Chefredakteur Armin Maus kommentiert die Ereignisse rund um den AfD-Parteitag in Braunschweig. „Sally Perels Rede war der bewegende Höhepunkt.“

Es war ein guter Tag für Braunschweig. 20.000 Menschen, vielleicht mehr, haben ein Zeichen gegen Ausgrenzer, Rassisten und Verhetzer gesetzt. Friedlich, mit Ernst und einem starken Gefühl der Gemeinsamkeit. Gewerkschafter, Kirchen, Parteien, Sozialverbände und Initiativen machten den Grundkonsens sichtbar, auf dem unser Gemeinwesen gegründet ist: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. So rief es der 95-jährige Sally Perel von der Bühne vor dem Braunschweiger Schloss, so rief es Oberbürgermeister Ulrich Markurth, „als Privatmann“, der Amtspflichten wegen.

Perels Rede war der bewegende Höhepunkt der Demonstration – selten hat man so viele Menschen so still und konzentriert erlebt. Der Aufstieg der Nazis habe klein begonnen, viele hätten sie als Idioten abgetan. Damals hätten viele zu lange weggesehen. Das mörderische Regime der Nazis und der Krieg, den sie vom Zaun brachen, kosteten mehr als 55 Millionen Menschenleben. „Wir sehen nicht mehr weg“, rief Sally Perel der Menschenmenge zu – und die Zwanzigtausend jubelten. Kann man die AfD mit der NSDAP gleichsetzen? Man kann es sicher nicht, einige Redner, nicht alle, sagten das auch. Sie ist eine demokratisch legitimierte Partei.

Einem Teil ihrer Aktiven mag man abnehmen, dass sie Verbesserungen des politischen Outputs im Sinn haben. Aber die AfD macht Politik mit Vorurteilen und Ängsten. Manche ihrer Spitzenleute sind in der Tiefe ihrer schwarzen politischen Seele Rechtsextreme, manche sind Opportunisten, die mit Hilfe obszöner Propaganda Macht und Posten einsammeln. Die AfD sollte sich deshalb nicht beklagen, dass sie in Braunschweig keine freundliche Aufnahme fand. Von der Braunschweiger Demonstration gingen wichtige Botschaften aus.

Sehr viele Menschen sind bereit, für eine tolerante Gesellschaft zu kämpfen – in der Grundfrage ist diese Gesellschaft bündnisfähig. Sie ist sich der Grundlagen von Frieden und Wohlstand bewusst. Bernd Osterloh, der VW-Betriebsratschef, erinnerte daran, dass Volkswagen (und mit dem Unternehmen unsere Region) seinen Erfolg nicht zuletzt der Offenheit und dem Respekt gegenüber unterschiedlichen Kulturen verdankt. Das ist eine Mahnung, die noch greifen sollte, wenn alle ethischen Schranken gefallen sind.

Landesbischof Christoph Meyns, in der Ablehnung des Rechtsextremismus von guter Eindeutigkeit, fragte nach den Gründen, warum die AfD und andere rechtsaußen stehenden Parteien in Europa so große Resonanz fänden. Damit traf er den entscheidenden Punkt. Denn hier liegt die Aufgabe für alle, die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Verantwortung tragen: Die Enttäuschten, Verängstigten und Verhetzten zu überzeugen, dass nicht in Nationalismus und schon gar nicht in Rassismus und Diskriminierung die Zukunft liegt. Verträgt unsere Zukunft AfD-Regierungen? Sicher nicht. Wenn Deutschland seine Weltoffenheit verliert, wankt sein Fundament. Aber das „Weiter so“ eines träge gewordenen politisch-bürokratischen Systems könnte genau in diese Richtung führen. Protest gegen die AfD allein reicht also nicht.