Hannover. „’Keine Partei’ werde mit den Problemen in Niedersachsen am besten fertig. Vielleicht ein Ansporn, aber kein Rückenwind.“

Wohl dem, der bei Umfragen von „Rückenwind“ reden kann. Die Ergebnisse des „Niedersachsen Checks“ niedersächsischer Tageszeitungen zur Landtagswahl kommentierten also die Grünen mit ihrer Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg wie folgt: „Die Ergebnisse des Niedersachsen-Check geben uns Grünen ordentlich Rückenwind für den Wahlkampf.“

Auch Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hatte Grund zum Optimismus: „Gerade in dieser schwierigen Zeit empfinde ich das Vertrauen der niedersächsischen Bürgerinnen und Bürger in die Landesregierung - aber auch in die SPD - als Bestätigung unserer Arbeit“, erklärte der SPD-Landesvorsitzende. Das Wort „Bestätigung“ trug zugleich der Tatsache Rechnung, dass die Grünen deutlich im Aufwärtstrend sind, die SPD dagegen im Grunde lediglich stabil – auf gutem Niveau.

FDP in Niedersachsen hat ein Wahl-Ziel: Zweistellig werden

Auch der FDP-Landesvorsitzende und Landtagsfraktionschef Stefan Birkner wahrte die Balance: „Unser Ziel ist es, zweistellig zu werden. Dafür sind die Zahlen der Umfrage eine gute Grundlage“, sagte Birkner unserer Zeitung. Die AfD, innerparteilich tief zerstritten und im Landtag mittlerweile ohne Fraktionsstatus, konnte sich immerhin noch über einen stabilen Stamm von Wählerinnen und Wählern freuen.

Am schwierigsten ist die Stimmungslage für CDU und Linke. „Das Ergebnis der Sonntagsfrage überrascht uns nicht. Das ist lediglich eine Momentaufnahme sechs Monate vor einer Landtagswahl. Entscheidung ist doch, was am 9. Oktober geschieht“, so Generalsekretär Sebastian Lechner. Zudem wisse man, wie volatil solche Umfragen seien. „Wir haben bei Armin Laschet erlebt, wie in acht Wochen zwanzig Prozentpunkte weg waren“, so Lechner. Die CDU hatte gerade das Landtagswahlergebnis im Saarland wegstecken müssen. Die Linke wäre laut Umfrage auch im nächsten niedersächsischen Landtag nicht vertreten.

Kontrahenten in der Wahl regieren zurzeit miteinander in Niedersachsen

Die Lage ist in Niedersachsen einigermaßen verworren. Schon deshalb, weil die Kontrahenten Weil und Bernd Althusmann zusammen in einer Koalition von SPD und CDU regieren. Als die FDP nach der Landtagswahl 2017 nicht in eine „Ampel“ mit SPD und Grünen wollte, da schmiedeten Weil und Althusmann relativ schnell und geräuschlos eine „GroKo“. Beide sitzen seitdem nebeneinander auf der Regierungsbank im Landtag, Althusmann als Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister.

Der Druck lastet auf Althusmann: Während Weil ab 2013 erst eine rot-grüne Koalition anführte und dann ab November 2017 die Große Koalition, erwartet die CDU von ihrem Spitzenmann im Oktober 2022 den Wahlsieg. „Wir sind überzeugt, dass wir am 9. Oktober stärkste Fraktion werden und haben ein tolles Team mit 87 Kandidaten darunter 31 Frauen“, so Lechner.

