Braunschweig. Menschen bei Karstadt rufen im Einkaufstrubel: Wir wollen bleiben! Diese Szenen spielten sich jetzt in der Braunschweiger Innenstadt ab.

Menschen, die um ihren Arbeitsplatz kämpfen, Menschen, die mit den Tränen kämpfen, Fassungslosigkeit, Verzweiflung und trotzige Hoffnung – so deutlich wie am Samstagmittag in der Braunschweiger Innenstadt ist es selten zu sehen, wie ein wirtschaftlicher Niedergang Existenzen erschüttert.

Karstadt-Mitarbeiter aus dem Haus in der Schuhstraße sind wie angekündigt auf die Straße gegangen, drinnen halten die Kolleginnen und Kollegen den Betrieb aufrecht. Immerhin bis Ende Januar 2024 währt noch die Frist – nachdem in dieser Woche ja die Schließung des letzten Braunschweiger Galeria-Karstadt-Standortes verkündet worden war. Und auch die Verhandlungen darüber, ob es noch einmal eine Zukunft für sie geben kann, werden noch einmal angekurbelt.

Protest gegen die Karstadt-Schließung: Mitarbeiterinnen Regina Bartsch (links) und Bettina Wiese.
Protest gegen die Karstadt-Schließung: Mitarbeiterinnen Regina Bartsch (links) und Bettina Wiese. © Henning Noske

Jetzt aber heißt es für Regina Bartsch aus dem Warenservice-Team und für Bettina Wiese vom Kassenteam erst einmal, Flagge zu zeigen, klar zu machen: Wir wollen bleiben! So steht es auf einem großen Plakat vor dem Haupteingang Schuhstraße. Die TV-Kameras sind auf sie alle gerichtet. Jetzt ist der Moment, jetzt musst du es sagen, jetzt müssen es alle hören: Das geht so nicht, das könnt ihr doch nicht machen.

„Dieses Haus ist rentabel, es verdient Geld. Wir liefern Monat für Monat Geld ab“

„Ein Schock, wir stehen immer noch unter Schock, er sitzt immer noch tief“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Stefan Nagelschmidt im schwarzen Anzug. Unser Interview mit Regina Bartsch und Bettina Wiese fällt einsilbig aus. „Zum Heulen“, sagt die eine nur. Den Rest liest man in ihrem Gesicht. „Schlimm“, bringt die andere nur heraus. Dito.

Nagelschmidt muss was sagen. Die Mikrofone sind auf ihn gerichtet. Er nutzt den Moment, ja, sehr emotional, bringt aber die die Stimmung auf den Punkt.

„Dieses Haus ist rentabel, es verdient Geld. Wir liefern Monat für Monat Geld ab“, sagt er. Allerdings erfahre man aus der Zentrale und der Zeitung, dass der Investitionsstau zu hoch sei.

Aber selbst der Vermieter habe doch signalisiert, helfen zu wollen. „Das scheint aber unserem Unternehmen nicht zu reichen.“ Das Umfeld sei doch gut, „wir kommen auf einen grünen Zweig“, ruft Nagelschmidt. „Und nur weil hier seit 50 Jahren die Investitionen versäumt wurden, soll die Verkäuferin, die seit 40 Jahren auf der Fläche steht, jetzt arbeitslos werden?“

Wut und Fakten, die Mikrofone sind auf ihn gerichtet: Der Betriebsratsvorsitzende Stefan Nagelschmidt bei seiner Rede.
Wut und Fakten, die Mikrofone sind auf ihn gerichtet: Der Betriebsratsvorsitzende Stefan Nagelschmidt bei seiner Rede. © Henning Noske

Da brandet der Beifall auf – und wildfremde Leute klatschen mit. Emotionen, Wut, aber in den Verhandlungen, die jetzt anstehen, wird es auch um Nachdruck, Standhaftigkeit und neue gute Argumente gehen. Der Betriebsratsvorsitzende lobt den Braunschweiger Oberbürgermeister Thorsten Kornblum, der ihn am Montag in seinem Büro empfangen wolle. Das sei wichtig.

Für sie kann es nur eine Lösung geben: „Braunschweig muss erhalten bleiben!“

Aber noch wichtiger sei es jetzt, dass sich die Stadt mit dem Kaufhauskonzern und der Volksbank BraWo, dem Vermieter, in einem Zimmer an einem Tisch zusammensetze, dass man weiter verhandele, vernünftig verhandele. Sei’s drum, auch ohne Öffentlichkeit. So lange, bis eine Lösung gefunden sei. „Erst dann können sie wieder rauskommen.“ Nur wichtig, was dabei herauskomme. Und das könne nur der eine Satz sein: „Braunschweig bleibt erhalten!

