Angela Merkels Stellung als Parteivorsitzende der CDU, für sehr lange Zeit quasi unangreifbar, ist ins Wanken geraten. Der nicht enden wollende Streit in der Großen Koalition, den sie zuletzt kaum noch beilegen konnte, ihre Dauerfehde mit CSU-Chef Horst Seehofer, der Absturz, den die Partei zuletzt in Umfragen erlebte – all das trug zum schleichenden Machtverlust bei. Die Abwahl ihres Vertrauten Volker Kauder als Fraktionschef hat das gerade erst bestätigt.

Bei der Wahl zum Parteivorsitz Anfang Dezember muss Bundeskanzlerin Merkel sich nun nach 18 Jahren an der Spitze Gegenkandidaten stellen, die explizit für eine Erneuerung der Partei werben. Der 61-jährige Unternehmer Andreas Ritzenhoff, der ebenfalls 61 Jahre alte Professor Matthias Herdegen und der 26 Jahre alte Jura-Student Jan-Phillip Koch wollen es wissen. In der Partei sonderlich prominent ist keiner der drei Gegenkandidaten, die beiden erstgenannten haben zudem das Problem, dass sie kaum jünger sind als Merkel und damit nur schwer einen Neuanfang verkörpern können. Student Koch dagegen flirtet öffentlich in sozialen Medien mit AfD-Positionen – wenn das der Neuanfang sein soll, welches gestandene CDU-Mitglied könnte sich den ernsthaft wünschen?

Überhaupt stellt sich die Frage, wohin der „innere Aufbruch“, von dem Merkels Gegner schwadronieren, eigentlich führen soll. Die Vorsitzende hat erfolgreich wie niemand sonst in der jüngeren Geschichte geschickt Positionen des politischen Gegners vereinnahmt und damit ihre Partei seit 2005 ununterbrochen in der Regierung gehalten. Daran ist die glücklose SPD, die fast genauso lange in der Großen Koalition feststeckt und inzwischen beinahe jedes eigene Profil verloren hat, zerbrochen. Selbst angesichts aktuell sinkender Umfragewerte spricht viel dafür, dass die CDU bei der nächsten Bundestagswahl wieder stärkste Kraft werden und eine Koalition führen könnte – wenn auch unter sehr schwierigen Bedingungen.

Welchen Vorwurf also sollte ein CDU-Mitglied Merkel machen? Und: Wer sollte die Partei derzeit besser führen können? Prominente Merkel-Kritiker wie Jens Spahn, die bei einer Kandidatur Chancen haben könnten, würden die Partei zweifellos weiter nach rechts führen und versuchen, sie der AfD anzunähern. Ob das erfolgreich wäre? Wähler entscheiden sich meistens für das Original, nicht für die Kopie.

Es ist paradox, dass Merkel innerhalb der Union gerade die eine Sache geschadet hat, die ihr ansonsten sehr viel Respekt eingebracht hat: ihre anfangs liberale und menschliche Haltung in der Flüchtlingskrise. Ja, es gab dadurch viele Probleme. Und ja, inzwischen ist von dieser Politik wenig übrig. Aber damals, 2015, war die Entscheidung, die Grenzen nicht zu schließen, mutig und richtig. Ob jemand wie Jens Spahn sie genauso getroffen hätte? Zweifel sind erlaubt. Deshalb: Danke, Merkel! Und: Merkel muss bleiben!