Braunschweig. Enrico Dunkel vom Alten Haus in Braunschweig hat während der Corona-Zeit seine Wein-Leidenschaft in ein ganz neues Konzept umgemünzt.

Mit anderem Inhalt könnte er als Aquarium durchgehen, doch im Alten Haus ist der gläserne Raumtrenner ein önophiles Kunstwerk. Eines, das Weinliebhaber anzieht und Lust macht auf ein Gläschen. Weinflaschen sind hinter der Scheibe zu sehen, halb begraben von einem Korken-Berg. Rund 5000 sollten es sein, meint Enrico Dunkel. Freunde hätten für ihn mitgesammelt, einer sogar seine Sammlung hergegeben.

In der Mitte der von einem Tischler angefertigten Schaubox glänzen Agraffen – so nennt man die Drahtgestelle, die bei Sektflaschen die Korken umschließen. Mit der Konstruktion hat sich der Spitzenkoch einen Wunsch erfüllt und seinem Restaurant eine neue Ausrichtung verpasst. Es ist jetzt in einem Bereich Weinbar und soll so auch Gäste ansprechen, die gerade kein Gourmet-Menü wünschen.

Der neue Weinbar-Bereich soll Gästen in Kürze offenstehen.
Der neue Weinbar-Bereich soll Gästen in Kürze offenstehen. © Henning Thobaben

Ein mit flauschigen Fellen belegtes Sofa steht für die Lockerheit, die in der Weinbar herrschen soll. Der rötlich-braune Bezug fügt sich in das von erdigen Farbtönen beherrschte Interieur ein. Drehstühle sollen das kommunikative Element beleben. Vielleicht stößt ja der eine oder andere doch mal mit seinem Tischnachbarn an, wenn die Corona-Regeln die Öffnung des Bereichs zulassen. Überhaupt hat sich Enrico Dunkel eine Menge Gedanken gemacht, so wie er es bei allem tut. Er ist Kreativkopf und Perfektionist in einer Person. Und der Wein hatte es ihm schon immer angetan.

Regelmäßig zeichnet das Fachmagazin Vinum den Braunschweiger aus

Mehr als 450 Sorten hat Dunkel in seiner Karte gelistet. Regelmäßig zeichnet ihn das Fachmagazin Vinum dafür aus. Nur eines hat sich geändert: Im Alten Haus werden nur noch deutsche Weine ausgeschenkt. „Im Riesling-Bereich war Deutschland schon immer Weltklasse. Aber auch sonst sind die deutschen Weine viel besser geworden“, sagt der Kenner. Mit einem Stammgast, der französische Weine liebt, habe er über seine Entscheidung diskutieren müssen. Er habe ihm dann einfach einen köstlichen Rheinhessen serviert – den Unterschied zum Burgund habe der Mann nicht feststellen können.

Schon seit Jahren bereist Dunkel in seiner Urlaubszeit deutsche Weingüter. Hält sich dort oft Stunden auf, redet mit Winzern, spaziert durch die Weinberge, probiert, genießt. Mittlerweile könne er nicht nur die Rebsorten herausschmecken, sondern auch die Lagen, auf denen sie angebaut werden, erzählt er. Steilhanglage, kühles Tal, Forster Pechstein oder Jesuitengarten – das präge den Wein, so der Liebhaber.

Auch seine Mitarbeiter sensibilisiert der Koch für die Geschmacksvielfalt. Bei Blindverkostungen soll das Personal lernen, feinste Nuancen herauszuschmecken. Manchmal setzt ihnen Dunkel auch Flaschen von ein und demselben Weingut vor, die sich nur im Jahrgang unterscheiden. So sollen sie ein Gefühl dafür bekommen, wie prägend die schwankenden Wettereinflüsse für das Produkt sind.

