Braunschweig. Glücksforscher Tobias Rahm erklärt, wie ein glücklicheres Leben gelingen kann. Mit diesen Übungen kann es klappen. Nachmachen erwünscht.

Schon bald dürften Schülerinnen und Schüler der Braunschweiger Grundschule Gliesmarode Glück als Arbeitsgemeinschaft wählen können. Und geht es nach Tobias Rahm, Glücksforscher und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für pädagogische Psychologie der TU Braunschweig, sollen zahlreiche weitere Grundschulen folgen. Über dies und Tipps auf dem Weg zur Glückseligkeit sprachen wir mit ihm im Interview unseres Wissenschaftspodcasts „Forsch!“.

Im kommenden Wintersemester will Rahm an der TU Braunschweig ein Seminar anbieten, in dem Studierende darauf vorbereitet werden sollen, an Grundschulen die AG Glück anzubieten. Und das soll nicht nur dazu führen, dass die Kinder im Hier und Jetzt glücklicher sind. Rahm: „Wir wollen die Kompetenz schulen, das Leben nachhaltig glücklich zu gestalten.“ Und: Studien zufolge steige mit dem Wohlbefinden auch die Leistungsfähigkeit. „Wenn man Glück trainiert, dann trainiert man auch Leistung“, so Rahm. Glück sei eine „wichtige gesellschaftliche Aufgabe, die es voranzutreiben gilt“.

Und warum nicht heute zumindest einen kleinen ersten Schritt in diese Richtung machen? In einer Zeit, in der Corona unser Leben im Griff hält und ein Krieg in unserer Nachbarschaft tobt, mag dem ein oder anderen der Weltglückstag am 20. März, der 2012 von den Vereinten Nationen beschlossen wurde, deplatziert erscheinen. Anderen hingegen mag er wichtiger sein denn je. Was, wenn Russland einen Glücksminister hätte wie Bhutan, das kleine Land am östlichen Rand des Himalayas, auf dessen Drängen hin die UN-Hauptversammlung den Weltglückstag ins Leben rief? Der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sagte zur Einführung des Weltglückstags: „Wir brauchen ein neues Paradigma für die Wirtschaft, welches die Gleichwertigkeit der drei Nachhaltigkeitssäulen beachtet. Wohlergehen in puncto Sozialem, Wirtschaft und Umwelt sind nicht voneinander zu trennen. Zusammen definieren sie das globale Brutto-Glück.“

„Erst körperlich aktiv sein, vorher machen Glücksübungen keinen Sinn“

Doch fangen wir nicht gleich bei der ganzen Welt an, sondern im Kleinen, bei uns selbst. Wie werden wir denn nun glücklicher, Herr Rahm? Komplex, ohne Frage. Schließlich ist jeder anders. Aber es gebe durchaus die ein oder andere Glücksübung, verrät der Wissenschaftler. Doch, stopp: „Bevor ich mit kognitiven Tricks anfange, macht es Sinn, körperlich aktiv zu sein“, so Rahm. „Wenn ich den ganzen Tag auf dem Sofa sitze, ist mein Hormonhaushalt nicht darauf gepolt, Höhen und Tiefen zu erleben. Wenn ihr nicht mindestens zwischendurch mal eine Stunde spazieren geht, müsst ihr mit Glücksübungen nicht anfangen.“

Forsch!-Podcast- Glück lässt sich trainieren

Also erst einmal raus und dann kann es losgehen. „Meine Lieblingsübung heißt ’drei gute Dinge’“, verrät Rahm. Abends werden drei gute Dinge aufgeschrieben, die tagsüber passiert sind. Hinzu kommt eine Notiz, was man selbst zu dieser Sache beigetragen hat. „Das kann etwas großes wie die Steuererklärung sein oder etwas kleines, beispielsweise, wie man einem Eichhörnchen beim Klettern zugesehen hat.“ Glück sei subjektives Wohlempfinden, da sei alles denkbar.

Wichtig ist es, den eigenen Beitrag zum Wohlempfinden zu erkennen

Was der eigene Beitrag zur guten Sache ist, könne entweder ganz einfach beantwortet werden wie bei der Steuererklärung oder sei weniger offensichtlich wie beim Eichhörnchen. „Aber beim Eichhörnchen ist es so: Ich habe da hingeguckt, ich bin stehen geblieben und hatte in dem Moment kein Handy vor der Nase.“ Immer gebe es auch einen eigenen Beitrag, und wenn er noch so klein sei.

