„Das Gespräch im Wintergarten der Familie Gabriel zeigt: Wir erkennen unsere gemeinsamen Interessen.“

Manchmal kommen einem Symbole zu Hilfe, die auf den ersten Blick denkbar unpassend erscheinen. Außenminister Sigmar Gabriel und sein türkischer Kollege Mevlüt Cavusoglu hätten ihre Pressekonferenz in der Goslarer Kaiserpfalz beinahe direkt unter dem historischen Wandgemälde abgehalten, das vom blutigen Kampf zwischen Christen und Muslimen im Mittelalter kündet. Das hätte sich in der Berichterstattung der internationalen Presse nicht gut gemacht. Aber unbestreitbar wirken die Spannungen zwischen Deutschland und Europa auf der einen und der Türkei auf der anderen Seite vor dem Hintergrund dieses Abbildes gegenseitigen Abschlachtens geradezu niedlich – leichter überwindbar allemal. Und genau darum ging es bei Cavusoglus Gegenbesuch.

Die türkische Regierung Recep Tayyip Erdogans hat offenbar begriffen, dass ihr Konfrontationskurs schwere Nachteile zeitigt. Statt Nazi-Vergleichen und willkürlichen Inhaftierungen aus politischen Motiven nun Annäherungsversuche, eingeleitet durch die Freilassung einiger Gefangener.

Beim deutschen Außenamtschef stoßen sie auf ein notwendigerweise differenziertes Echo. Da ist zum einen die Einsicht, dass gerade Deutsche und Türken ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit brauchen. Deutschland profitiert nicht nur von der steuernden Funktion der Türkei auf den Flüchtlingsrouten von Nordafrika nach Europa. Mindestens gleichrangig geht es um Millionen von Menschen, die mit türkischem Pass oder türkischen Wurzeln in Deutschland leben und die durch die politischen Spannungen in eine zunehmend schwierige Lage gerieten. Auf der anderen Seite kann und darf Berlin nicht untätig zusehen, wie Ankara Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte mit Füßen tritt.

Cavusoglus Besuch im Hause Gabriel mag keinen tiefgreifenden Wandel auf den großen Konfliktfeldern gebracht haben. Solange unter anderen Deniz Yücel im Gefängnis sitzt, weil er seiner Arbeit als kritischer Journalist nachging, fehlt der Bundesregierung jeglicher Spielraum. Auch die Frage der von Ankara gewünschten Handelserleichterungen hat eine Tragweite, die Zugeständnisse nur zum Zwecke atmosphärischer Aufhellung ausschließen.

Aber das Gespräch im Wintergarten der Familie Gabriel zeigt: Wir können miteinander reden, wir erkennen unsere gemeinsamen Interessen. Dass dieses hoffnungsvolle Zeichen gerade von der historisch so reichen Stadt Goslar ausgeht, gibt ihm eine ganz besondere Wärme.