„Vor Corona haben sich viele offensichtlich kaum Gedanken darüber gemacht, dass die Zeiten einmal härter werden könnten.“

Sommerferien in Deutschland: Sind es die letzten unbeschwerten Tage, bevor alles anders wird? Wenn ab Herbst kalte Wohnungen drohen, weil die deutsche Abhängigkeit vom russischen Gas und Öl bis auf die heimische Couch durchschlägt, die Wirtschaftskraft runtergedrosselt werden muss, weil Alternativen zu Putins Energieversorgung noch fehlen? Oder eine neue Variante des Coronavirus das Leben wieder ausbremst? Keiner will es hören, aber ausschließen kann man solche Szenarien zum jetzigen Zeitpunkt nicht.

Vielleicht auch deshalb tut jetzt Ablenkung Not. Und so haben die Deutschen im Sommer 2022 das Reisen ins Ausland wieder für sich entdeckt. Nochmal weg. Raus aus Deutschland, bevor die „Zeitenwende“ auch den Alltag bestimmen wird. Dafür verharren die Menschen in kilometerlangen Staus auf maroden deutschen Autobahnen, setzen sich in überfüllte Züge oder stehen stundenlang in Flughafenterminals an.

Im Effekt rutscht dann dem ein oder anderen urlaubsreifen Passagier das Wort „Hölle“ raus, während er auf die Abfertigung wartet. Auf die Goldwaage sollte man das aber nicht legen. Ich hoffe, dass selbst die Aussicht auf kübelweise Sangria nicht dazu führen wird, die Hölle auf Erden in den Warteschlangen zwischen Terminal A und B zu sehen. Wer die sehen will, schaut abends die Tagesschau.

Doch die Deutschen erscheinen permanent gereizt, sogar, wenn es in den Urlaub geht. Teilweise nimmt das unschöne Züge an. Hat die Polizei in Deutschland nicht andere Aufgaben zu erledigen, als genervte Fluggäste im Gerangel um den schnellsten Weg in den Flieger voneinander zu separieren? Die Frage muss man stellen dürfen.

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Corona – wie viele Brenngläser braucht es noch?

Corona hat viele Gewissheiten beendet. Das berühmte Brennglas machte an vielen Stellen sichtbar, wie leistungsfähig dieser Staat in Krisenzeiten ist – oder eben nicht. Fachkräfte fehlen nicht nur aktuell bei den Sicherheitskontrollen an Flughäfen, sondern an allen Ecken und Enden. Auch die Gastronomie klagt, händeringend wird Personal gesucht.

Verwundert das? Hätte es nicht auch im Interesse der Unternehmen sein müssen, darüber nachzudenken, was nach der Pandemie benötigt wird? Hat das gezahlte Kurzarbeitergeld des Staates folglich eine bestehende Vollkasko-Mentalität noch gefördert und nicht dafür gesorgt, kreative Lösungen für die Weiterbeschäftigung der Mitarbeiter zu suchen? So pauschal ist das nicht zu sagen. Aber nehmen wir die Perspektive der einst Gekündigten auch einmal ein: Warum sollte man jetzt in einen Job zurückkehren, in dem man vorher erfahren musste, wie entbehrlich man war?

Vor Corona haben sich viele offensichtlich kaum Gedanken darüber gemacht, dass die Zeiten einmal härter werden könnten. Dabei spielte natürlich auch der Wert von Frieden als Dividende in die Zukunft eine Rolle. Eine Illusion, wie wir seit dem 24. Februar wissen.

Exportweltmeister – warum denn in die Zukunft schauen?

Jahre zuvor stimmte meist das wichtigste Parameter: die Wirtschaft brummte. Exportweltmeister. Krisenfester Arbeitsmarkt. Alles flankiert von der politischen Prämisse des Staates, nur im Notfall dem Markt regulative Vorgaben zu machen, während haushaltspolitisch die „Schwarze Null“ nicht angerührt werden durfte.

Die Folgen spüren wir heute: Im Zweifel wurden notwendige Investitionen auf die lange Bank geschoben. So lief das. Bis, ja bis die „Friday-for-Future“-Bewegung diesen doch so gemütlichen und konfliktarmen Weg mit Herausforderungen umzugehen, anprangerte.

So kommen wir gerade nicht nur im Flugverkehr an Grenzen, sondern bewegen uns auf löchrigen Straßen und in alten Zügen fort. Wir können die Menschen offensichtlich nicht einmal mehr vor Katastrophen wie vor einem Jahr im Ahrtal richtig schützen, weil Warnsysteme abgeschaltet wurden beziehungsweise nicht anschlagen oder die digitale Infrastruktur für den Aufbau neuer Systeme fehlt.

