Hannover. Am 21. Mai 1995 brachen zwei Schwerverbrecher aus der JVA Celle aus. Die Tat hatte Konsequenzen für die Justizvollzugsanstalten des Landes.

Zwei Häftlinge überwältigten einen Justizvollzugsbeamten, verlangten einen Sportwagen und fuhren fast zwei Tage lang kreuz und quer durch Niedersachsen: Vor 25 Jahren sorgten die beiden Schwerverbrecher mit einem Ausbruch aus dem Gefängnis in Celle für Angst und Schrecken. Am 23. Mai 1995 fand die ziellose Flucht ein Ende: Spezialkräfte der Polizei rammten das Auto der Gangster an einer roten Ampel in Osnabrück und befreiten die Geisel.

Justizministerin wollte sich gegen Geisel austauschen lassen

„Der Fall ist für mich im Rückblick genauso gefährlich und schrecklich wie damals“, sagt Heidi Merk (75), die damals niedersächsische Justizministerin war. Sie habe überlegt, sich im Austausch für den JVA-Bediensteten in die Hände der Gangster zu begeben. „Davon wurde mir dringend abgeraten.“ Dafür habe sie mit den Geiselnehmern telefoniert. „Sie waren gleichgültig, dreist und von nichts abzubringen“, sagt Merk rückblickend.

Die dritte Geiselnahme innerhalb von nur elf Jahren in dem Celler Gefängnis hatte politische Folgen. Niedersachsen beschloss ein neues Sicherheitskonzept für den Justizvollzug: In vier Anstalten wurden Sicherheitsstationen mit 46 Einzelhaftplätzen eingerichtet, so dass gefährliche Gefangene auch innerhalb des Landes verlegt werden können. Diese 46 Haftplätze gibt es noch heute. Sie sind nach Angaben des Justizministeriums in Hannover derzeit mit 30 Gefangenen belegt. Landesweit sitzen 3429 Männer in Haft.

Gefangene brachten Wärter in der Bibliothek in ihre Gewalt

Der 21. Mai 1995 war ein Sonntag: In der Bibliothek der JVA Celle brachten die 37 und 38 Jahre alten Gefangenen den Gefängniswärter in ihre Gewalt. Sie drohten, die Geisel umzubringen, falls die Polizei das Gefängnis stürmen sollte. Außerdem verlangte das Duo ein Funktelefon, ein schnelles Fluchtauto sowie 200 000 Mark (102 000 Euro).

Am Abend raste ein dunkelblauer Porsche vom Anstaltsgelände, verfolgt von Polizeiwagen. Journalisten und Schaulustige belagerten zu diesem Zeitpunkt bereits das Gefängnis. Das Verhalten einiger Medienvertreter sei „völlig daneben“ gewesen, erinnert sich Merk. Die Kamerateams hätten die Geiselnehmer geradezu angestachelt.

Einer der Ausbrecher war schonmal entkommen – mit selbstgebastelter Handgranate

Der 38 Jahre alte Ausbrecher war bereits elf Jahre zuvor mit einer Geisel aus dem Celler Gefängnis entkommen und kurz darauf wieder gefasst worden. Damals hatte er sein Opfer mit einer selbst gebastelten Handgranate in Schach gehalten. Deshalb ging die Polizei auch 1995 davon aus, dass die Entführer selbst gebaute Waffen dabei hatten. Während ihrer Flucht telefonierten sie mehrmals mit einem Fernsehsender und verhandelten am Telefon mit der Polizei.

In Bad Eilsen an der A2 im Landkreis Schaumburg ließen sie den Porsche stehen und wechselten in einen gestohlenen VW Golf. In der Innenstadt von Osnabrück griff die Polizei schließlich zu, weil das Leben der Geisel auf dem Spiel stand, wie die Beamten später begründeten.

Auch 1996 Geiselnahme mit zwei Vergewaltigungen

Der jüngere Geiselnehmer wurde 2011 aus der Haft entlassen. Über sein weiteres Schicksal ist dem niedersächsischen Justizministerium nach Auskunft eines Sprechers nichts bekannt. Der damals 38-Jährige ist nach dem Verbüßen mehrerer Freiheitsstrafen seit 2012 in Sicherungsverwahrung untergebracht.

Kein Jahr später, im Februar 1996, kam es in der JVA Celle-Salinenmoor wieder zu einer Geiselnahme. Ein Häftling brachte zunächst eine Sozialarbeiterin in seine Gewalt und missbrauchte sie sexuell. Die Gefängnisleiterin ließ sich gegen die Geisel austauschen und wurde auch vergewaltigt. Dies war laut Justizministerium die bisher letzte Geiselnahme in einem niedersächsischen Gefängnis. Einen Ausbruch mit Geiselnahme gab es demnach seit der Tat am 21. Mai 1995 nicht mehr. dpa