schon. Schließlich handelt es sich um eine Werkstatt. Überall liegen wagenradgroße Sägeblätter und lange Sägeketten. Der 36-jährige Unternehmer merkt an: „Es kann sein, dass es hier ab und zu mal klingelt. Dann muss ich kurz zur Tür. Ich bin ja alleine hier.“ Gar kein Problem. Wenn man sich in derWerkstatt umschaut, hat man ein bisschen das Gefühl, eine kleine Zeitreise zu machen. In einer Welt, in der wir täglich mit „Digitalisierung“ und „Künstlicher Intelligenz“ konfrontiert werden, scheint dieser Ort wie aus der Zeit gefallen.

In der geräumigen Halle stehen ringsum nebeneinander aufgereiht verschiedene, teilweise mannshohe, schwere Schleifgeräte. „Die wiegen schon ein bisschen was“, sagt Sven Brotrück. Der Vatervon Zwillingen weiß, wovon er spricht, denn er hat schon einen Werkstattumzug mitgemacht. „Bis 2019 war unsere Schleiferei noch in der Osterbergstraße in Rühme“, erzählt er ein bisschen wehmütig. Er sei eben ein „Rühmer Kind“.

Dort wuchs er auf, und dort hat er seinem Vater, Jörg Brotrück, bereits als kleiner Junge in der Werkstatt über die Schulter schauen können. Jörg Brotrück ist im vergangenen Jahr gestorben. Zu Lebzeiten hat er dem Junior, der die Firma im Jahr 2013 übernahm, immer noch mal unter die Arme gegriffen. Sven Brotrück führt nun in vierter Generation die Schleiferei.

1977 mit der Firma von Magdeburg „rübergemacht“

Sven Brotrück prüft mit fachmännischem Blick den Grat des Messers.
Sven Brotrück prüft mit fachmännischem Blick den Grat des Messers. © Peter Sierigk

Angefangen hat alles im Jahr 1930 in Magdeburg. Paul Brotrück, der Ur-Großvater des heutigen Inhabers, hat dort die Schleiferei eröffnet. Auf ihn folgte Sohn Hans im Jahr 1948. Immer noch in Magdeburg. „Im Jahr 1977 hat er dann nach Braunschweig rübergemacht“, berichtet Sven Brotrück scherzhaft in der Sprache der damaligen DDR. Seitdem ist die Werkstatt in Braunschweig ansässig. Die Schleifgeräte, die dem Unternehmer als Arbeitsgerät dienen, sind nicht mehr die von vor 93 Jahren. Fast alle Geräte seien aber auch schon aus den 1960er und 1970er Jahren.

Zauberhaft altertümlich und auf ihre eigene Art wunderschön sehen die hellgrünen, schweren Maschinen aus. Sven Brotrücks Hauptgeschäft sind die großen Maschinenteile. Hauptsächlich Sägeblätter, doch ebenso große Papiermesser aus Druckereien oder Heckenmesser aus Gärtnereien. Aber auch Privatleute kommen zu ihm mit ihren Garten- oder Küchenmessern.

Der Messerschliff - große Kunst und ein bisschen Firmengeheimnis

Glanz in die Augen bekommt er, als er von den japanischen Messern erzählt, die ein Braunschweiger Edel-Restaurant regelmäßig bei ihm zum Schärfen abgibt. Natürlich würden die Köche ihre Messer auch selbst schärfen, aber irgendwann ginge es nicht mehr. „Etwa einmal im Jahr muss der Fachmann ran. Dann kommt man mit den haushaltsüblichen Schleifsteinen nicht mehr weiter“ erklärt Brotrück.

Bei Messern aus dem Privathaushalt muss er mitunter etwas mehr Material abtragen als üblich. „Da sehe ich dann schon: das ist alles schief und krumm“, sagt der Fachmann und räumt ein: „Bis ich das mit den Schneidemessern richtig gut hinbekommen habe, hat das zwei Jahre gedauert“. Da habe jeder eine etwas andere Technik. Je nachdem, an welcher Stelle des Messers man schleife, müsse man den Winkel ändern. Irgendwann habe er ein Gefühl dafür entwickelt.

Nach Abitur und begonnenem Studium kam die Entscheidung für das Handwerk

Aus der beeindruckenden Sammlung von riesigen Schleifscheiben sucht Sven Brotrück eine zur Veranschaulichung seiner Arbeit aus.
Aus der beeindruckenden Sammlung von riesigen Schleifscheiben sucht Sven Brotrück eine zur Veranschaulichung seiner Arbeit aus. © Peter Sierigk

Man spürt, dass er sein Handwerk mit Leidenschaft und Liebe betreibt. Allerdings war dies kein vorgegebener Werdegang. „Mein Vater hat sich schon gewünscht, dass einer der beiden Söhne in seine Fußstapfen tritt. Aber er hat es nicht von uns erwartet oder gar verlangt“, erzählt er und ergänzt: „Meine Mutter schon gar nicht. Sie hat meinem Bruder und mir immer gesagt, dass es wichtig ist, den eigenen Weg zu gehen.“

Und so kam es dann auch. Nach dem Abitur am Wilhelm-Gymnasium im Jahr 2006 schrieb sich Sven Brotrück zunächst für das Studienfach Mathematik ein. Nach kurzer Zeit erkannte er allerdings, dass ihn das nicht erfüllte, und er versuchte sich im Studium der Elektrotechnik. Aber auch hier fühlte er sich nicht richtig platziert und entschied sich für die Schleiferei. „Die Selbstständigkeit ist schon mein Ding“, erzählt er.

Einmal in der Woche bricht er um sechs Uhr morgens zu Baustellen auf. Bis nach Hannover, Magdeburg oder Göttingen fährt er, um die großen Teile abzuholen und um frisch geschliffenes Arbeitsmaterial wieder auszuliefern. Auf die Frage, ob sein Handwerk aussterbe, sagt er: „Davon merke ich nichts, ich habe gut zu tun“. Aber früher habe es mehr seiner Zunft gegeben. Auch gäbe es die mobilen Schleifer, die auf dem Markt standen oder rumgefahren sind, kaum noch.

„Wir leben halt in einer Wegwerfgesellschaft. Wenn das Messer nicht mehr schneidet, dann wird ein günstiges neues gekauft“, sagt er. Dabei sei es im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Qualität viel sinnvoller, sich ein anständiges Messer zu kaufen und dies regelmäßig für ein paar Euro schleifen zu lassen. Sven Brotrück blickt positiv auf die 30 Berufsjahre, die noch vor ihm liegen. Es ist auch wahrlich schwer vorstellbar, dass KI seine Arbeit irgendwann übernehmen kann. Und wer weiß? Vielleicht übernimmt ja eine seiner beiden Töchter irgendwann die Schleiferei als erste Frau der FamilieBrotrück? „Ja, wer weiß“ sagt er und lacht. „Aber sie sollen ihren Weg gehen und machen, wozu sie sich berufen fühlen“, sagt er – ebenso wie sein Vater damals.

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