„Deutschland ist weiter ein funktionierender Sozialstaat, er hat Möglichkeiten für einen ‚Wumms‘, sogar für einen doppelten.“

Wie lässt sich eigentlich noch Mut machen in diesen Zeiten? Haben wir überhaupt noch Hoffnung, dass es irgendwann mal besser wird? Corona, Ukraine-Krieg, Energiepreiskrise und am Horizont die düstersten Wolken eines weiter nicht gelösten Klimawandels, der die Herausforderungen der Menschheit nicht kleiner macht.

Die Tagesschau ist proppevoll mit allem Schlechten dieser Welt. Wenn sie nicht traditionell auf eine Viertelstunde angelegt wäre, man könnte durchsenden bis zu den Tagesthemen. Der Tag war gefühlt ein guter, wenn es keinen „Brennpunkt“ gab, die Sportnachrichten ganz profan sportliche Ergebnisse lieferten, keine Königin starb und der Wetterbericht mal zur Abwechslung nicht zu heiß, zu nass oder schon zu kalt mit Blick auf die gefüllten Gasspeicher in Deutschland war. Schlägt Ihnen das auch so auf das Gemüt?

Die Menschen in Kiew singen wieder in der U-Bahn

Wenn es so sein sollte, sollten wir uns ab und an daran erinnern, dass es vielen Menschen in Deutschland, bei weitem nicht allen, noch gut geht. Es sind die Verlustängste, die uns derart trübe auf die Welt blicken lassen. Wer nichts mehr zu verlieren hat, kennt dieses Gefühl nicht. Nur so lässt sich die in Teilen hysterische Berichterstattung zur Lage der Nation erklären.

Natürlich sind die Probleme und Herausforderungen, die es zweifellos in Deutschland gibt, nicht marginal. Aber in dieser Woche konnte dem ein oder anderen auch wieder bewusst werden, wie privilegiert man noch ist. Mir ging es zumindest so. Als ich sah, wie die Menschen nun doch wieder in der Kiewer U-Bahn ausharren, nicht wissend, ob über ihnen die russischen Raketen einschlagen, und singend, um sich Mut zu machen, schossen mir unwillkürlich die Tränen in die Augen. Warum, fragte ich mich? Warum packt mich das jetzt so – acht Monate nach Russlands Einmarsch?

Vermutlich, weil ich mich schon wieder viel zu lang an die immer wieder gleiche Berichterstattung gewöhnt hatte. Eine, die immer stärker, die fast schon klinische Analyse „erfreulicher Geländegewinne“ der Ukrainer in den Fokus stellte. Zu lange hatte man über den Sommer hinweg auf neue Krater und Löcher in Gebäuden geblickt, zu gerne Theorien im Fernsehen über die vermeintlichen Vor- und Nachteile eines „eingefrorenen Konfliktes“ erörtert. Und natürlich in erster Linie: den Fokus auf Lösungen für die eigenen Probleme gerichtet.

In diesem Moment aber, als die Bilder der singenden Menschen über den Bildschirm flimmerten, war das Schicksal der Ukraine wieder ganz nah. Und das Gefühl groß, den Menschen trotz einer immer aufgeladeneren Sozialneid-Debatte in Deutschland (Danke, Herr Merz!) helfen zu wollen. Wir, nicht irgendwer anders.

Deutsche Kraft und sudanesische Hilflosigkeit

Der zweite Bericht war einer über den weltweiten Hunger. Die Zahl der Menschen, die darunter leiden, ist laut Welthungerhilfe in den letzten drei Jahren um fast 200 Millionen auf mehr als 800 Millionen Menschen gestiegen. Eine unfassbare Zahl. Über was regen wir uns auf? Die Inflation von zehn Prozent tut sehr weh, sie lässt viele verzweifeln und sie davon reden, sich am Rand ihrer Existenz zu befinden.

