„China ist für VW der wichtigste Markt, eine offene Konfrontation mit der chinesischen Staatsführung könnte wirtschaftlich brutale Folgen haben.“

Um seine russische Herrscherin und Geliebte, Zarin Katharina die Große, zu beeindrucken, soll Fürst Grigori Alexandrowitsch Potjomkin auf eine dreiste Idee gekommen sein. Auf einer Reise der Zarin soll Potjomkin veranlasst haben, Kulissen von Dörfern zu errichten, damit sie glauben möge, das unter Potjomkins Regie besiedelte Gebiet schwelge im Wohlstand.

Zwar gilt die Erzählung aus dem 18. Jahrhundert als unwahr, gleichwohl gingen die „Potjomkinschen Dörfer“ in die Geschichte ein – quasi als Mutter aller Fakenews. Der Vergleich mit einem Potjomkinschen Dorf drängt sich auf, wenn es um den Besuch des VW-China-Chefs Ralf Brandstätter der Fabrik Ürümqi geht. Das Werk steht in der Region Xinjiang. Dort wird die Minderheit der Uiguren vom chinesischen Staat unterdrückt.

Lesen Sie auch:

VW hält an Werk im chinesischen Ürümqi fest

Wie Brandstätter nun berichtete, sind ihm in der Fabrik keine Menschenrechtsverletzungen aufgefallen. Im Gegenteil: Das Betriebsklima sei gut, die Ausschilderung sei mehrsprachig, uigurische Feiertage würden berücksichtigt. Außerhalb der Werkstore ist die Situation aber ganz anders. Ein UN-Bericht zählt Umerziehungslager auf, Folter und Erniedrigung. Welch ein Widerspruch. Ist das Werk also ein Potjomkinsches Dorf?

Für die Wolfsburger ist die Situation heikel. China ist für sie der wichtigste Markt, eine offene Konfrontation mit der chinesischen Staatsführung könnte für VW wirtschaftlich brutale Folgen haben. Auf der anderen Seite betont der Konzern, Menschenrechte seien nicht verhandelbar. Solch eine Aussage darf kein Werbe-Blabla sein. Bislang schlängelt sich der Autobauer aus der Affäre, indem er stets den Blick auf sein Werk lenkt.

Diese Strategie wird aber auf Dauer nicht aufgehen. Klare Kante ist notwendig, sonst sind auch all die Bekenntnisse zu Menschenrechten nicht mehr wert als eben ein Potjomkinsches Dorf. Was verspieltes Vertrauen anrichten kann, zeigen die bis heute andauernden Nachbeben des Abgas-Betrugs.