Enrico Dunkel: „Die Hatz nach Auszeichnungen mache ich schon lange nicht mehr mit. 95 Prozent meiner Gäste ist das sowieso egal“

Enrico Dunkel könnte wohl stundenlang über Wein reden. Über seine Meinung zu Bio-Wein und seine kritische Meinung zu derlei Zertifizierungen. Über die Tatsache, dass gute Weine nicht zwangsläufig hochpreisig seien. Oder einfach nur über den Umstand, dass er im Keller seiner direkt gegenüber dem Restaurant gelegenen Wohnung ein ganzes Lager aufgebaut habe – und es gut sei, dass ihm seine Nachbarin ihren Kellerraum noch zusätzlich abgetreten habe.

Bei so viel Plauderei über das alkoholische Getränk rückt die Tatsache, dass Dunkel in erster Linie Koch ist, beinahe in den Hintergrund. Und das, obwohl der 52-Jährige ein Meister seines Fachs ist. Regelmäßig wird er in den Restaurantführern Gusto und Gault-Millau ausgezeichnet. Dass ihm der Michelin-Stern bislang verwehrt blieb, sorgt bei Kennern der Szene immer wieder für Verwunderung. Dunkel selbst ist es inzwischen egal. „Die Hatz nach Auszeichnungen mache ich schon lange nicht mehr mit.
95 Prozent meiner Gäste ist das sowieso egal“, sagt er.

Ganz abgekoppelt vom Wein lässt sich aber auch über Dunkels Kochkünste nicht berichten. Denn für den Gastronomen steht zuerst der Geschmack aus der Flasche – und darauf basierend kreiert er passende Gerichte. „Das spezielle Aroma eines Weins muss sich in dem Gericht widerspiegeln“, erklärt er. So entstehe die nötige Harmonie. Ideen dafür kommen Dunkel immer. Obwohl seine Menüs ständig wechseln, wiederholt sich nichts. „In 15 Jahren habe ich kein einziges Gericht zweimal auf der Karte gehabt“, betont er.

Auf regionale Aspekte legt der Koch kein besonderes Augenmerk. Dafür ist ihm wiederum die Qualität zu wichtig. Die Jakobsmuschel soll aus Norwegen kommen, weil sie dort von Tauchern gesammelt und nicht per Schleppnetz gefischt wird. Auch der bretonische Steinbutt hat es Dunkel angetan. Doch grundsätzlich bemüht er sich – ähnlich wie beim Wein – deutsche Ware zu beziehen. Zur Zeit auf der Karte: ein Allgäuer Blauschimmelkäse, der mit eingeweckten Blaubeeren und Macadamianuss serviert wird. Oder der Müritzer Saibling, der nach der Ikejime-Methode gefangen wurde. Bei der japanischen Technik wird Tötungsschmerz für die Fische vermieden, um so die Qualität des Fleisches nicht zu beeinträchtigen.

Gleich nach dem Mauerfall zog es ihn aus Thüringen gen Westen

Mit vegetarisch oder vegan hat der frühere Schlachterpraktikant nichts am Hut. „Das ist einfach nicht meine Küche“, sagt er. Und angesichts von nur noch fünf Tischen für Menügäste müsse er in seinem Restaurant keine Kompromisse eingehen, erklärt er. Vielleicht sei es seine DDR-Vergangenheit, die ihm den Drang nach Selbstbestimmtheit mitgegeben habe. Gleich nach dem Mauerfall war er aus Thüringen gen Westen gezogen und über mehrere Stationen in Deutschland, Frankreich und Mallorca in Braunschweig gelandet. 2002 hatte er hier als Küchenchef im Dannenfelds gearbeitet, im Jahr darauf mit einem Partner den Ritter St. Georg und schließlich 2008 das Alte Haus übernommen.

Die Pandemie habe er letztlich gut überstanden, sagt Dunkel. Jetzt freut er sich darauf, bald auch wieder die Terrasse an der Alten Knochenhauerstraße öffnen zu können – natürlich auch für Weinfreunde.

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