Für manch einen bedeutet dies Glück: Ein Eichhörnchen beobachten.
Für manch einen bedeutet dies Glück: Ein Eichhörnchen beobachten. © dpa | Bernd von Jutrczenka

„Wir vermuten, dass diese Übung an verschiedenen Wirkmechanismen arbeitet.“ Zum einen werde die Aufmerksamkeit für die schönen Dinge geschärft. „Und das genauer wahrzunehmen, führt zu mehr positiven Gefühlen.“ Der Fokus darauf, was man selbst dazu beigetragen hat, trainiere zu erkennen, „dass ich tatsächlich meines Glückes Schmied bin“. Eine Studie belege, dass Menschen, die diese Übung eine Woche lang gemacht haben auch noch sechs Monate danach glücklicher waren als eine Kontrollgruppe, die das nicht gemacht hat. „Sieben mal fünf Minuten fürs eigene Wohlbefinden und das hält für ein halbes Jahr.“ Das sei ein unschlagbares Preis-Leistungs-Verhältnis.

Für den einen sind es Cocktails am Strand, für den anderen das Buch auf der Terrasse

Wichtig sei, dass wir mehr positive Emotionen in unseren Alltag integrierten und mit den negativen Gefühlen konstruktiver umgingen. „Wenn mir jemand die Vorfahrt nimmt und ich danach für fünf Minuten die Windschutzscheibe anschnauze, dann sorgt das nur dafür, dass sich mein Stresslevel erhöht.“ Und je öfter das passiere, desto eher entwickele sich etwas Gesundheitsschädigendes. „Wir müssen lernen, besser mit unseren Emotionen umzugehen.“ Und dazu gehöre auch, unterscheiden zu lernen, wann sich das Aufregen lohne und wann Gelassenheit die angemessenere Variante sei.

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Um herauszufinden, wie es um die emotionale Lage bestellt ist und was sie verbessern könnte, sei dieses Gedankenspiel geeignet: „Stell Dir vor es kommt eine gute Fee und sie zaubert eine freie Woche in den Terminkalender. In dieser Zeit musst Du nichts anderes machen, die Steuererklärung ist fertig, der Rasen gemäht, niemand will etwas von Dir. Und zusätzlich bekommst Du ein paar tausend Euro. Was machst Du?“ Die einen sagten dann etwas wie: Strand und Cocktail. Die anderen: Auf der Terrasse ein Buch lesen. „Und dann denkst Du, au Backe, die kriegen es nicht hin, mit gutem Gewissen ein Buch zu lesen, weil sie den ganzen Tag rödeln müssen.“

„Jeder weiß, bei wem das Glas eher halbvoll oder halbleer ist“

Dummerweise gebe es die guten Feen ja nicht, aber auch wenn die Übung rein hypothetisch sei, öffne sie Denkspielräume. Wer Sonne, Strand und Cocktails brauche, könne einen Kurzurlaub planen oder Menschen zum Cocktailtrinken einladen. „Ich muss mein Leben nicht komplett umkrempeln, damit ich endlich glücklich bin“, sagt Rahm. „Dieser Gedanke ist schon falsch. Das ist ein Anspruch, der mich völlig überfordert.“ Fünf Minuten am Tag etwas anders zu machen, sei schon wertvoll.

Dass es sich lohne, am eigenen Glück zu arbeiten, das zeige die sogenannte Nonnenstudie vom Beginn der 2000er-Jahre. US-amerikanische Nonnen erklärten sich bereit, persönliche Texte zu ihren Lebensläufen offenzulegen, die sie während ihres Ordenseintritts verfasst hatten. Das war etwa um 1940. Damals habe die eine etwas in dieser Art geschrieben, so Rahm: „Ich bin da und da aufgewachsen, meine Eltern haben das gemacht, ich bin da zur Schule gegangen und jetzt bin ich hier, um meine Pflicht zu erfüllen.“ Eine andere habe etwas geschrieben wie: „Ich hatte das große Glück, in diesem Dorf aufzuwachsen. Da hatte ich einen Lieblingsspielplatz und jetzt bin ich hier und möchte meine Liebe zu Gott mit meinen Mitschwestern teilen.“

