Braunschweig. Der 2015 freigesprochene Mediziner verlangt vom Land Niedersachsen eine Entschädigung für seine Zeit in U-Haft. Die Entscheidung fällt im September.

Vor dem Landgericht Braunschweig wird seit diesem Freitag über die Klage eines Mediziners gegen das Land Niedersachsen verhandelt. Der im Göttinger Transplantationsskandal zunächst angeklagte, später dann freigesprochene Oberarzt verlangt Schadenersatz in Höhe von rund 1,2 Millionen Euro. Das beklagte Land Niedersachsen, vertreten durch die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig, hat am ersten Verhandlungstag vor der 7. Zivilkammer einen Vergleich abgelehnt. Man zweifele weiter, ob der Arzt die Anstellung in dem Krankenhaus überhaupt bekommen hätte. Die Zeugenvernehmungen hätten zudem keine Klarheit darüber geliefert, ob eine derart hohe Entschädigungsforderung gerechtfertigt sei.

Der vom Dienst suspendierte Chirurg hatte 2012 einen Auflösungsvertrag mit seinem damaligen Arbeitgeber, der Uniklinik in Göttingen, geschlossen. Er macht vor Gericht unter anderem geltend, dass ihm in der Zeit der elfmonatigen Untersuchungshaft ein lukratives Jobangebot in einem jordanischen Krankenhaus entgangen sei. Die finanziellen Einbußen daraus beziffert er auf monatlich 50.000 US-Dollar. Die vereinbarte Vertragslaufzeit habe zunächst zwei Jahre betragen. Ein Zeuge bestätigte vor Gericht die mündliche Aushandlung eines entsprechenden Vertrages. Dieser sei per Handschlag mit dem Kläger im Herbst 2012 geschlossen worden, eine Unterschrift unter das vereinbarte Arbeitspapier sollte im Januar 2013 erfolgen, sagte der aus Jordanien stammende Arzt in seiner Befragung. Dazu sei es aufgrund der Verhaftung nicht mehr gekommen. Der Kläger verlangt zudem den finanziellen Ausgleich eines Zinsschadens in Höhe von 80.000 Euro. Dieser sei ihm durch die Beschaffung eines privaten Darlehens für seine privat organisierte Kaution entstanden. Diese hatte im Göttinger Verfahren 500.000 Euro betragen. Der Arzt verlangt zudem, dass das Land Niedersachsen die Kosten einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht übernimmt. Auch hierfür strengt er eine Entschädigung an. Der Vorsitzende Richter, Dr. Ullrich Broihan, signalisierte aber schon jetzt, dass dieser Vorstoß nicht von Erfolg gekrönt sein werde. Die Kammer habe hier Bedenken.

In der ersten Verhandlungsrunde am Freitag zeigte sich allerdings, wie verhärtet die Fronten zwischen den Prozessbeteiligten noch sind. Der Anwalt des Arztes, Jürgen Hoppe, machte das deutlich. Er erklärte, dass sein Mandant den Job in Jordanien, der monatlich mit 50.000 US-Dollar entlohnt worden wäre, ausschlagen musste. Er verwies auch auf die medialen Auswirkungen des Transplantationsprozesses. Der Arzt sei im Grunde lebenslang gebrandmarkt. „Auf dem Feld der Transplantationsmedizin hätte er in Deutschland nichts mehr bekommen.“ Die Stelle, die er heute als Belegarzt im Ausland habe, sei nicht mit der herausgehobenen Position eines Chefarztes, die einst für ihn angedacht war, zu vergleichen.

Das Land Niedersachsen in Person von Anwalt Prof. Bernd Rohlfing aus Göttingen ließ durchblicken, dass er Zweifel an der Höhe der angeblichen monatlichen ärztlichen Vergütungen hat, die der Kläger in der geforderten Entschädigungssumme geltend macht. Die Zweifel konnte auch die Aussage eines extra eingeflogenen Zeugen nicht beseitigen. Der ärztliche Direktor der Klinik in Amman sagte, dass er die mündliche Vereinbarung über einen Monatslohn von 50.000 US-Dollar kenne, Details des Arbeitsvertrags aber nicht. Dafür seien Klinikleiter und Geschäftsführer zuständig gewesen. Er selbst kenne den Kläger seit 20 Jahren und stehe schon lange im Austausch darüber, ein Transplantationszentrum in Jordanien aufzubauen. Diese Frage stelle sich aber heute nicht mehr. In den Gesprächen mit dem Kläger sei es ausschließlich um medizinische Fragen gegangen, mittlerweile sei man Freunde. „Wir vertrauen und vertrauten diesem Mann. Deshalb haben wir auch einen Vertrag zunächst mündlich und per Handschlag geschlossen“, ließ der Zeuge über eine Dolmetscherin ausrichten.

Wichtiger Zeuge erscheint nicht

Eine Entscheidung in der Güteverhandlung will die Kammer in Braunschweig am 13. September fällen. Ob dann ein Urteil oder ein Beschluss erfolgt, sei zum jetzigen Zeitpunkt noch offen, sagte Landgerichts-Sprecher Stefan Bauer-Schade gegenüber unserer Zeitung. Ein wichtiger Zeuge aus dem Ausland, der über die Vertragsmodalitäten hätte genauer Auskunft geben sollen, war krankheitsbedingt nicht vor Gericht erschienen. Innerhalb der nächsten zwei Wochen haben die Prozessbeteiligten die Möglichkeit, sich nochmal zum Fall schriftlich zu äußern.

Das Landgericht Göttingen hatte den früheren Leiter der Transplantations-Chirurgie an der Göttinger Universitätsmedizin im Mai 2015 nach 64 Prozesstagen vom Vorwurf des elffachen versuchten Totschlags und der dreifachen Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen. Die Richter bescheinigten dem Arzt zwar eine verwerfliche Manipulation medizinischer Daten, die eine schnellere Zuteilung von Organen für seine Patienten bewirkt hätte. Es sei jedoch nicht erwiesen, dass die falschen Angaben anderen Patienten das Leben gekostet hätten. Darüber hinaus seien die Verstöße des damals 47-Jährigen gegen Richtlinien der Bundes­ärzte­kammer zum Tatzeitpunkt nicht strafbar gewesen – viele Beobachter werteten das Urteil damals als Freispruch zweiter Klasse.

Angeklagter bekam schon Entschädigung

Mit Blick auf drei von dem Arzt durchgeführten Leber-Transplantationen mit Todesfolge hatte das Gericht in Göttingen entschieden, dass hier die Transplantation in allen Fällen eine vertretbare Behandlung gewesen sei. Der Bundesgerichtshof hatte sich dieser Auffassung angeschlossen und die Revision der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen den Freispruch in letzter Instanz zurückgewiesen. Für die Untersuchungshaft hatte das Landgericht Göttingen dem Arzt eine Entschädigung von 8500 Euro zugesprochen. Erst Anfang Juli hatte das Oberlandesgericht Braunschweig – unabhängig von der nun anstehenden Schadensersatzklage – dem klagenden Arzt einen Auslagenersatz zugebilligt. Es wies das Land Niedersachsen an, die Kosten für zwei Verteidiger in dem Göttinger Prozess in Höhe von rund 166.000 Euro plus Zinsen zu erstatten.