FDP will sich unentbehrlich für die Regierung machen

Im übrigen seien 39 Prozent Zustimmung zu Weil angesichts dessen langer Amtszeit „unterirdisch“. Die FDP signalisiert seit längerem, dass sie dieses mal mitmischen will. „Wir treten als eigenständige Partei an, aber mit dem Anspruch, dass ohne uns keine Regierung gebildet werden kann“, betonte Birkner. „Wer dann am Ende die oder der Koalitionspartner sein werden, richtet sich nach dem Wahlergebnis und danach, in welcher Konstellation wir Niedersachsen am besten modernisieren können.“

Der „Niedersachsen Check“ ist eine Initiative von 43 Tageszeitungen in Niedersachsen.
Der „Niedersachsen Check“ ist eine Initiative von 43 Tageszeitungen in Niedersachsen. © JNiedersachsen Check

Das klingt für aktuell 8 Prozent der Stimmen sehr selbstbewusst. Die Grünen dagegen gehen intern zwar seit längerem davon aus, dass sie in der neuen Landesregierung vertreten sein werden. Ihre Spitzenkandidaten Hamburg und Christian Meyer, der frühere Agrarminister, sollen am liebsten in ein rot-grünes Kabinett unter Weil. Ganz bewusst hatten die auch Grünen darauf verzichtet, ihre Fraktionsvorsitzende Hamburg zur Ministerpräsidentinnen-Kandidatin auszurufen. „Wir können Umfragen lesen“, hieß es da.

CDU wird in Niedersachsen von der Stimmung im Bund heruntergezogen

Der CDU wiederum hängt die Bundesstimmung wie ein Mühlstein um den Hals, dazu kommt der Ministerpräsidenten-Bonus von Weil. Dass Weil bei der Frage nach einer Direktwahl des Ministerpräsidenten auf nicht mehr als 39 Prozent kommt, erklärt man bei der SPD mit der Fragestellung in der Umfrage: Denn nicht nur Althusmann steht da zur Auswahl, sondern auch die Angabe „keinen von beiden“. Und die wählten immerhin 49 Prozent der Umfrage-Teilnehmer.

„Die Hälfte der Befragten würde sich bei einer Direktwahl weder für Stephan Weil noch für Bernd Althusmann entscheiden“, kommentierten die Grünen. Aus Sicht der FDP und der CDU ist die aktuelle Umfrage-Mehrheit für Rot-Grün nur eine Momentaufnahme. Besondere Sorge muss der CDU allerdings machen, dass laut Umfrage derzeit mehr Menschen der SPD zutrauen, die Probleme des Landes zu lösen.

Grüne wollen Klimawandel und Energiethema beackern

Die Grünen setzen darauf, dass sie Themen wie Klimawandel und Energie seit langem und aus Überzeugung beackern. „Der Niedersachsen-Check zeigt deutlich die große Akzeptanz für die erneuerbaren Energien und dass die Erwartung ist, dass Politik jetzt vorangeht“, so Spitzenkandidatin Hamburg. Allerdings sprachen sich 70 Prozent angesichts des Ukraine-Kriegs und der bedrohten Energieversorgung auch dafür aus, den Ausstieg aus der Kernenergie zu überdenken.

Das ist für die linksgeprägten Niedersachsen-Grünen allerdings tabu. „Keine Partei“ werde mit den Problemen in Niedersachsen am besten fertig, sagten immerhin 43 Prozent bei der Umfrage. Vielleicht ein Ansporn, aber kein Rückenwind.

Das ist der „Niedersachsen Check“

2022 ist Wahljahr in Niedersachsen. Am 9. Oktober entscheiden die Bürgerinnen und Bürger, wer ihr Land künftig regieren soll. Deshalb ist es Zeit für einen „Niedersachsen Check“.

Der „Niedersachsen Check“ ist eine Initiative von 43 Tageszeitungen in Niedersachsen.
Der „Niedersachsen Check“ ist eine Initiative von 43 Tageszeitungen in Niedersachsen. © Niedersachsen Check

Die großangelegte Umfrage-Aktion ist eine gemeinsame Initiative niedersächsischer Tageszeitungen. Im Auftrag der Redaktionen führt das renommierte Berliner Meinungsforschungsinstitut Forsa bis zur Landtagswahl im Herbst und darüber hinaus niedersachsenweit insgesamt sechs repräsentative Erhebungen zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten durch. Immer im Mittelpunkt: die Menschen in unserem Bundesland.

Weitere Hintergründe zum „Niedersachsen Check“ finden Sie hier. Und hier gibt's eine Übersicht aller Texte zum Thema.