Braunschweig. Es ist die erste Demo auf einer Autobahn in Niedersachsen. Die Klimaschützer fordern einen sofortigen Stopp aller weiteren Autobahnbauten.

Die A39 war am Sonntagmittag in beide Richtungen voll gesperrt. Nicht wegen Bauarbeiten, sondern aufgrund einer Fahrraddemo – erstmalig in Niedersachsen, wie Organisator Edmund Schultz betonte. Nach Schätzungen der Polizei beteiligten sich rund 200 Menschen – Schultz sprach von 400 bis 500.

Los ging’s am Kohlmarkt, dann durch die Innenstadt über die Salzdahlumer Straße und gegen die eigentliche Fahrtrichtung für ein paar Meter auf die Autobahn. An der Schwartzkopffbrücke seilten sich eine Kletterin und ein Kletterer ab und spannten ein Transparent: „Gurt an für die Verkehrswende“.

Die gesamte Aktion war genehmigt und wurde von der Polizei begleitet. Es gab mehrere Redebeiträge. Der bundesweit aktive Umweltaktivist Jörg Bergstedt eröffnete die Autobahnkundgebung mit einer Feststellung: „Viele haben geglaubt, dass sowas niemals möglich ist. Aber das Abseilen über Autobahnen ist ein Grundrecht – Autofahren nicht!“

„Wir können die Arbeitsplätze bei VW verdoppeln, verdreifachen“

Rund 200 Menschen beteiligten sich an der Fahrraddemo auf der A39 – hier an der Auffahrt zur Salzdahlumer Straße.
Rund 200 Menschen beteiligten sich an der Fahrraddemo auf der A39 – hier an der Auffahrt zur Salzdahlumer Straße. © Bernward Comes

Edmund Schultz ging auf VW ein – im doppelten Sinne: „VW heißt Verkehrswende. Deswegen nennt sich unser Bündnis VWsAW – Verkehrswende statt Antriebswende. Denn Elektroautos sind keine Lösung.“ Die Akkuproduktion richte große Umweltschäden. „Ich hab’ nichts gegen VW, und ich möchte die Firma nicht abschaffen“, sagte er.

Und weiter: „Da arbeiten ganz viele tolle Leute – die müssen keine Autos produzieren. Wir können die Arbeitsplätze bei VW verdoppeln, verdreifachen, wenn VW vernünftige Sachen für die Klimawende produzieren würde.“ Er zählte einige Beispiele auf: Straßenbahnen, Windstromanlagen, Lastenräder oder Antriebe für Schiffe, Flugzeuge, Busse und Bahnen, die klimaneutral unterwegs sind.

„Wir wollen weg vom Autoverkehr“

Schultz verwies auf António Guterres, den Generalsekretär der Vereinten Nationen. „Er hat eine flammende Rede gehalten bei der Vorstellung des Weltklimaberichtes und gesagt: Aktivismus ist im Moment richtig gut und kann nicht verurteilt werden.“ Guterres hatte kürzlich betont: „Einige Regierungen und Verantwortliche von Unternehmen sagen das eine und tun das andere. Einfach ausgedrückt: Sie lügen.“

Für Schultz ist klar: „Wir wollen weg vom Autoverkehr. Der Verkehrssektor soll endlich seinen Beitrag zu Klimaschutz und Artenschutz leisten. Der Bundesverkehrswegeplan muss gestoppt werden. Keine Waldrodungen und keine neuen Autobahnen!“

Das Abseilen beginnt – alles mit doppelter und dreifacher Absicherung.
Das Abseilen beginnt – alles mit doppelter und dreifacher Absicherung. © Bernward Comes

Wertmüller: Widerstand in Politik, Wirtschaft und großen Teilen der Bevölkerung

Sebastian Wertmüller, Bezirksgeschäftsführer von Verdi, sagte: „Wir sind hier ein relativ heterogener Kreis von unterschiedlichen Menschen aus politischen Organisationen, Gruppen, Initiativen, Verbänden – aber wir haben ein paar Sachen gemeinsam. Es braucht eine Wende in der Klimapolitik, und dafür braucht man eine Wende in der Verkehrspolitik: weg vom motorisierten Individualverkehr.“

Voller Einsatz für die Verkehrswende.
Voller Einsatz für die Verkehrswende. © Bernward Comes

Man habe es mit mächtigen Gegnern zu tun, in der Politik, in der Wirtschaft, so Wertmüller, und auch mit großen Widerständen in großen Teilen der Bevölkerung. „Deswegen ist es gut, dass wir so heterogen sind, wie wir sind, damit wir an den verschiedenen Orten dafür kämpfen, dass es eine Verkehrswende und eine Wende in der Klimapolitik gibt.“

Die entscheidende Alternative zum motorisierten Individualverkehr neben dem Radfahren und dem Zu-Fuß-Gehen sei der ÖPNV. Die Voraussetzungen aus Wertmüllers Sicht: Auch Menschen mit wenig Geld müssen den ÖPNV nutzen können. Und Fahrerinnen und Fahrer brauchen gute Arbeitsbedingungen.

