Braunschweig. Die Mitglieder engagieren sich, um die Not von Kriegsopfern zu lindern. Vorsitzender Igor Piroschik berichtet, wie sich die Lage entwickelt.

Der Krieg wütet immer grausamer. „Putin will die Ukraine zerstören“, ist Igor Piroschik, der Vorsitzende des Vereins Freie Ukraine in Braunschweig, überzeugt. Wenn die Ukraine den Krieg verliere, werde sie vernichtet, einfach ausgelöscht.

Auch an diesen Krieg haben sich die Menschen inzwischen gewöhnt. Die Psyche findet Wege, die Gedanken an die Grausamkeit, das Leid, die Schmerzen der Opfer erträglich zu machen. Die Gewöhnung ist ein Schutz der Seele. „Leider gehen damit auch die Spenden merklich zurück“, bedauert Piroschik.

Dabei würden vor allem Medikamente dringend gebraucht. Am Wochenende konnte der Verein einen dritten Krankentransporter auf die Reise schicken, beladen mit Medikamenten, die das Krankenhaus in Charkiw auf seine Wunschliste gesetzt hatte. Auch dieser Transporter, inzwischen der Dritte, soll in der Ukraine bleiben, wird dringend zur Versorgung von Verwundeten, Alten und Kranken gebraucht.

Igor Piroschik ist Vorsitzender des Vereins Freie Ukraine. Er sagt: „Viele Geflüchtete haben inzwischen in Braunschweig eine Wohnung gefunden.“
Igor Piroschik ist Vorsitzender des Vereins Freie Ukraine. Er sagt: „Viele Geflüchtete haben inzwischen in Braunschweig eine Wohnung gefunden.“ © regios24 / Archiv | Stefan Lohmann

Auch wenn immer weniger finanzielle Unterstützung eingeht, sind Piroschik und der Verein dankbar über jede Hilfe. Meist sind es Firmen, Schulklassen und Privatleute, die sich engagieren und Geld geben. Seit Beginn des Krieges sind nunmehr 750.000 Euro eingegangen. Ein Silberhochzeits-Paar etwa hatte um Geldgeschenke gebeten für die Ukraine-Hilfe. Das Gymnasium Raabeschule in Stöckheim überbrachte den Erlös des selbst organisierten „Flohmarkts für den Frieden“.

Wie geht es den Geflüchteten hier in Braunschweig derzeit? Rund 3000 sind registriert. Meist Frauen, viele mit Kindern. „Nachdem die meisten Behördengänge geschafft sind, ist es vielen gelungen, eine Wohnung zu finden“, sagt Piroschik. Nicht selten hätten sich Frauen und Kinder zu Wohngemeinschaften zusammengeschlossen. Es sei gut, dass sie nun eine feste, sichere Bleibe und Privatsphäre hätten. „Die Bereitschaft vieler Braunschweiger, Ukrainer bei sich Zuhause aufzunehmen, war großartig. Aber manch einer war mit der Situation doch überfordert“, so Piroschik.

Das Leben habe sich für die meisten Geflüchteten inzwischen etwas normalisiert, viele lernten bereits Deutsch in den zahlreichen Sprachkursen, die angeboten würden. Man helfe sich gegenseitig sehr. „Jetzt geht es für viele darum, schnell eine Arbeit zu finden.“ Um die Akademiker mache er sich beruflich keine Sorgen. „Die sprechen Englisch, sind selbstbewusst und werden sich zurechtfinden“, ist er überzeugt.

Einige Geflüchtete seien inzwischen jedoch zurückgekehrt in ihre Heimat, auch wenn der Krieg noch tobe. Andere hingegen hätten sich schon jetzt entschieden, in Deutschland zu bleiben. Weil daheim alles zerstört sei. Oder aus Angst vor einer russisch dominierten Ukraine, vor Unfreiheit, Unterdrückung, Repressalien.