Aber Deutschland ist weiter ein funktionierender Sozialstaat, er hat Möglichkeiten für einen „Wumms“ sogar für einen doppelten, für Rettungs- und Abwehrschirme, für Sondervermögen und Finanzhilfen. Und das nicht erst seit dieser Krise. Die versprochene Anlagensicherheit der Sparer in der Finanzkrise, die umfassenden Corona-Hilfen des Staates und jetzt eben der Versuch, natürlich mit dem Steuergeld der Bürger, die Schieflage wieder auszugleichen und alles zu versuchen, dass sich eben keine „Kernschmelze“ unseres Wohlstandes einstellt, sind untrügliche Zeiten dafür.

Was soll die Frau aus dem Südsudan dieser Kraft entgegensetzen, wenn sie nach einer Überflutung ihres Ackerlandes noch ein paar Hirsezweige am Tag zur Verfügung hat, mit dem sie sich und ihre Familie ernähren muss?

Hinken solche Vergleiche? Sind sie ungerecht, wenn man daraus ableitet, dass wir uns zu lang am Aufschwung ergötzt haben, dass wir jetzt gar nicht anders können, als alles in Schutt und Asche zu reden? Wir kritisieren Politiker für ihre Entscheidungen, in einer Krise ohne Blaupause. Auf der anderen Seite nutzen wir nur unzureichend, die Möglichkeiten der Mitbestimmung, die uns dieser Staat bietet. In der angeblich größten Krise, die dieses Land je gesehen hat, gaben am vergangenen Wochenende gerade einmal 60 Prozent der Wahlberechtigten in Niedersachsen ihre Stimme ab. Hat die Politik diese Menschen auf Dauer verloren oder war einfach nur das Wetter am Wahlsonntag zu schön? Bitter, wenn auch das als Erklärung für plebiszitäres Desinteresse genannt wird, während im Iran Frauen im Kampf um Selbstbestimmung erschossen werden.

Wie ein Booster an Energie

Doch zurück zu ermutigenden Signalen, die es in unserem Alltag auch gibt. Menschen, die sich weiter solidarisch zeigen, die wissen, dass es nur zusammen geht und nicht im ständigen Gegeneinander. So erlebte ich meinen Besuch in dieser Woche im inklusiven Dorf in Neuerkerode – an diesem Ort im Kreis Wolfenbüttel mit besonderen Menschen. Anlass war, wie sollte es in diesen Tagen auch anders sein, ein eher schwieriger. Auch die Stiftung kämpft mit der Energiekrise, mit ausufernden Preisen beim Einkauf und bei ausgelagerten Aufträgen an Firmen, die ihre hohen Rechnungen an die Stiftung weitergeben müssen. Die Verantwortlichen dort vergessen dabei aber nicht die Menschen, die bei ihnen wohnen und die auch auf die Hilfe der Mitarbeitenden ein Stück weit mehr angewiesen als andere. Es sind besondere Zeiten, die es zu erklären gilt. Das wird getan, geduldig, bisweilen jeden Tag aufs Neue.

Wenn man über das Gelände geht, blickt man nicht in traurige Augen. Sie strahlen einen an. Menschen grüßen, lachen, rufen, wollen ins Gespräch kommen – und wissen dennoch, dass es einen Krieg in Europa gibt. Eine Stunde dort war für mich wie eine Booster neuer Energie. Auf der Rückfahrt verflogen die Zweifel über unser Land, über Menschen, die immer nur das Schlechte in allem sehen wollen. Es stieg Demut in mir auf und das Wissen darüber, es eigentlich sehr gut zu haben.

Ich dachte mir: Wenn in dem Sprichwort, dass in jeder Krise auch eine Chance steckt, nur ein Fünkchen Wahrheit liegt, kann unsere Zukunft nicht so schlecht sein.

Leser-Aufruf: Was sind Ihre Mutmacher in Krisenzeiten?

Unsere Zeitung hat sich etwas vorgenommen. Sie will in den nächsten Wochen verstärkt über Projekte schreiben, die Mut machen – trotz Krise. So wie zum Beginn der Corona-Pandemie, als Unsicherheit den Alltag oft prägte, sollen Geschichten auch jetzt aufmunternde Perspektiven liefern. Haben Sie
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