„Der Facebook-Skandal markiert einen Wendepunkt. Der arglose Nutzer, der sich bisher brav die Regeln diktieren ließ, merkt, wie weit der Missbrauch reicht.“

„Passwörter sind wie Unterwäsche. Du darfst sie keinen sehen lassen, musst sie regelmäßig wechseln und solltest sie nicht mit Fremden tauschen.“


Chris Pirillo

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Das britische Wirtschaftsmagazin „The Economist“ ist eine Lektüre für Leute, die über den Tellerrand blicken – es gibt nicht viele Redaktionen, die einen zuverlässigeren Riecher für die Themen großer Tragweite haben. Natürlich fand das Daten-Debakel des Social-Media-Riesen Facebook auf den Titel der aktuellen Ausgabe. Die Überschrift lautet „Epic fail“, was so viel bedeutet wie „Monumentales Versagen“.

Der millionenfache Missbrauch von Nutzerdaten zum Zwecke politischer Meinungsmache und der inkompetente Umgang des Zuckerberg-Imperiums mit den eigenen Fehlern markieren möglicherweise einen Wendepunkt. Denn der arglose Nutzer, der sich bisher brav die Regeln diktieren ließ, merkt, wie weit der Missbrauch reichen kann. Die Ausbeutung persönlicher Daten, die das „Gold des 21. Jahrhunderts“ sind, verlässt den einlullenden Kokon der Abstraktion; das Unbehagen vieler Nutzer an der Datenkrake findet konkreten Ausdruck.

Facebook-Chef Mark Zuckerberg übte sich in Selbstkritik – und wirkte wenig überzeugend. Die Manipulationen durch Cambridge Analytica zeigen zwar eine ungekannte Dimension des Missbrauchs. Aber im Grunde unterstreichen sie nur die dicken Fragezeichen hinter der Integrität eines der wichtigsten globalen Spieler auf der Internet-Bühne. Viel zu spät steuerte das Unternehmen gegen, obwohl Facebook schon lange als bestes Werkzeug von Täuschern, Lügnern, Hetzern und Verleumdern in der Kritik stand. Und von Transparenz der Datenverwendung ist man so weit entfernt wie eh und je. Kein Wunder: Das Geschäftsmodell von Firmen wie Facebook und Google ist mit dem Gedanken einer informationellen Selbstbestimmung, wie ihn das deutsche Recht kennt, kaum kompatibel. Zu wissen, was der Kunde kauft, mit wem er was wo gerade tut, das ist die ökonomische Basis dieser Firmen. Sarkastischer Kommentar des in Hannover lebenden Schriftstellers Hartmut El Kurdi, selbstverständlich via Facebook: „Facebook missbraucht unsere Daten? Ich bin erschüttert und tief betroffen. Das ist das Letzte, was ich erwartet hätte.“

Der Manipulationsskandal stellt dieses Geschäftsmodell bloß. Entsprechend deutlich fällt die Meinung der Finanzwelt über die Managementleistung aus. Der Aktienkurs rutscht, eine große Zahl von Anlegerklagen droht.

Was heißt das für uns Verbraucher? Reicht es aus, mit dem Finger auf die Internet-Giganten zu zeigen? Facebook und seine jüngere Schwester Instagram haben in Deutschland Kontakt mit 30 beziehungsweise 15 Millionen Menschen. Diese Reichweite ist viel geringer als die der deutschen Tageszeitungen, die mit ihren gedruckten und digitalen Angeboten 61 Millionen Menschen erreichen – aber es reicht für einen Nacktscan der deutschen Gesellschaft.

Wir sollten unseren Umgang mit privaten Daten kritisch hinterfragen. Viele Nutzer überlegen sich inzwischen sehr genau, was sie posten. Aber wer kann von sich sagen, er habe die Datenschutzvereinbarungen Wort für Wort gelesen und verstanden, die wir bei Facebook, Apple oder Google so eilfertig per Mausclick freigeben? Wer von uns hat die Einstellungsmöglichkeiten seines Facebook-Accounts im Griff? Sie bieten immerhin eine begrenzte Kontrolle darüber, wer unsere Posts lesen darf – sofern er sich an die Regeln hält.

Selbstverantwortung ist in der digitalen Welt noch wichtiger geworden. Das ist aber kein Freibrief für den Staat. Die Durchsetzung des Rechts, von der unser neuer Innenminister Seehofer spricht, ist hier vielfach die Ausnahme. Tatsächlich gibt es in der digitalen Welt eine Mehrklassengesellschaft. Da sind die seriösen Unternehmen, die sich an das deutsche und europäische Datenschutzrecht mit all seinen Einschränkungen und Dokumentationspflichten halten – und darüber allmählich Schwierigkeiten bekommen, mit ihren Kunden komfortabel zu kommunizieren. Da sind US-Unternehmen, die zwar wiederholt per Gerichtsurteil auf deutsches Recht verpflichtet wurden, aber – siehe Facebook und Cambridge Analytica – ausreichende Vorkehrungen schuldig bleiben. Und dann sind da kriminelle Banden und Einzeltäter, die uns hacken, ausspähen und hereinlegen. Die Aufklärungsquoten sind lächerlich gering.

Sicherheit ist und bleibt Staatsaufgabe, auch in der digitalen Welt. Ohne Kontrolle wird es nicht gehen – und ohne einklagbare internationale Standards auch nicht. Solange ein globaler Spieler deutsche Richter austanzen kann, wachsen die rechtsfreien Räume.