„Parkplätze reduzieren und Parkgebühren massiv erhöhen“

Hanna Märgner-Beu von der BIBS forderte unter anderem einen ÖPNV zum Nulltarif sowie höhere Taktungen von Bussen und Bahnen. Das sei aber nur ein Anfang. „Wenn wir es nicht schaffen, den Autoverkehr aus der Stadt rauszuholen, hat das keinen Sinn“, sagte sie. „Wir müssen die Parkplätze in der Stadt reduzieren, und zwar massiv, und wir müssen die Parkgebühren massiv erhöhen.“ Städte wie Amsterdam, Kopenhagen und Bern machen es ihr zufolge vor.

„Gurt an für die Verkehrswende“ steht auf einem Banner, dass die Demonstranten über die A39 hängten. Aktivisten seilten sich von der Brücke ab. Die Aktion war zuvor genehmigt worden.
„Gurt an für die Verkehrswende“ steht auf einem Banner, dass die Demonstranten über die A39 hängten. Aktivisten seilten sich von der Brücke ab. Die Aktion war zuvor genehmigt worden. © Cornelia Steiner

„Was ich aber immer wieder merke: Wir erreichen so wenig Menschen mit Argumenten“, sagte Märgner-Beu. „Was können wir da machen? Wir müssen positive Bilder schaffen und neue Geschichten erzählen. Wir müssen für die Verkehrswende kämpfen, aber gleichzeitig die Visionen verbreiten. Packen wir’s an!“

Nein zum Weiterbau der A39 und zum Gewerbegebiet Scheppau

Thomas Schmidt von der Bürgerinitiative Baumschutz spannte mit einer weiteren Aktivistin das Banner über der Autobahn.
Thomas Schmidt von der Bürgerinitiative Baumschutz spannte mit einer weiteren Aktivistin das Banner über der Autobahn. © Bernward Comes

Reinhard Schrader von der BUND-Kreisgruppe Gifhorn bezog Stellung gegen den Weiterbau der A39. Es handele sich dabei um großflächige Naturzerstörung. Das Geld sollte stattdessen in den Erhalt bestehender Straßen und Brücken investiert werden, sagt er.

Andreas Hoffmann vom Kreisverband der Braunschweiger Grünen bekräftigte das Nein zum möglichen Gewerbegebiet Scheppau. „Wir müssen Flächen entsiegeln und nicht versiegeln“, sagte er. Für das Gewerbegebiet gebe es keinen Bedarf. Stattdessen sei Nachverdichtung im Bestand angesagt – auf diese Weise könnten in unserer Region noch genügend Industrie- und Gewerbeflächen geschaffen werden, so Hoffmann.

Verkehrsclub fordert: Rad- und Schieneninfrastruktur massiv ausbauen

Direkt zu Beginn der Fahrraddemo hatte Harald Walsberg, Vize-Landesvorsitzender des VCD Niedersachsen (ökologischer Verkehrsclub Deutschland), betont: „Eine Regierung, die uns das Märchen erzählt, dass wir ohne Lebensstiländerung die Klimakatastrophe abwenden können, handelt vorsätzlich grob verantwortungslos!“

Er fragte: „Warum wird die Rad- und Schieneninfrastruktur nicht massiv ausgebaut – zu Lasten der Autoverkehrsflächen? Warum beschließt die Regierung nicht Tempolimit und autofreie Sonntage wie zur Ölkrise 1973?“ Einsparungen von wesentlichem Umfang seien möglich.

„Energieexpertin Claudia Kemfert sieht ein sofortiges Potenzial von 15 Prozent des Ölverbrauchs, also des Hauptenergielieferanten im Verkehrssektor“, so Walsberg. „Das ist die Hälfte des nach Deutschland gelieferten russischen Öls. Die andere Hälfte kann unproblematisch aus anderen Quellen beschafft werden. Und schon hätten wir uns von Putins Öl vollständig gelöst. Bei Kohle sind die Weichen bereits gestellt.“ Er forderte unter anderem eine Verkehrswende hin zum Öffentlichen Verkehr und eine sozial-ökologische Wirtschaftswende hin zur Gemeinwohlökonomie – „unter Abschaffung des Wachstumsfetisch“, so Walsberg.

Verhandlung wegen unangemeldeter Abseilaktion

Die Kundgebung endete mit einem Abseil-Fest abseits der Autobahn. Anlass für die gesamte Aktion ist übrigens auch ein Strafprozess wegen einer ähnlichen, aber unangemeldeten Abseilaktion im Jahr 2021. Die Verhandlung findet am 11. April um 9.30 Uhr am Amtsgericht in Helmstedt statt.

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