„Aus Solidarität sollten sie sich auch weiterhin zurückhalten. Sonst könnte ein neuer Corona-Sturm aufziehen.“

In Brüssel debattieren die Mitgliedsländer der EU gerade darüber, ob es einen europaweiten Impfpass geben soll, mit dem Corona-Geimpfte ihren Status nachweisen können. Vor allem die Länder im Süden des Kontinents, die auf Touristen angewiesen sind, sind dafür.

Auch in Deutschland nimmt die Debatte immer mehr an Fahrt auf. Vor allem Bundesminister mit einem SPD-Parteibuch machen sich dafür stark, Menschen mit Corona-Impfung früher als anderen den Besuch von Restaurants oder Kinos zu erlauben.

Nicht die Ausübung von Grundrechten bedarf der Rechtfertigung, sondern die Einschränkung der Grundrechte durch den Staat, argumentierten zuletzt Außenminister Heiko Maas und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht.

Befürworter von mehr Freiheiten für Geimpfte diskreditieren ihre Gegner jedoch, halten ihnen „Framing“ vor, wenn diese die wiedergewonnenen Freiheiten als Privilegien bezeichnen. Sie werfen den Gegnern also vor, alleine durch solche Begrifflichkeiten ein unlauteres Deutungsraster zu schaffen. Gleichzeitig sprechen sie aber von „Impfneid“ oder einer generellen „Neiddebatte“. Ist das etwa kein Framing?

Die Diskussion wird also schon zu einem Zeitpunkt sehr emotional geführt, an dem zwei wichtige Punkte noch gar nicht erfüllt sind: Erstens könnten sich bisher erst wenige Über-80-Jährige und Pflegepersonal aus Altenheimen über die wiedererlangten Freiheiten freuen und an die Tresen von Kneipen setzen. Wenn die Kneipen denn geöffnet wären. Der Impfstoff ist ja bisher erst in homöopathischen Dosen an diesen Bevölkerungsgruppen verabreicht worden.

Und zweitens, was ebenfalls schwer wiegt: Noch ist längst nicht klar, ob Geimpfte nicht weiterhin eine Gefahr für ihre Mitmenschen sind – ob sie, wenn sie infektiös sind, das Corona-Virus trotz Impfung verbreiten. Geimpfte, die von allen Einschränkungen befreit durch die Welt spazieren, könnten zu Superspreadern werden, ohne es zu wissen.

Niedersachsens Gesundheitsministerin Carola Reimann hat vollkommen Recht: Es ist extrem schwierig, Geimpften etwas zu versprechen, was man dann doch nicht einhalten kann. Geführt werden muss diese sehr wichtige Debatte aber schon jetzt, an diesem frühen Zeitpunkt. Der Bundestag ist der richtige Ort, um klare Regeln für die schwierige Übergangszeit in der Pandemie zu schaffen – die Zeit, in der ein Teil der Bevölkerung geimpft sein wird, ein anderer Teil aber noch nicht. Sonst geht die Solidarität in der Gesellschaft verloren.

Es wird aber darum gehen müssen, Solidarität zu zeigen. Die einen müssen sich solidarisch zeigen, indem sie anderen den Vortritt bei der Impfung lassen und sich über deren neuen Freiheiten freuen. Sie sollen ja gerne die Wirtschaft wieder ankurbeln, für größere Umsätze in Cafes und Restaurants sorgen. Sie sollten aber davon absehen, gleich wieder in Saus und Braus zu leben, die Freiheit gleich mit einer Orgie zu feiern. Aus Solidarität sollten sie sich auch weiterhin zurückhalten. Sonst könnte ein neuer Corona-Sturm aufziehen, dem die Geimpften besser standhalten würden als die Gefährdeten.

Verhalten sich Geimpfte auch solidarisch, fühlt es sich für die anderen gar nicht so sehr wie ein Privileg an. Laut Definition ist ein Privileg ein Vorrecht, das einer einzelnen Person oder einer Personengruppe zugeteilt wird. Genau das liegt nun einmal vor. Schweift also bitte nicht zu sehr aus. Denn Corona-müde sind wir alle.