Piroschik bekommt über die sozialen Netzwerkemit, wo bei den Geflüchteten der Schuh drückt, was gerade Thema ist. Auf Telegram beispielsweise sind allein in Braunschweig zirka 800 Nutzer verbunden; bei Whatsapp sind es weitere 250.

Im Haus der Kulturenam Nordbahnhof gibt es immer noch jeden Freitag von 16.30 bis 18.30 Uhr Willkommenstreffen. Zwischen 60 und 100 Ukrainer kommen regelmäßig. Cristina Antonelli von der Leitung des Hauses habe angeregt, die Treffen als Informationsveranstaltungen zu nutzen. So sei etwa Marco Frank, Geschäftsführer der Refugium Flüchtlingshilfe, bei seinem Besuch zwei Stunden lang mit Fragen gelöchert worden. Am 10. Juni werden Gesundheitslotsen und eine Krankenkasse über das deutsche Gesundheitswesen aufklären. „Auf diese Weise bekommen die Treffen eine hohe Qualität“, sagt Piroschik.

Am Wochenende fuhr von Braunschweig aus erneut ein Hilfstransport mit Medikamenten in die Ukraine. Die Fahrer Eugeniy und Vitaliy beladen hier den Krankentransporter, den der Verein Freie Ukraine gebraucht gekauft hat und der später in der Ukraine eingesetzt werden soll.
Am Wochenende fuhr von Braunschweig aus erneut ein Hilfstransport mit Medikamenten in die Ukraine. Die Fahrer Eugeniy und Vitaliy beladen hier den Krankentransporter, den der Verein Freie Ukraine gebraucht gekauft hat und der später in der Ukraine eingesetzt werden soll. © Freie Ukraine

Der Verein sorgt sich auch um die Traumatisierten. Viele Geflüchtete leiden unter den Folgen der seelischen Belastungen. Tanja Makarchuk, Sozialarbeiterin, diplomierte Sprachwissenschaftlerin und Gründungsmitglied des Vereins Freie Ukraine, sei sehr engagiert im Bereich der psychologischen Betreuung, berichtet Piroschik.

Jüngst hatte sie in unserer Zeitung erklärt: Es mangele an Therapieplätzen und an der Versorgung von Akutfällen; die Behörden seien oft überfordert. „Wir benötigen mehr ukrainische Psychologinnen, die die Sprache der Geflüchteten sprechen und ihre Mentalität kennen. Allein mit Dolmetschern lässt sich das nicht bewältigen. Außerdem ist absehbar, dass es Menschen gibt, die aufgrund ihrer Erlebnisse über Monate psychologische Hilfe brauchen werden: Das ist eine Betreuung, die wir ehrenamtlich nicht leisten können“, hatte sie gesagt. Ihr Vorschlag: sich die Fach- und Sprachkompetenz von Psychologinnen, die selbst geflüchtet seien, zunutze zu machen. Darüber wolle der Verein mit der Stadt Braunschweig sprechen, so Piroschik.

Am Altewiekring ist zudem in Zusammenarbeit mit Ukrainehilfe38 geplant, ein Kulturzentrum zu errichten, um vor allem Kindern die ukrainische Kultur, Geschichte und Sprache zu vermitteln. „Wir wollen auf keinen Fall Parallelwelten aufbauen“, betont Piroschik. Der Verein sei unbedingt dafür, dass die ukrainischen Kinder in deutsche Schulen gingen. „Aber sie sollten die Chance haben, ihre ukrainische Identität wahren zu können.“

Der anfangs starke Zustrom an Flüchtlingen aus der Ukraine ist trotz der schweren Kämpfe inzwischen abgeebbt. „Aber wer weiß, ob es nicht erneut zu einer Massenflucht kommt“, meint Piroschik.

Spendenkonto des Vereins Freie Ukraine bei der Braunschweigischen Landessparkasse: IBAN: DE08 2505 0000 0152 0513 30. Verwendungszweck: Hilfe Ukraine

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