Wieder viel Beifall, auch die Vertreter aus der Politik aus mehreren Parteien, die gekommen sind, nicken. Dabei hat es ähnliche Szenen auch schon gegeben, als es um die Kaufhausstandorte Bohlweg und Gewandhaus ging. Dabei war auch da immer die Hoffnung groß gewesen. Sie trog. Nun aber steht mehr zur Disposition. Es ist das endgültige Aus für eine Kaufhauskultur, die sich so, wie sie sich zuletzt präsentierte, auch überlebt hat.

Samstag, 18. März: Die Karstadt-Mitarbeiter haben an diesem Tag nur eine Botschaft. Das drückt alles aus.
Samstag, 18. März: Die Karstadt-Mitarbeiter haben an diesem Tag nur eine Botschaft. Das drückt alles aus. © Henning Noske

Doch die Pläne zur Rettung und Neuerfindung hatte ja der Kaufhauskonzern bereits selbst geschmiedet – mehr Regionalität, Originalität, neue Sortimente. Und zuletzt – sogar noch nach der Ankündigung, 52 Filialen in Deutschland zu schließen – hatten etwa die Häuser in Oldenburg und Rostock eine neue Chance erhalten. Totgesagte leben länger. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Lediglich der Sanierungsstau, und das versteht hier keiner, verhindere jetzt eine Braunschweiger Lösung.

Worte finden, wo sie manchmal fehlen: Gabi Hanne, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende.
Worte finden, wo sie manchmal fehlen: Gabi Hanne, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende. © Henning Noske

Regina Bartsch und Bettina Wiese sind fertig, wie man so schön sagt. Platt. So und so. Was soll man da noch sagen? Gabi Hanne, die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende, muss Worte finden. Ja, fassungslos bis wütend sei man. Aber es sei wichtig, Sätze wie diesen zu formulieren: „Jetzt geht es darum, alle in der Stadt zu sensibilisieren: Wir können das schaffen.“

„Hohe Zentralität“, was so viel heißt wie: Aus dem Umland wollen sie in Braunschweig einkaufen

Da sind auch Fakten, die man nicht so einfach beiseite wischen kann. Nagelschmidt, der Mann im schwarzen Anzug, hat sie parat. Er hat vor mehr als 30 Jahren bei Karstadt in Braunschweig mal als Azubi angefangen, hätte nicht gedacht, sagt er, „dass ich hier mal nicht meine Rente erreichen könnte“. Eine Sorge, die mittlerweile übrigens nicht nur in dieser Branche geteilt wird.

Aber die konkreten Daten, die er nun mitteilt, sollten doch zu denken geben. „Der Braunschweiger kennt sein Karstadt, wir haben gute Voraussetzungen“, sagt Nagelschmidt.

Da ist das „große Umland“, die Region Braunschweig-Wolfsburg, er nennt die „Zentralität in Höhe von 1,5“. Damit wird bekanntlich das Verhältnis aus den Einzelhandels-Umsätzen in der Stadt zur dort real existierenden Kaufkraft ausgedrückt. Werte wie 1,5 deuten auf eine hohe Attraktivität hin, weil Menschen aus dem Umland dann nicht zuhause einkaufen, sondern eben hier bei uns.

Aber da ist noch mehr. Das Umfeld „ist gesund“, starke Unternehmen in Stadt und Region, hohe Kaufkraft, alles in allem: ein bärenstarker Standort, wenn du nur willst.

Das könnte sich ändern, wollen sie damit sagen. Gewerkschafts-Sekretär Marc Jäger (Verdi) drückt es aus: „Wenn ausgerechnet dieses Haus jetzt noch schließt, kommt es zu einem Domino-Effekt in der Innenstadt.“ Will sagen: Dann fällt bestimmt noch mehr um.

Das Leben geht erstmal weiter. Frühling, endlich scheint die Sonne wieder. Die Innenstadt ist an diesem Samstag, 18. März, wieder voller Menschen, gute Frequenzen nennen sie das im Stadtmarketing. Bei Karstadt zwischen Schuhstraße, Schützenstraße und Neuer Straße – gefühlt einer halben Fußgängerzone – geht jetzt wieder alles seinen gewohnten Gang. Wie lange noch?

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