Nicht-Zuständigkeit als Kompetenzmerkmal

„Fragen Sie die dahinten mal“, ist der häufigste Satz, den ich in dieser Woche am Flughafen-Hannover hören musste. Nicht-Zuständigkeit als Kompetenzmerkmal. Man kann den Zitierten dafür nicht einmal böse sein. Vermutlich sind Schaltpläne von Kraftwerken ähnlich schwer zu durchschauen wie das Organigramm eines Flughafenbetriebs. In Hannover jedenfalls wird jeder Schritt, den der Reisende durchläuft, von anderen Akteuren verantwortet. Und nicht nur das. Die dort zu leistende Arbeit wird zusätzlich, um Kosten zu sparen, noch mal an Subunternehmen ausgelagert. Es ist daher kein Zufall, dass der Bundesarbeitsminister, der Peiner Hubertus Heil, in der Branche Lohn-Dumping anprangert und staatliche Unterstützung nur unter dem Vorbehalt eines Vorgehens gegen diese Kostendrückerei ins Spiel bringt. Das alles geschieht auch vor dem Hintergrund, dass es der Staat war, der mit Milliarden die Luftfahrt und die Reiseindustrie in der Corona-Krise stützte. So erhielt die Tui, größter deutscher Reisekonzern, Hilfspakete in Höhe von über vier Milliarden Euro, die das Unternehmen nun Stück für Stück zurückzahlen will.

Dabei stellen Fluggesellschaften oder Reisekonzerne am Flughafen eigentlich nur noch den Flieger, während eine andere Firma die Passagiere eincheckt, das Gepäck aufgibt oder Koffer sucht, sollten sie nicht mehr auffindbar sein. Eine weitere führt dann mitunter die Bordkartenkontrolle durch. Selbst die Bundespolizei, zuständig für die Luftsicherheit in Deutschland, stellt Firmen für den Sicherheitscheck ein, weil sie nicht an allen Gefahrenpunkten der Republik gleichzeitig sein kann, so ihre Erklärung. Zwischen allen Stühlen sitzt der Flughafenbetreiber, der in seiner Arbeit unter Aufsicht der Besitzer steht. Am Airport Hannover halten Land Niedersachsen und Stadt Hannover jeweils einen Anteil von 35 Prozent, ein britischer Investor 30 Prozent. Ist so ein Betriebsmodell nun normal in einer globalisierten Welt? Oder ist das doch Indiz dafür, dass sich dieses System immer wieder einem Kostendruck zu unterwerfen hat?

Leben wir in einer „Bananenrepublik“?

Vielleicht ist das alles im permanenten Aufschwung irgendwie beherrschbar. Corona hat gezeigt: In einer weltumspannenden Krise gibt es Grenzen der Leistungsfähigkeit. So müssen zumindest genügend Mitarbeiter dafür sorgen, dass ein Rädchen ins andere greift. Fehlen sie, hat der Kunde das Problem. Dann fehlt ein Koffer oder er verpasst den Flieger. Dass ein Konzern wie die Lufthansa sich nun dafür entschuldigt, weil sie die Lust seiner Kunden zu reisen sträflich unterschätzte, ist eher peinlich als ehrenwert. Warum sah man nicht, was eine Leserin schon vor Monaten erlebte: „Schon im Oktober 2021 durften wir in Hannover ca. 4 Stunden auf den Sicherheits-Check warten und bekamen mit, dass diverse Fluggäste ihre Flüge verpassten, weil sie nicht rechtzeitig an Bord gehen konnten. Die Lufthansa flog dann einfach ab“, schreibt sie. Auch Flughafen-Mitarbeiter in Hannover äußerten sich ähnlich diese Woche.

Alles Schwarzmalerei? Deutschland, eine „Bananenrepublik“, wie dieselbe Leserin für sich zum Schluss kommt. Nein. Einiges funktioniert – noch. Aber auf unserem hohen Ross sind wir lang genug geritten, als uns der Gedanke an grenzenlosen Wohlstand – nicht für alle auf der Welt, aber für uns -- selbstbesoffen machte und wir uns fragten: Was ist unser nächstes Reiseziel?

Die Zeiten sind andere. Wir werden auf absehbare Zeit eher noch länger im Stau stehen, noch länger auf die Bahn oder das Flugzeug warten. Es ist der Preis für jahrzehntelange politische und unternehmerische Versäumnisse. Höchste Zeit, daraus zu lernen.