Goslar. Muss bei Unfällen zwingend ein Notarzt am Einsatzort sein? Nötige Entlastung könnte die Telenotfallmedizin bringen, die in Goslar getestet wird.

In der Notfallmedizin zählt oft jede Minute – schnelle Versorgung ist in ländlichen Regionen und schwer zugänglichem Gebiet daher ein wichtiges Zukunftsthema. Nach Einschätzung von Rettungsdienstexperten ist es häufig nicht nötig, dass ein Notarzt zum Einsatzort fährt. „Oft wird eine Entscheidung des Arztes gebraucht, nicht seine Hände“, sagt Tobias Steffen, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes Goslar.

Goslar testet Telenotfallmedizin

Eine Lösung könnte die Telenotfallmedizin sein, die seit Anfang des Jahres in einem Pilotprojekt im Landkreis Goslar getestet wird. Abhängig von der Meldung muss der Notarzt dabei nicht mehr zwingend raus zum Einsatzort, sondern Notfallsanitäter verbinden sich per Telefon und Video mit dem Mediziner in der Zentrale. Mit spezieller Software werden Daten wie Vitalwerte des Patienten in Echtzeit an die Experten übertragen, die den Sanitätern vor Ort bei Diagnostik und Therapie helfen.

„Das bietet einen riesigen Vorteil für Patienten“, ist Rettungsdienstleiter Steffen überzeugt. Die Telenotfallmedizin bringe die dringend nötige Entlastung, weil sie schnelleres und effizienteres Handeln ermögliche. Steffen spricht von einer „Verfeinerung der Notfallversorgung“. Beispiele für schwer erreichbare Patienten im Mittelgebirge hat er vor allem im Winter genug. Unfälle auf Ski-Pisten oder verstopfte Straßen gehören zum Rettungsdienstalltag im Landkreis Goslar.

Telefonarzt soll Notfallsanitäter unterstützen

Nach guten Erfahrungen in Aachen, Greifswald und Bayern wurde der telenotfallmedizinische Arbeitsplatz im Januar in Goslar eingerichtet. Im Juli soll der Landkreis Northeim in den zunächst auf zwei Jahre ausgelegten Test einbezogen werden. Nach Angaben des Innenministeriums in Hannover wären dann 35 Rettungswagen und Notarzteinsatzfahrzeuge angebunden, die fast 270.000 Einwohner versorgen können.

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Notfallsanitäter dürften zwar Medikamente verabreichen – über die Menge müsse aus Rechts- und Haftungsgründen aber ein Arzt bestimmen. Das könne nun ein Telenotarzt tun, hieß es zum Start des Projekts aus dem Landkreis. Der Facharzt könne zudem entscheiden, ob ein Patient zur Beobachtung oder Weiterbehandlung ins Krankenhaus muss. Das entlaste Notaufnahmen und Rettungsfahrzeuge.

„Telenotfallmedizin ist nicht mehr wegzudenken“

Nach fast 800 Einsätzen in einem halben Jahr ist für den ärztlichen Leiter Steffen klar: „Telenotfallmedizin ist nicht mehr wegzudenken, wir brauchen das.“ Er betont dabei immer wieder, dass es nicht darum gehe, zu sparen oder zu rationalisieren. „Das führt nicht zu einer Reduktion in der Versorgung, das geht on top“, sagt Steffen.

Auch die Ärztekammer Niedersachsen sieht in der Telenotfallmedizin sinnvolle Unterstützung in der ärztlichen Versorgung. Der direkte Kontakt zu Patientinnen und Patienten sei zwar bei körperlicher Untersuchung und Behandlung der Goldstandard. Wenn dieser durch digitale Technologien ergänzt werden könne, sei das ein großer Gewinn, sagt Kammer-Präsidentin Martina Wenker.

Telemedizin kann unnötige Hubschraubereinsätze vermeiden

Ein gutes Beispiel sei das Telemedizin-Netzwerk am Klinikum Oldenburg, wo ein Bereitschaftsteam Notrufe von Offshore-Windparks entgegennehme. Während ein Hubschrauber unterwegs ist, kann der Patienten von Oldenburg aus telemedizinisch überwacht werden. „Auch leichtere Erkrankungen können über die Telemedizin-Zentrale abgeklärt werden, sodass unnötige Hubschraubereinsätze vermieden werden können“, sagt Wenker.

„Wir erfahren eine sehr hohe Akzeptanz“, berichtet Rettungsdienstleiter Steffen nach den ersten Monaten im Test. Von den Patienten werde es sehr positiv aufgenommen, dass ein Arzt in wenigen Momenten zugeschaltet und dank der technischen Entwicklung auch zu sehen sei. „Viele weitere Landkreise haben Interesse bekundet“, sagt Steffen.