Lehrkräfte zu Experten des eigenen Glücks machen

Ein Sehnsuchtsziel, das dem ein oder anderen schon beim Gedanken daran ein Wohlbefinden beschert.
Ein Sehnsuchtsziel, das dem ein oder anderen schon beim Gedanken daran ein Wohlbefinden beschert. © dpa | Ehlers

Forscher hätten die Texte kategorisiert und fanden beim Blick auf die Lebensdauer der Nonnen heraus, dass diejenigen, die positiv formuliert hatten, im Schnitt zehn Jahre länger lebten als die, die negativ formuliert hatten. Das sei insbesondere deswegen bemerkenswert, da abweichende äußere Umstände nahezu auszuschließen seien. „Die Nonnen lebten in gleicher Weise, aßen das gleiche, tranken das gleiche Wasser, hatten das gleiche Wetter, beteten das gleiche.“ Das abweichende sei am Schreibstil zu erklären gewesen, positiv oder negativ, und demnach an der Einstellung zum Leben. „Jeder weiß, bei wem das Glas eher halbvoll oder halbleer ist.“

Und was, wenn derjenige, bei dem es halbleer ist, beispielsweise als Pfarrer vor einer Gemeinde spricht oder Kinder in der Schule unterrichtet? „Mein Professor sagte immer: Wie soll denn der depressive Pfarrer die frohe Botschaft verkünden?“ Und übertragen auf Rahms Forschungsfeld, das unter anderem die Lehrergesundheit umfasst, ergänzt Rahm: „Wie soll der stressbelastete, unglückliche Lehrer glückliche Schülerinnen und Schüler schaffen?“ Gerade da, bei den Lehrerinnen und Lehrern sei ein großer Hebel. „Denn wir wissen, dass positive Emotionen ansteckend sind. Und wir wissen, dass Menschen in diesem Moment besser lernen können.“ Wichtig sei Rahm daher, Lehrerinnen und Lehrer zu „Experten ihres eigenen Glücks“ zu machen.

Je konkreter der Vorsatz, desto wahrscheinlicher die Umsetzung

Und das könnten sie dann weitertragen. Und zum Beispiel Übungen wie die Lobdusche durchführen. „Meine älteste Tochter hatte eine Lehrerin, die diese Übung durchgeführt hat. Als sie nach Hause kam, hat sie so sehr gestrahlt. Das hat mindestens eine Woche gehalten.“ Bei der Lobdusche müssen alle Mitschülerinnen und Mitschüler etwas Positives zu einer Person sagen. Das könne auch so etwas sein wie: „Du bist immer so schick angezogen“ oder „Du sagst Deine Meinung“. Für seine Tochter sei das ein „Riesen-Beitrag“ gewesen, so Rahm. „Und ich bin sicher, dass, wenn man auf so einer Bestätigungswelle reitet, man auch einen Kopf für den blöden Mathe-Kram hat. Das geht Hand in Hand.“

Apropos Bestätigungswellen, zwar liegt die Hoch-Zeit der Neujahrsvorsätze schon hinter uns. Ein Blick darauf lohnt aber immer. Schließlich kann sich glücklich schätzen, wer Ende März immer noch an seinen festhält. Doch was macht den klassischen Vorsatz eigentlich so resistent gegen seine Umsetzung? In der Regel, weil im richtigen Moment der Leidensdruck fehlt, wie Rahm ausführt: Wer das Treppenhaus hochlaufe und oben ganz auf der puste sei, der verspüre in diesem Moment einen Leidensdruck. Der Vorsatz, im neuen Jahr mehr Sport zu machen oder morgen mit dem Rauchen aufzuhören, sei schnell gefasst. Wenn dann der Zeitpunkt kommt, zu dem der Vorsatz gebildet wurde – das neue Jahr also da ist oder der neue Tag – dann fehle der Leidensdruck und mit ihm auch die Energie, den Vorsatz umzusetzen. „Schlauer ist es, schon den Vorsatz konkreter zu machen.“ Das könne beispielsweise bedeuten, einen konkreten Termin im Fitnessstudio zu vereinbaren oder heute eine Erinnerung im Handy zu speichern, die morgen daran erinnert, nicht zur Zigarette zu greifen. „Gut ist es, den Leidensdruck und den Vorsatz zusammen zu bringen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, den Vorsatz erfolgreich umzusetzen, höher.“ Und das macht dann vielleicht tatsächlich glücklicher.

Mehr zur Glücksforschung an der TU Braunschweig lesen Sie hier.